TagesWoche_51_2011

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Freitag, 23.12.2011

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Woche 51

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1. Jahrgang

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Aus der Community:

«Gab es in den letzten 50 Jahren eine Situation, in der wir froh um unsere Kampfjets waren?» Jürg Degen zu «Braucht die Schweiz wirklich neue Kampfjets?», Webcode: @ahpxl

Zeitung aus Basel

tageswoche.ch

Region

Titelschwindel, unhaltbarer Führungsstil – ein Heimleiter gerät ausser Kontrolle Jahrelang litten Angestellte des Basler Übergangsheims Wegwarte unter ihrem autoritären Chef, der sich Doktor nannte, ohne den Titel erworben zu haben. Viele wussten von den Missständen. Doch die Behörden handelten nicht, Seite 18 Kultur

Laurin Buser zieht es auf die grosse Bühne 2012 wird ein bedeutendes Jahr für den Basler Slampoeten. Er bringt sein zweites Programm auf die Bühne und veröffentlicht seine erste CD. Der 20-jährige Kleinkünstler hat Grosses vor, Seite 50 Interview

Die diskreten Ansichten des Herrn EU-Botschafter Michael Reiterer Persönlich würde er es zwar begrüssen, wenn die Schweiz der EU beitreten würde. In offizieller Mission, als EU-Botschafter, hütet er sich vor solchen Aussagen. Im Interview sagt er, die Schweiz müsse ihre Rolle in der Welt noch finden, Seite 36 Fotos: Hans-Jörg Walter, Dirk Wetzel

TagesWoche Zeitung aus Basel Gerbergasse 30 4001 Basel Tel. 061 561 61 61

Streit ums Münster Kirche und Platz sind bald renoviert – das weckt viele Begehrlichkeiten, Seite 6



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Editorial

Weihnächtliche Gedanken von Urs Buess, Co-Redaktionsleiter Es weihnachtet sehr, auch wenn es schon mehr geweihnachtet hat. Umsatzmässig. Denn momentan sind die Geschenke im Badischen oder im Elsass etwas günstiger. Trotzdem eilen die Leute noch recht gut bepackt die Freie Strasse hinauf und herunter, und es wird Zeit, selbst ans Schenken zu denken. Das war schon einfacher – etwa als der Enkel an einer satten Packung Playmobil seine helle Freude hatte. Jetzt, in der Vorpubertät, ist er im Alter, da Gotte, Götti und Grosseltern sagen: Ach, er hat ja schon alles. Deshalb soll ein Telefon für Klarheit sorgen. Nun, er wünscht sich so ein bestimmtes elektronisches Gerät, dessen genaue Bezeichnung hier nichts zur Sache tut. Mit anderen Worten: Er sammelt Geld, um das Ding zu kaufen. «Gut», sage ich, «aber hast du nicht noch so einen kleinen Wunsch? Damit ich ein Nötli allenfalls mit einpacken kann.» Nein, sagt der Enkel, am liebsten wäre ihm alles in Geld. Nichts drumherum. «Geld verdirbt den Charakter», sage ich. «Aber», sagt er, «ich setze es ja sofort um.» «Du weisst ja gar nicht,

ob du genug Geld erhältst, um dein Gerät sofort zu kaufen.» Doch, meint er, er habe eine Art Budgetplan gemacht. Wenn alle das gäben, was er etwa schätze, sollte es aufgehen. Die neue Sachlichkeit hat also auch Einzug gehalten in Kinderherzen. Trotzdem wird einem ganz warm ums Herz, wenn man durch die Stadt geht und all die Lichtlein leuchten sieht. Man wird manchmal etwas besinnlich – auch an Redaktionssitzungen. Darum erwarten Sie in dieser Nummer ein paar weihnächtliche Geschichten. Über die Planung von Weihnachtsfeiern etwa, über die fussballlose Weihnachtszeit, über einen sterbenden Samichlaus (für Kinder allerdings ungeeignet). Nicht zuletzt ist unsere Titelgeschichte über das Münster und den Münsterplatz inspiriert von der Idee, Ihnen etwas zu bieten, was durchaus zu diesen feierlichen Tagen passt. Auch wenn die Frage, ob auf dem Münsterplatz mehr Veranstaltungen, Attraktionen und Märkte stattfinden müssten oder ob er ein stiller Ort bleiben soll, schnell in heftige Diskussionen ausufern kann. Webcode: @ajawe

Urs Buess

Gesehen von Tom Künzli Tom Künzli ist als Illustrator für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften tätig. Der 37-Jährige wohnt in Bern.

tageswoche.ch Aktuell im Netz Das grüne Dreieck markiert Beiträge aus der WebCommunity und lädt Sie ein, sich einzumischen.

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Wir sind online: Die TagesWoche berichtet täglich aktuell im Web. Das sind unsere OnlineSchwerpunkte der kommenden Tage: Blaggedde 2012: Bis zum Morgestraich am 27. Februar 2012 dauert es zwar noch ein paar Tage, aber noch im alten Jahr stellt das Fasnachts-Comité die neue Blag gedde vor. Wir berichten von Medienkonferenz und Vernissage und stellen die Plaketten zur Diskussion.

Kultureller Jahresrückblick: Die Ereignisse des Jahres aus kultureller Sicht stellen wir mit einer täglichen Liste von Ereignissen und Personen im Kulturteil vor. Freiraumgestaltung: Die Ausschreibung der Stadt für die Zwischennutzung der frei werdenden Areale am Rheinhafen lässt Hoffnung aufkommen für Gastro-Betriebe bis zum neuen Rheinschwimmbad. Wir zeigen die Rahmenbedingungen.

Unsitte Neujahrsapéro: Alkohol am Arbeitsplatz ist in der Zwischenfesttagszeit ein Thema. Wer keine Brücke ins neue Jahr schlägt, vertreibt sich die Zeit mit einem Cüpli im Sitzungszimmer. Wir sind dagegen. Basler Kinderpsychiatrie: Streit um den Standort und die Integration der Kinder- und Jugendpsychiatrie auf dem Gelände der Universitären Psychiatrischen Kliniken. Kinderpsychiater befürchten zusätzliche Ausgrenzung.

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Persönlich

Gefordert: Sandra, Tel. 143 Diskrete Hilfe garantiert Auf Anonymität ist bei der TeleHilfe Verlass. Jeder, der in Not ist, soll anrufen können. Ohne Angst, erkannt zu werden oder jemanden dort zu kennen. Deshalb arbeitet auch das Beratungspersonal mit Pseudonym. Als «Sandra» zum Beispiel.

Foto: Cedric Christopher Merkli

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ie wird die heile Welt so zelebriert wie zur Weihnachtszeit. Alles glitzert und glänzt. Abertausende Lichtlein schmücken Häuser und Strassen, KnusperhäuschenGlückseligkeit lockt die Menschen zum Kaufrausch. Es ist die Zeit, in der sich einige unter uns mehr denn je ausgeschlossen fühlen. «In der Adventszeit», sagt Sandra, «rufen tatsächlich sehr viele Menschen an.» Sandra ist eine der rund 40 Beraterinnen und Berater beim Verein Tele-Hilfe Basel, auch bekannt als «Dargebotene Hand», Telefonnummer 143. Sandra ist nicht ihr richtiger Name, ihre Identität soll unbekannt bleiben. Das gehört zum Konzept. Damit wirklich jeder, der Hilfe braucht – auch ein Nachbar oder eine Bekannte von Sandra – anrufen kann. Seit fünf Jahren hört sie sich Sorgen und Nöte von fremden Menschen an. Ohne dafür entlöhnt zu werden. Es sind meistens traurige Geschichten, die Sandra hört. Von Einsamkeit und Armut. Von Ängsten, Verzweiflung, Gewalt. Warum tut sie sich das an? Hat sie selbst niemanden? Füllt sie ihr Leben mit dem von Fremden? Sandra lacht. Und stellt klar: Sie wolle weder die Welt retten, noch sei sie besonders religiös, noch habe sie ein Helfersyndrom. Ausserdem hat die 54-jährige Frau einen

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Mann und drei erwachsene Kinder, Freunde und Bekannte – ein erfülltes Leben. «Die Erklärung ist ganz einfach: Ich habe Menschen gern, sie interessieren mich.» Als ihre Kinder erwachsen wurden, beschloss Sandra, sich in der Freiwilligenarbeit zu engagieren. Ihren Beruf als kaufmännische Angestellte hatte sie aufgegeben, als sie mit 23 Jahren Mutter wurde. Aber sie hatte schon während der Zeit als Mutter und Hausfrau gern irgendwo mitgeholfen – etwa bei der Pfadi, bei Skilagern – und das wollte sie nun verstärkt tun. Es war ein Zeitungsinserat, das sie zur Tele-Hilfe geführt hat. Das habe sie sofort angesprochen, sagt Sandra. Bereut hat sie es nie. «Ich habe viel lernen können und lerne immer noch dazu.» Unter anderem auch, wie sie sich von dem Gehörten wieder lösen kann. Denn: «Ich kann niemandem helfen, wenn ich mich von den Problemen der Anrufenden selber runterziehen lasse.» Sandra wird auch in der Nacht auf den 24. Dezember am Telefon sitzen und Menschen zuhören, die ihre Last von der Seele reden wollen. Und ihnen helfen, «diese Last ein bisschen zu büscheln». Damit sie nicht mehr so unerträglich schwer ist. Monika Zech Webcode: @ajawf

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Inhalt

WOCHENTHEMA

REGION Keiner stoppte den autoritären Chef Behörden müssen Heime besser überwachen, wie der Fall Wegwarte zeigt 18 SBB tun sich schwer mit Veloparkings Es gibt am Basler Bahnhof mehr Shops – aber nur gegen Veloparkplätze 19 Der Aufstieg der Sarasins Vor 400 Jahren kam Gedeon Sarasin nach Basel. Die Geschichte einer Dynastie 20

Schönster Platz der Stadt – aber meist menschenleer Rund um das Basler Münster ist bald alles perfekt: Die Kirche ist rundum saniert, der Platz neu gemacht. Doch nun beginnen die Probleme. Die einen wollen den Ort neu beleben, andere schätzen ihn als Oase der Ruhe, Seite 6

INTERVIEW TagesWoche: Würden Sie einen Schweizer EU-Beitritt begrüssen? Michael Reiterer: Das ist nicht die Frage. TagesWoche: Doch, eine persönliche Frage. Michael Reiterer: Ja, die Schweiz wäre in der EU willkommen, weil sie mit der Union die grundlegenden politischen Werte der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Grundrechte teilt, und ich würde es persönlich begrüssen. Das ganze Interview mit EUBotschafter Michael Reiterer, der die Schweiz Ende Jahr verlässt, ab Seite 36

Eine Ärztin schaut auf die Politik zurück Ruth Mascarin, erste POCH-Nationalrätin der Schweiz, hört als Ärztin auf 23 Aus für geschützte Jobs Einem Tierpark in Liestal droht die Schliessung. Betroffen sind nicht nur Tiere 24 TagesWoche-Community Was Sie als Mitglied zur TagesWoche beitragen können 25 SCHWEIZ Optimisten im Bundeshaus Im Nationalrat gibt es nicht nur Miesepeter: Ein Blick ins kommende Jahr 26 WIRTSCHAFT Das Geschäft mit den Kalorien Je künstlicher die Lebensmittel, desto grösser der Profit 28

Wie PatchworkFamilien feiern, Seite 32 INTERNATIONAL Juden in Manhattan In New York gehören das jüdische Fest Chanukka und Weihnachten zusammen 30 LEBEN Postkarte mit Folgen Maria und Josef gehen zusammen in die Ferien und schreiben sich eine Karte 34

Gastkommentar Der Publizist Philipp Cueni über das Verhältnis der Basler zur BaZ 42 Bildstoff Der Baselbieter Markus Bertschi fotografiert Fernsehstudios 43 KULTUR Listomania Die Höhepunkte des Kulturjahres 2011 52

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Stimmen aus der Community

«Es kann nicht im Sinne des Sports sein, dass der FCB bestraft wird, ohne dass ihn ein Verschulden trifft.» Fredy Born zu «Der FCB könnte aus der Champions League geworfen werden», Webcode: @aihcw

«Ich freue mich auf das Ozeanium, das für wertvolle und bedrohte Lebensräume sensibilisiert.» Casi zu «Haie auf der Heuwaage: Zolli schreibt Ozeanium-Wettbewerb aus», Webcode: @aiymu

SPORT

DIALOG

Fotos: Basile Bornand, Getty Images, Hans-Jörg Walter

DIALOG

Matto Kämpf Ein Weihnachtsmann fällt tot um – nicht unbedingt eine Kindergeschichte 54

Der grosse Makel des Weihnachtsfests: Es muss ja nicht gerade ein Spiel am Heiligen Abend sein, aber Weihnachten ohne Fussball ist für wahre Fans eine Qual, Seite 46

KULTUR Laurin Buser: Der Basler Slampoet wird im kommenden Jahr so richtig durchstarten, Seite 50

AGENDA Kultwerk: Monty Pythons brillante Verwechslungskomödie vertreibt jeglichen Festtagskoller, Seite 61 Aus dem Fotoarchiv von Kurt Wyss: Picasso und sein Geschenk an Basel, Seite 63 Impressum, Seite 40

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Wochenthema

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Kulturkampf ums Münster Basel erhält einen schönen, neuen Platz direkt vor seinem Wahrzeichen – und ein Problem von einer ganz neuen Dimension. Von Michael Rockenbach, Fotos: Hans-Jörg Walter

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rossartig, phantastisch, marvelous! Diese Formen und Figuren! Diese schlichte Eleganz! Und gleichzeitig: diese Grosszügigkeit! Über das Basler Münster sagen alle das Gleiche, einfach in etwas anderen Worten und unterschiedlichen Sprachen. Fachleute wie Marcial Lopez, langjähriger Mitarbeiter und Meister in der Münsterbauhütte, schwärmen ebenso wie die drei älteren Damen aus Amerika, die in diesem Winter zum ersten Mal in Basel sind und sich zuerst einmal viel, viel Zeit für das Münster nehmen. Mithilfe eines etwas unhandlichen Plans mit unzähligen Zeichnungen und handgekritzelten Notizen studieren sie aussen zuerst die Galluspforte mit dem eher mild wirkenden Christus als Weltenrichter (pretty!). Dann die Türme (great! – wenn auch nicht ganz so great wie bei anderen Kirchen in Frankreich – oder war es Italien?). Und schliesslich die beiden Heiligen, die den beiden Türmen ihren Namen gaben: der heldenhafte Georg und der wohltätige Martin (die sind dafür just great!). Schöne neue Pläne für den Kultort

Über fast alles erhaben: Das Münster ist das Wahrzeichen der Stadt, darin sind sich alle einig. Umso umstrittener ist die Frage, wie der Münsterplatz genutzt werden soll.

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Wenn es ums Münster geht, sind sich selbst hochgeistige Kirchenleute und eher esoterisch angehauchte Menschen einig. «Die Ausstrahlung, die dieser Bau hat, ist einzigartig», sagt Lukas Kundert, Präsident der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt, und der geomantische Stadtforscher Oliver Dinten stimmt ihm zu. Sie beide haben auch die gleiche Erklärung für die Wucht der Kirche: ihre grosse Ver-

gangenheit. «Im Münster hat eine ganze Reihe grosser Persönlichkeiten gepredigt. Hier wird seit über tausend Jahren immer wieder Weltgeschichte geschrieben», sagt Kundert. Dinten denkt sogar noch weiter zurück, in die Zeit der Kelten, die auf dem Münsterhügel schon vor über zweitausend Jahren ihre Heiligen verehrten. Diese Kraft, diese Energie sei bis heute zu spüren, auch wenn sie mit dem Bau des Münsters und der Reformation immer wieder verändert und teilweise zerstört worden sei, sagt Dinten: «Das ganze Gebiet ist noch immer ein Kraftort. Ein Kosmos im Kleinen.» Mit positiver wie negativer Energie: «Es gibt Stellen, an denen geht einem das Herz auf, und andere, da fühlt man sich unwohl und eingeengt.» Dort dränge es einen weiter, in die positive Energie, wo man einfach nur sein könne, unbeschwert, meditierend, bis man in sich und der Welt

«Das Münster ist ein Kraftort, ein Kosmos im Kleinen. Himmlisch!» Oliver Dinten, Stadtforscher mit dem Sensorium für positive Energien.

versinke. Ein Zustand schon fast wie im Himmel, wie man ihn im Münster an vielen Stellen erleben kann, sagt Dinten. Nun soll rund ums Münster, dieses kleine Paradies, alles sogar noch besser werden. In den kommenden Monaten wird die 25 Jahre dauernde erste Rundumrestaurierung des Münsters abgeschlossen

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Wochenthema

Ein Bau wie aus einem Guss Das Basler Münster wirkt gleichzeitig mächtig und elegant, wie es hoch erhaben über dem Rhein und stolz am Randes des Münsterplatzes steht. Gebaut wurde es in mehreren Phasen. Eine erste, karolingische Kathedrale liess der Basler Bischof Haito, Abt des Klosters Reichenau, erbauen. Nach dem Angriff der Ungarn auf die Stadt (917 n. Chr.) blieb von diesem Bau allerdings nicht sehr viel übrig. Dafür entstand ein frühromanischer Neubau, das Heinrichs-Münster, benannt nach seinem Förderer, Kaiser Heinrich II. Um 1200 wurde ein spätromanisches Münster errichtet. Dessen Bausubstanz aus Sandstein ist teilweise bis heute erhalten, auch wenn der Bau im schweren Erdbeben von 1356 stark litt. Unter anderem stürzten auch die fünf Türme ein, die das Münster bis zu diesem Zeitpunkt hatte. Es folgte der gotische Wiederaufbau mit den beiden Türmen, die 1428 und 1500 vollendet wurden. Für die damaligen Verhältnisse war die Bauzeit eher kurz. Bei anderen Kathedralen fehlte irgendwann das Geld, um sie wie geplant fertig zu bauen. Nicht so in Basel. Dies ist mit ein Grund, warum das Münster so gut wirkt – «wie aus einem Guss», wie Kunsthistorikerin Dorothea Schwinn Schürmann dazu bemerkt.

und gleichzeitig auf dem ganzen Platz das Kopfsteinpflaster fertig verlegt sein. 2019 folgt der nächste Höhepunkt: Zum 1000-Jahr-Jubiläum des zweiten Münsterbaus, des Heinrichs-Münsters, wird dem Monument ein papierenes Denkmal gesetzt: ein Kunstdenkmalband mit vielen Fotos und noch mehr Beschreibungen. «Damit wird der lang erwartete Gesamtüberblick über den Münsterbau endlich vorliegen», kündigt Dorothea Schwinn Schürmann, eine der beiden Hauptautorinnen, an (mehr dazu auf Seite 11). Fast wie ein neuer Kulturkampf Das sind gute Aussichten für die Münster-Verehrer. Möglicherweise freuen sie sich aber zu früh – weil Basel im nächsten Jahr nicht nur einen grossen, schönen, neuen Platz, sondern auch ein Problem erhält, das noch ganz andere Ausmasse annehmen könnte. Denn spätestens nach dem Abschluss der Arbeiten müsste eigentlich auch klar sein, wie dieser himmlische Flecken genutzt werden soll. Gute Ideen gab es in der Vergangenheit viele, etwa für Strassen-

Der Münsterplatz ist ein Ort der Besinnlichkeit, sagt die Kirche – und die Behörden geben nach. cafés und eine Buvette im Sommer oder eine Eisbahn im Winter. So unterschiedlich die Projekte auch waren, eines haben sie gemeinsam: Sie alle scheiterten am Widerstand der Anwohner, des Denkmalschutzes und vor allem der Kirchenvertreter. Der Münsterplatz sei seit jeher ein Ort der Ruhe und Besinnlichkeit und müsse das auch in Zukunft bleiben, sagten die Reformierten mit Unterstützung der zumeist gutbetuchten Ruhebewahrer, und die Behörden gaben jeweils nach. Es war schon fast ein neuer Kultur-

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Wunderschön, der Ausblick, eindrücklich die Kunst und gross die Persönlichkeiten, die hier waren – zumindest zur Bestattung. Im Bild: Galluspforte (oben), Königin Anna (unten) und der Ausblick auf den Rhein (links).

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Über allem anderen: Das Münster thront über der Stadt und den übrigen Kirchen.

kampf, der rund um den schönsten Platz ausgetragen wurde. Geld und Geist gegen das Fleisch, das Wort gegen das Vergnügen, die Kirche gegen die Masse. Protestantismus gegen Katholizismus Früher war alles noch eins. Da wurde auf dem Münsterberg nicht nur gebetet, gebeichtet und an mehreren Altären gleichzeitig gepredigt, nein, damals wurde dort auch noch gehandelt, gefeiert und gebechert und notfalls auch mal zugeschlagen oder zugestochen. Im Mittelalter war der angeblich seit jeher so besinnliche Münsterplatz auch ein Marktplatz. Und Jahr für Jahr trugen die Ritter dort während der Fasnacht und am 8. September ihre Turniere aus. Es ging häufig hoch zu und her, und manchmal wurde es auch ziemlich brutal. Schlimm war zum Beispiel die Tribüne, die unter dem Druck der Zuschauermassen

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zusammenbrach. Und noch sehr viel schlimmer war die Randale vom 26. Februar 1376, dem Tag, der unter dem Begriff «Böse Fasnacht» in die Geschichte einging. Es war ein Tag, der anscheinend ganz angenehm anfing. Die feinen Damen und Herren der Basler Gesellschaft assen, tranken und tanzten mit ihren Gästen aus nah und fern in den vornehmen Häusern rund um den Münsterplatz. Auf dem Platz veranstaltete das Gefolge des ebenfalls anwesenden Herzogs Leopold III. ein Ritterturnier. Dabei war die Stimmung unter den einheimischen Zuschauern, Handwerkern vor allem, wahrscheinlich von Anfang an etwas angespannt, trotz des Feiertags. Ursache für die Gereiztheit war ein langwieriger Streit zwischen dem Bistum Basel und dem Habsburger Leopold um die Hoheit übers Kleinbasel, das der klamme Bischof verpfänden musste.

Es war ein Konflikt, der die ganze Stadt erfasste, in verschiedene Lager teilte, und der schliesslich am 26. Feburar 1376 eskalierte, als beim Ritterturnier Speere in die Zuschauer flogen. Die Basler reagierten «zornig», wie ein Chronist festhielt, was eher noch

Früher ging es auf diesem Platz häufig hoch zu und her, und manchmal wurde es ziemlich brutal. eine Untertreibung war. Die aufgebrachte Menge erschlug mehrere habsburgische Edelleute und Knechte und nahm rund 50 Grafen, Domherren, Ritter und Dienstleute gefangen. Der Herzog konnte sich mit ei-

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Der grosse Streit der Archäologen Bei der Münsterforschung liegt vieles im Dunkeln. Von Michael Rockenbach

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uf den Kunstdenkmalband übers Basler Münster werden sich viele Menschen freuen – Kirchenliebhaber ebenso wie Geschichtsinteressierte. Tatsächlich könnte das Werk spannende Erkenntnisse über den ersten Münsterbau und das frühmittelalterliche Basel liefern. Die nötigen Ausgrabungen sind gemacht – seit den 70er-Jahren. Und dennoch gibt es ein erhebliches Problem. Der Mann, der die archäologischen Arbeiten im Münster und vielen anderen Schweizer Kirchen leitete, will die Dokumentationen nicht herausrücken: Der heute 80-jährige Hans Rudolf Sennhauser möchte die Unterlagen selber mit eigenen Mitarbeitern auswerten. Dafür hat er die «Stiftung für Forschung in Spätantike und Mittelalter» gegründet, welche die Ergebnisse der Öffentlichkeit noch präsentieren wird, wie Sennhauser sagt. In Basel rechnet man aber längst nicht mehr damit, dass der ehemalige Eidgenössische Denkmalpfleger und

emeritierte ETH- und Uni-Professor die seit Jahren ersehnten Ergebnisse irgendwann noch vorlegen wird. Darum fordert die Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt Sennhauser nun noch ein letztes Mal dazu auf, die Originaldokumente zum Münster samt Fotos und Dias auszuhändigen. Seit einigen Monaten trägt Basel den Konflikt nicht mehr alleine aus – sondern zusammen mit 18 anderen Kantonen, die mit Sennhauser das gleiche Problem haben. Um den Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen, hat die Konferenz der Schweizer Kantonsarchäologen (KSKA) eine Task Force geschaffen. Falls sich Sennhauser auch von ihr nicht beeindrucken lässt, werden die Kantone aller Voraussicht nach die Gerichte einschalten, wie der Basler Kantonsarchäologe Guido Lassau sagt, der die KSKA leitet. «Speziell für Basel sind diese Dokumentationen sehr wichtig», sagt er. «Sie sind der Schlüssel zum ersten Münster und den Nachfolgebauten.» Webcode: @ajssj

Ein dickes Buch zu einem grossen Jubiläum In der Reihe «Die Kunstdenkmäler der Schweiz» klafft eine erhebliche Lücke. Nun soll diese gefüllt werden – mit einem rund 500 Seiten starken Überblick über das Basler Münster und seine Baugeschichte. Vorliegen soll das Werk 2019 – rechtzeitig zum grossen Jubiläum. Dann wird es tausend Jahre her sein, dass Kaiser Heinrich II. den romanischen Münsterbau gestiftet hat. Am 11. Oktober 1019 wurde der Bau geweiht. Der Denkmalband dazu

nem Schiff über den Rhein retten, war gegenüber den Baslern aber dennoch nachhaltig verstimmt. Da nützte es auch nicht mehr viel, dass der Basler Rat ihn zu besänftigen versuchte, indem er «fremdes Volk und böse Buben» für die Tat verantwortlich machte und zwölf angebliche Rädelsführer hinrichten liess. Auf Drängen Leopolds hin verhängte das Reich gegen Basel die Acht. Davon befreien konnte sich die Stadt nur noch mit dem Versprechen, Leopold und seinem Bruder Albrecht künftig zu dienen. Es war für Basel ein ziemlich unvorteilhaftes Abkommen, das längerfristig aber nichts daran änderte, dass in Basel jene Kräfte immer stärker wurden, die sowohl die habsburgische als auch die bistümliche Hoheit abschütteln wollten. Ihrem Ziel einen wesentlichen Schritt näher kamen sie, als Leopold 1386 in der Schlacht von Sempach starb: Nun konnte die Stadt

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Leopolds Kindern das Kleinbasel abkaufen. Der Bischof hatte kein Geld mehr, um das Pfand einzulösen. Grosse Persönlichkeiten, grosse Geschichte Die Böse Fasnacht war eine drastische Episode in der Geschichte des Münsterplatzes und der Stadt. Aber keine untypische. Beim Münster wurde immer auch Politik gemacht, grosse Politik teilweise, von Persönlichkeiten wie dem Kaiser Heinrich II. und seiner Frau Kunigunde etwa, die die Stadt 1006 als Pfand übernahmen und danach förderten wie sonst kaum jemand. Das hat sie in Basel unsterblich gemacht. Verewigt sind die beiden grossen Figuren auch auf dem Münster – als Heilige und Stifter des Neubaus von 1019. Ähnlich lebhaft blieb die Erinnerung an Königin Anna – obwohl sie erst als Tote nach Basel kam. Die Gemahlin Rudolfs von Habsburg starb 1281

wird von der «Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte» (GSK) herausgegeben. Das Forschungsprojekt kostet rund 1,7 Millionen Franken – ein Grossteil davon fliesst in die Autorenhonorare und den Druck. Mit der Arbeit wurde ein fünfköpfiges Forscherteam betraut. Der Basler SwisslosFonds hat bereits einen Beitrag von einer Million Franken in Aussicht gestellt. Nun hofft man auch auf Beiträge von Stiftungen und Mäzenen.

in Wien und wurde danach auf eigenen Wunsch im Basler Münster bestattet, um den Basler Bischof wieder zu versöhnen. Rudolf hatte ihn zuvor jahrelang bekämpft. Oder Papst Felix V.! Auch er wurde in Basel zu einer historischen Figur. Im Rahmen des Konzils von Basel wurde er 1440 im Haus zur Mücke am Münsterplatz zu einem der letzten Gegenpäpste der Weltgeschichte gewählt. Bei seiner Einsetzung sollen sich 50 000 Menschen auf dem genau gleichen Münsterplatz gedrängt haben, den die reformierte Kirche heute am liebsten leer hätte. Damals kletterten die Gläubigen und Schaulustigen auch auf Dächer und Bäume, weil es auf dem Platz unten so eng war. Diese Feiern waren Massenveranstaltungen. Und perfekte Inszenierungen der Allmacht Gottes und der Stärke der Kirche. Glaube, Politik, Happening – alles passte prächtig zusammen, das war die Stärke

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Der Münsterplatz sei seit jeher ein Ort der Stille, sagt die Kirche heute. Doch die Reformierten führten sich beim Bildersturm vom Februar 1529 im Münster nicht eben besinnlich auf. Bild: Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD Visch. F33

der mittelalterlichen Kirche – und wohl auch ihre Schwäche, weil Macht und Moral selten gut zusammengehen. Und schon gar nicht über eine längere Zeit. Vielleicht ein Grund, warum die Konzile bei ihrem Versuch scheiterten, die zunehmend stärker befleckte Autorität der Kirche von innen heraus zu reinigen. Wirkliche Reform war nur noch auf Kosten einer Spaltung möglich. Im Februar 1529 war es in Basel so weit, wobei die Reformierten selber auch nicht unbedingt einen besinnlichen Einstand im Münster gaben. Sie stürmten ins Gotteshaus, zerstörten Bilder und Altäre und vertrieben den Bischof und seinen Hofstaat aus der Stadt. Die Reformierten hatten sich durchgesetzt. So konnten sich die Reformierten nach dem Bildersturm schon bald daran machen, eine neue Ordnung zu etablieren. Eine strenge Ordnung. Ehebrechern wurden harte Strafen angedroht, das Tragen aufreizender Kleider («zerhauene Hosen») wurde verboten ebenso wie übemässiges Trinken. Auch Nachtlärm und das Überziehen der Polizeistunde sollten nicht länger geduldet werden. Allmählich wurde es wieder ruhig in Basel, vor allem vor der ehemaligen Bischofskirche. Der Münsterplatz entwickelte sich zum möglicherweise protestantischsten Ort in der allgemein ziemlich protestantischen Stadt, zum Ort der Stille und der Besinnung. Aus dieser Geschichte ziehen die verschiedenen Men-

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schen nun die unterschiedlichsten Schlüsse. Diese Besinnlichkeit mache den Charakter dieses Platzes aus und müsse unbedingt bewahrt werden, sagen Kirchenpräsident Kundert und Stadtforscher Dinten. «Das ist die Voraussetzung dafür, dass das Münster seine Kraft entfalten kann und seine uralten Botschaften auch von den heutigen Menschen noch wahrgenommen werden können», sagt Dinten. Und Kundert ist entschlossen, seine Kirche gegen den zunehmenden Kommerz zu verteidigen. Gegen Bars und Buvetten mit WC-Kabinen zum Beispiel. Oder gegen einen Weihnachtsmarkt, der – künftig möglicherweise anders als in diesem Jahr – schon vor dem Totensonntag beginnen soll.

«Der Münsterplatz als Ort der Besinnung – das ist ohnehin etwas verlogen.» Werner Meyer, Historiker Nur bedingt Verständnis für solche Aussagen hat der Basler Historiker Werner Meyer. «Die Nutzung des Münsterplatzes sollte sich nach der Nachfrage richten», sagt er. Historisch lasse sich die Forderung nach einem möglichst stillen Platz nur sehr bedingt

rechtfertigen: «Dieses Ideal ist sehr viel jünger als das Münster. Seine Wurzeln sehe ich im 16. und 17. Jahrhundert, im Protestantismus und Pietismus.» Spätestens seit die Stadt den Platz jahrelang als Parking nutzen liess, hält Meyer dieses Ideal nun ohnehin für «etwas verlogen». Behörden warten auf eine Eingebung So kündigt sich eine neue Debatte um die Nutzung des Münsterplatzes an. Und ein neuer Kulturkampf, Protestantismus gegen Katholizismus, gegen die nicht tot zu kriegende Frivolität aus den grossen Zeiten der alten Kirche. Und wieder einmal versuchen die Behörden, sich aus dieser Auseinandersetzung möglichst herauszuhalten. «Ein Konzept für die Nutzung des Münsterplatzes haben wir noch nicht», sagt Departementssprecher Marc Keller jedenfalls. Dafür müsse man zuerst einmal schauen, wie der neue Platz wirke. Ob viel herauskommen wird, wenn sich die höchsten Vertreter des Baudepartements im nächsten Jahr vor dem Münster aufbauen werden, um den Platz zu spüren, um zu erfahren, wie er lebt? Kaum, wenn stimmt, dass aus nichts nichts wird. Für die Behörden könnte es dennoch eine gute Erfahrung geben – in meditativer Hinsicht. Webcode: @ajssk

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Gendit quidest ut aut labo. Ut moluptatur sam quatur hitatu

Diesen Dezember fand der Weihnachtsmarkt erstmals auch auf dem Münsterplatz statt – allerdings ohne die geplante Eisbahn.

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Foto: Hans-Jörg Walter

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Stille Nacht, heiliger Platz Wo die Kirche steht, findet das Leben statt – ausser in Basel. Die Kirche selber verhindert mehr Aktivitäten auf dem MĂźnsterplatz. Von Martina Rutschmann

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ie Angst vor wildem Urinieren und Littering war gross. Auch vor Freudenrufen und Kreischgeräuschen. Und herumtollenden Jugendlichen. Diese Formulierungen stammen von Vertretern der evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt. Aus Angst, Urin, Lärm und Abfall kĂśnnten den MĂźnsterbetrieb und die Ă„sthetik des Platzes stĂśren, legten sie vor einem Jahr Einsprache gegen eine Eisbahn auf dem MĂźnsterplatz nahe der Kirche ein. Der Unternehmer Beat Leuppi hatte die Bahn als Ergänzung zum Weihnachtsmarkt geplant – zur Freude der Marktverantwortlichen. ÂŤWir hätten das Projekt sehr begrĂźsstÂť, sagt Sabine Horvath vom Standortmarketing. Routinierte Einsprecher vor Ort Knapp ein Dutzend Einsprachen sorgten dafĂźr, dass Beat Leuppi sein Projekt zurĂźckzog, der Weihnachtsmarkt ohne Eis Ăźber die BĂźhne ging – und die Kirchenvertreter keine ÂŤunsorgfältig abgelegten SchlittschuheÂť bei der Gal-

Die Argumente wiederholen sich: Lärm, Littering, Verunstaltung. luspforte fßrchten mussten. Ein Standort mitten auf dem Platz war wegen des Stadtlaufs ausgeschlossen. Es ist nicht der erste gescheiterte Versuch, den Platz zu beleben: Die Kirchenverantwortlichen und einige Anwohner des Platzes sind routinierte Einsprecher. Kaum hat jemand die Idee, dem schÜnsten Platz der Stadt Leben einzuhauchen, stehen die Gegner auf der Matte. Die Argumente gegen Buvetten und Eisbahnen wiederholen sich: Lärm, Littering, Verunstaltung. Einzig Traditionsanlässe wie Herbstmesse und Openair-Kino bleiben unangetastet. Wobei die Kirchenverantwortlichen im Brief an Beat Leuppi auch die Herbstmesse erwähnen: Auch während den Messewochen kennen wir eine Beeinträchtigung unseres Betriebes. Gegen eine weitere Ausdehnung wehre man sich. Die Eisbahn wäre eine Ausdehung gewesen. Was das Openair-Kino angeht, ist es bestimmt nicht so, dass sich alle Anwohner freuen ßber die dreiwÜchige

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Beschallung. Der Anlass ist vorerst aber gesetzt: ÂŤWir haben mit den Einsprechenden und dem Veranstalter verhandeltÂť, sagt StĂŠphanie Balzer vom Baudepartement. Der Veranstalter habe Ordnung und keine Mikrofonansprachen mehr nach den FilmvorfĂźhrungen garantiert – darauf seien die Einsprachen zurĂźckgezogen worden. Aus Protest gegen das Kino schicken manche Ansässige ihre Gratiseintrittskarten trotzdem zurĂźck. Tische, StĂźhle und sonst nichts Mit der Neugestaltung besteht Hoffnung auf mehr Leben. Von allen Seiten kommt die Idee, mehr Gastronomie anzubieten. Auch der sonst fĂźr Besinnlichkeit kämpfende Kirchenratspräsident Lukas Kundert sperrt sich nicht dagegen. Eine Gartenwirtschaft ÂŤĂ la françaiseÂť unter den Bäumen kĂśnne er sich durchaus vorstellen: Tische, StĂźhle – und sonst kein Mobiliar. Baudirektor Hans-Peter Wessels ist von der Idee ebenfalls angetan. Bestehende Wirte kĂśnnten dort weitere Gäste bedienen, sagt er. Das Problem ist nur: Es gibt keine Wirte direkt am Plätzchen. Die beiden Restaurants am MĂźnsterplatz sind verhältnismässig weit von den Bäumen entfernt. Und Gastronomie-Pläne der ansässigen Lesegesellschaft seien inzwischen ÂŤkeine Option mehrÂť, sagt Verwalter Andreas Lang. Einzige sinnvolle LĂśsung wäre, eine Gartenbeiz mit Bar und KĂźhlschrank zu errichten – aber: ÂŤDas wäre dann wiederum eine BuvetteÂť, sagt StĂŠphanie Balzer. Und dieses Kapitel sei am MĂźnsterplatz vorerst abgeschlossen. Mondfest als einzige Neuigkeit Die Idee einer Buvette stammte ebenfalls von Beat Leuppi. Auch bei dem Projekt hatte er UnterstĂźtzung vom Kanton; deren Vertreter waren sogar Feuer und Flamme dafĂźr. ÂŤDas Baudepartement will eine BuvetteÂť, hiess es vor zwei Jahren noch – auch nach Ablauf der Einsprachefrist. Nach PrĂźfung der Einsprachen war aber klar: Die Gegner haben gewonnen. Mit Gestaltungsargumenten lehnten sich Kirche, einige Anwohner, Denkmal- und Heimatschutz gegen das Projekt auf. Und der befĂźrchtete ÂŤhässliche ContainerÂť fand nie den Weg auf den MĂźnsterplatz.

Sabine Horvath bedauert, dass nur wenig Raum fĂźr Gastronomie besteht: ÂŤDie Attraktivität als stimmiger Begegnungsort ist nicht ausgeschĂśpft.Âť Mehr Beizen wären kein Widerspruch zur Besinnlichkeit, ist sie Ăźberzeugt. Ă„hnliche Probleme wie jetzt gab es bereits vor einigen Jahren. Damals hiess die Hoffnung ÂŤAktionsplan Stadtentwicklung 2008Âť. Zuvor schon wurden die Parkplätze auf dem Platz aufgehoben. Von einem Biergarten und einem Hotel war die Rede. Geschehen ist nichts. Einzig Stadtpräsident Guy Morin schaffte es im vergangenen Sommer mit seinem Mondfest, den Platz in einen ÂŤchinesischen VolksgartenÂť zu verwandeln – fĂźr einen Tag.

Baudirektor Hans-Peter Wessels ist Ăźberzeugt, dass der MĂźnsterplatz ein ÂŤsupertoller PlatzÂť wird, sobald die Baustelle weg ist. Wichtig sei die Frage nach der Art der Nutzung, die man sich – vor allem im Sommer – wĂźnsche. ÂŤJe mehr Grossanlässe durchgefĂźhrt werden, desto schwieriger ist es, gastronomische Angebote hinzubekommen.Âť Beat Leuppi hätte mit der Buvette keine solchen Probleme gehabt: Mit den Kinobetreibern prĂźfte er, die Buvette ins Kinoareal zu integrieren. ÂŤDie Gespräche waren auf gutem WegÂť, sagt er. Am Ende wurde der Platz ohne Buvette bespielt. Das wird auch im kommenden Sommer so sein. Konkrete Pläne fĂźr den Platz gibt es keine. Ideen dafĂźr umso mehr. Webcode: @ajsoh

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23. Dezember 2011

Region

Bekehrt. Ein bisschen wenigstens.

«Blogposting der Woche»

Auch das noch

Drei Frauen im Schilf

Eigentlich hätte das eine Geschichte über eine mir unbekannte Frau namens @serscher werden sollen. Sie hat ein Profil auf Twitter und ich folge ihr. Seither ist sie ein Teil meines Lebens. Gestern zum Beispiel hatte sie eine Prüfung, für die sie in ihrem Lieblingscafé im Gundeli, dem Nasobem, gelernt hat. Ich weiss Bescheid, wenn @serscher eine Reise unternimmt, wenn es ihr gut oder auch nicht so gut geht. @serschers Leben wäre der Einstieg für eine Geschichte über den Kurznachrichten-Dienst und dessen Relevanz gewesen. Es wäre eine böse Geschichte geworden, in der ich auch über die Journalisten und ihre Selbst-

Twitter ist Analyse, so widersprüchlich das auch tönt. verliebtheit geätzt hätte. Die Kollegen Alan Cassidy (@a_cassidy) und Markus Prazeller (@prazeller) prägten dafür den schönen Begriff #circlejerk. Man merkt: Ich war nicht frei von Vorbehalten, als ich von den Kollegen genötigt wurde, unter @philipploser selber bei Twitter mitzumachen. Und seither, nun ja, find ich das alles nicht mehr so schlimm. Eher noch: Ich finde es richtig gut. Wer den richtigen Accounts folgt, ist besser informiert als der Leser einer hochwertigen Tageszeitung. Wenn ich am Morgen meine Timeline durchscrolle, bieten mir die «New York Times», der «Guardian» oder der «Economist» (und alle wichtigen Schweizer Medien) einen Überblick über die Welt, wie ich ihn davor nicht gehabt habe. Twitter ist also Analyse, egal wie widersprüchlich das tönt. Aber eben auch mehr. Twitter ist lustig und Twitter ist ein erstklassiger Nachrichtendienst. Als die Zukunft der BaZ verkündet wurde, wurden die Mitarbeiter nicht informiert. Doch das nützte nichts: Auf Twitter wurden die Entwicklungen live verbreitet. An diesem Tag hatten Nutzer von Twitter einen beachtlichen Wissensvorsprung. Und das ist es ja, was Journalisten am liebsten mögen. So. Und jetzt hoffe ich, dass @serscher ihre Prüfung gut überstanden hat. Webcode: @aggqi

Philipp Loser ist Bundeshausredaktor der TagesWoche. Der ganze Twitter-Beitrag ist im Blog «Page Impression» zu finden.

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«Vielleicht sind meteorologische Gründe schuld» Maurus Ebneter vom Wirteverband erklärt die Hygienewerte in Basler Beizen. Interview: Renato Beck Fast jedes zweite getestete Stück Fleisch in Basler Restaurants ist mit Keimen und Bakterien belastet. Das ergaben Kontrollen des Kantonslabors. Die Namen der fehlbaren 39 Betriebe werden nicht veröffentlicht, da sie unter das Amtsgeheimnis fallen. Maurus Ebneter, hat Ihnen der neuste Laborbericht den Appetit verdorben? Nein, solche Ausschläge sind normal. Im Gesamturteil sind die Basler Beizen sogar leicht besser geworden.

Aufgefallen in Sachen Transparenz und Toleranz: Andrea Bollinger (oben), Nicole Scheidegger (unten) und Daniela Schneeberger.

Was für eine Woche! Václav Havel tot, Kim Jong-Il tot, die Amerikaner weg aus Irak. Es lag definitiv was in der Luft, so kurz vor Weihnachten. Auch in unserer Region erlebten wir ein wahres Festival der Toleranz, der Transparenz, der Offenheit auch. Da wäre als Erste die neue FDP-Nationalrätin Daniela Schneeberger aus Thürnen. Die braucht gleich zwei persönliche Mitarbeiter für ihr anspruchsvolles Amt. Und vergisst dabei prompt zu erwähnen, dass beide vollamtliche Lobbyisten der Wirtschaftskammer sind. Kann ja mal passieren. Oder Nicole Scheidegger, Sprecherin der «Basler Zeitung», die via Facebook «kotzen muss» wegen der «Vollidioten», die auf dem Theaterplatz gegen die Vorgänge bei ihrem Arbeitgeber demonstrieren. Markus Jörin, ein ehemals hohes Tier im BaZ-Verlag, fragte Scheidegger, ob das ein offizielles Statement sei. Da war sie dann wieder ganz die Sprecherin, wie wir sie kennen. Und schwieg. Kann ja mal passieren. Die Goldmedaille für besondere Verdienste um die Toleranz geht diese Woche aber an SP-Grossrätin Andrea Bollinger. Sie hat bei Facebook unter religiösen Ansichten «Offenheit und Toleranz» angegeben und ist seit Jahren für ihren, wie soll man sagen, fanatischen Einsatz für den Schutz von Minderheiten bekannt. Frau Bollinger zog ebenfalls auf Facebook über eine Frau «DingDong oder wie sie heisst» her, die sich in der TagesWoche kritisch mit der SP auseinandergesetzt hatte. Liebe Frau Bollinger, unsere Mitarbeiterin heisst Yen Duong und stammt aus Vietnam. Sie ist – wie man es von kleinen Chinesen mit lustigen Namen gewohnt ist – fleissig und zuverlässig. Nur an ihrer Ausdrucksweise muss sie noch etwas arbeiten. Dachten wir jedenfalls, als wir sie diese Woche fluchen hörten. Aber kann ja mal passieren. Von Philipp Loser Webcode: @ajrfu

Beim Fleisch haben die Beanstandungen in den letzten fünf Jahren zugenommen. Wie erklären Sie sich das? Ich kann nur mutmassen. Vielleicht gibt es meteorologische Gründe, vielleicht spielt auch der schlechtere Geschäftsgang eine Rolle, weil dann die Waren im Lager weniger rotieren. Wie will sich die Basler Gastronomie gegen die Konkurrenz im Ausland behaupten, wenn sie altes Fleisch serviert? Unser Hygienestandard ist im internationalen Vergleich ausgesprochen hoch. Die Fleischqualität ist sogar besser als im benachbarten Ausland. Unser Problem sind die Preise – und das hängt mit der protektionistischen Agrarpolitik zusammen. Es besteht kein Grund zur Panikmache: Es handelt sich hier nicht um gesundheitsgefährdende Zustände. Warum darf der Kunde nicht wissen, wie ein Restaurant im Hygienecheck abgeschnitten hat? Weil jede Kontrolle immer nur eine Momentaufnahme ist. Restaurants mit schlechter Hygiene gehören geschlossen! Der Konsument kann davon ausgehen, dass in geöffneten Betrieben keine Gesundheitsgefährdung besteht – nicht zuletzt dank der Kontrollen. Es geht nicht an, den mittelalterlichen Pranger wieder einzuführen. Das wäre unfair. Ein Klient weiss auch nicht, wie viele Prozesse sein Anwalt gewonnen hat. Wieso soll es staatliche Negativlisten nur für das Gastgewerbe geben?

Maurus Ebneter ist Delegierter des Vorstands des Basler Wirteverbands.

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R EG I O N

Heim-Leiter schwindelt mit Doktortitel

In der Basler Wegwarte litten Angestellte unter ihrem autoritären Direktor. Die Behörden wussten von den Missständen. Trotzdem wollte man ihm wieder einen Chefposten geben. Von Peter Basler

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n Münchenstein hatte man sich «ausserordentlich» gefreut. Das Therapieund Schulzentrum Münchenstein TSM sollte in eineinhalb Wochen einen neuen Schulleiter bekommen: Der «promovierte Soziologe» habe die Kompetenzen, das Zentrum für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen «erfolgreich in die Zukunft zu führen», schwärmte Schulratspräsidentin Heidi Spirgi in ihrem Brief an kantonale Fachstellen, Behörden und Partner des TSM. Heinrich Yberg war zuletzt Direktor der Basler Wegwarte, einem Übergangsheim für traumatisierte Frauen und Frauen mit Kindern. Diese habe er gemäss Spirgi «erfolgreich zu einer fortschrittlichen Institution entwickelt». Doch Yberg wird seinen Job in Münchenstein nicht antreten. Der Grund: Die TagesWoche hat recherchiert, dass sich Yberg in der Basler Wegwarte öfters als «Dr.» Yberg ausgab, obwohl er den Doktortitel nie erlangt hatte. Dies bestätigen mehrere Angestellte, Yberg stritt es ab. Noch Anfang Woche schrieb er der TagesWoche, er habe sich «nie als Doktor bezeichnet und auch nie als Doktor ansprechen lassen». Als die Recherche den Briefkopf mit Professor- und Doktortitel zutage förderte, gab Yberg zu, er habe «einen Fehler gemacht» und werde deshalb von seinem Amt in Münchenstein zurücktreten. Angst vor dem Direktor Yberg war beim letzten Arbeitsort in der Wegwarte von Beginn weg durch seinen autoritären Führungsstil aufgefallen. Während seiner Amtszeit haben über ein Dutzend Mitarbeiterinnen die Wegwarte verlassen. Die meisten zucken beim Namen Yberg noch Monate später zusammen, kaum eine will sich äussern. «Nach wie vor ist mir die Anonymität wichtig, weil ich grosse Angst vor den Machenschaften des Direktors habe», sagt eine Mitarbeiterin. Bei der Wegwarte war Yberg zuerst Berater. Im Jahre 2009 steigt er zum Direktor auf. Er bombardiert die Angestellten mit teilweise abstrusen Weisungen. Alles wird vorgeschrieben, sogar die Worte, mit denen Mitarbeiterinnen das Telefon abnehmen müssen. Einzelne Personen müssen gesiezt werden, was in einem sozialen Betrieb, in dem man per Du ist, eine Ausgrenzung bedeutet. Weil viele Weisungen auf Unverständnis stossen, verhängt Yberg ein Kommunikationsverbot: Unzufriedenheitsbekundungen ausserhalb des Heims werden

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Übergangsheim Wegwarte in Basel: Hier wirkte Heinrich Yberg. Er ist weder Professor noch Doktor, wie er in einem Briefkopf vorgab (Bild unten). Foto: Basile Bornand als «schwerwiegende Zwischenfälle betrachtet und sind stets mit Sanktionen verbunden». Der Direktor wird zum Diktator. Yberg wechselt Personal aus, stellt die frühere Chefin kalt und ersetzt sie durch einer jüngere Frau, die kurz darauf wieder geht. Wer aufmuckt, wird zusammengestaucht. Einer Sozialarbeiterin, die sich nicht weiter tyrannisieren lässt

Behörden wussten Bescheid – niemand zog die Konsequenzen. und kündigt, verweigert er das Arbeitszeugnis. Er lässt ihr via Anwalt ausrichten, dass sie das Zeugnis erst erhalte, wenn sie eine Stillschweigevereinbarung unterschreiben würde. Er musste zurückkrebsen, weil er sich damit wegen Nötigung strafbar gemacht hätte. «Wir wunderten uns immer, warum niemand etwas unternahm», sagt eine ehemalige Angestellte, «Behörden und Stiftungsrat waren informiert.» Tatsächlich kannten Institutionen wie die Opferhilfe oder das Frauenhaus Ybergs

Führungsstil. Das Basler Arbeitsinspektorat wusste seit 2009 von den Zuständen. Die Präsidentin der Stiftung Wegwarte wurde von mehreren Angestellten informiert. Sie zog keine Konsequenzen. Der Direktor mischt sich immer mehr in die Arbeit der Sozialarbeiter ein, für die er laut mehreren Angestellten weder Kompetenz noch praktische Erfahrung hatte. «Er hatte eine unprofessionelle Haltung gegenüber traumatisierten und psychisch kranken Menschen», sagt eine Sozialarbeiterin. Es laufe eine Kampagne gegen ihn, sagt Heinrich Yberg. Er habe eine «neue Fallführungssystematik vor dem Hintergrund neuster Erkenntnisse des Casemanagement-Regelprozesses in der Wegwarte eingeführt». Er habe zwar keine Praxiserfahrung gehabt, «aber ich bin in der Wegwarte in die Praxis hineingewachsen». Alte Seilschaften Als Doktor ausgegeben hatte sich Yberg schon 2008 bei seinem Beratungsmandat für die Genossenschaft Mensch und Arbeit Basel. Dort erweckte er bei Mitarbeitern sogar den Eindruck, er sei Professor. Auf einem Brief nennt er sich «Prof. Dr. des.» Heinrich Yberg. Bis

heute hat er weder Doktor- noch Professorwürden erlangt. Der Stiftungsrat der Wegwarte kündigte Yberg im vergangenen August und stellte ihn frei. Offizieller Grund: «Unterschiedliche Auffassung» über die Ausrichtung der Stiftung. Zusammen mit Yberg trennte sich der Stiftungsrat vom Beratungsbüro Ischer & Spirgi, das von Yberg für die Wegwarte einen Coaching-Auftrag hatte. Mitinhaberin des Büros ist Heidi Spirgi. Sie hat Heinrich Yberg auch als Schulratspräsidentin in Münchenstein willkommen geheissen. Im Baselbiet sagt man in solchen Fällen: Sauhäfeli, Saudeckeli. Webcode: @ajbaw

Peter Basler ist Redaktor beim «Kassensturz».

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23. Dezember 2011

Region

Mehr Läden gibts nur gegen 700 Veloparkplätze Heimverantwortliche und Behörden müssen Warnrufe ernst nehmen – und handeln

Ein Kommentar von Remo Leupin «Wir hätten diese Hinweise ernster nehmen sollen», liess sich Ruedi Hafner, Leiter der Fachstelle Jugendhilfe im Basler Erziehungsdepartement (ED), vor rund zwei Wochen gegenüber der «Basellandschaftlichen Zeitung» vernehmen. So klare Worte der Selbstkritik sind vonseiten der Behörden eher selten zu hören. Hätte das ED frühzeitig auf die Warnsignale von Mitarbeitenden der Jugendwohngruppe Zunamis im Basler Gellertquartier reagiert und interveniert, wäre es wohl nicht zu sexuellen Übergriffen des Heimleiters auf eine 16- und eine 18-jährige Frau gekommen. Der Heimleiter, an dessen Leistungsausweis Zweifel bestanden, ist zu zwei Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt worden. Auch im Fall Wegwarte, der sich zur selben Zeit wie der Zunamis-Skandal ereignete, hätte Schlimmes verhindert werden können, wenn die Aufsichtsbehörden die Alarmrufe von Angestellten ernst genommen hätten. Heinrich Yberg, Leiter der Basler Wegwarte, machte sich keiner Übergriffe auf Heimbewohner schuldig. Aber er setzte zwei Jahre lang Mitarbeiterinnen des Übergangsheims für traumatisierte Frauen mit Kindern stark unter Druck. Das habe sich negativ auf Arbeitsklima und -qualität ausgewirkt, bestätigen mehrere ehemalige Angestellte. Von Anfang an wurden auch die Qualifikationen Ybergs angezweifelt, der

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sich zudem als Professor und Doktor bezeichnete, obwohl von ihm keine Doktorarbeit vorliegt. Es zeigen sich ähnliche Handlungsmuster wie im Falle der Wohngruppe Zunamis: Viele wussten von den Missständen in der Wegwarte. Trotzdem dauerte es viel zu lange, bis die Verantwortlichen einschritten. Erst im letzten August wurde Yberg gekündigt und freigestellt – wegen «unterschiedlicher Auffassung» über die Ausrichtung der Stiftung. «Um das Vertrauen in die Wegwarte wieder herstellen zu können, benötigt es aus unserer Sicht vertrauensbildende Massnahmen», forderten Institutionen wie Opferhilfe, Frauenhaus oder Basler Amtsvormundschaft in einem Brief an den Wegwarte-

Missstände und Missbräuche zeigen: Es braucht mehr Kontrolle in Heimen. Stiftungsrat nach dem Abgang Ybergs: «Eine davon könnte das Einsetzen einer neutralen Person in Form einer Ombudsperson oder eines Steuerungsausschusses, ähnlich wie dies in Alters- und Pflegheimen der Fall ist, sein.» Wie nötig solche Vorsichtsmassnahmen sind, zeigt die Fortsetzung des Falls Yberg. Am 2. Januar hätte der ehemalige Direktor der Wegwarte als neuer Leiter des Therapie- und Schulzentrums Münchenstein (TSM) beginnen sollen. Yberg gab jetzt seinen Verzicht auf die neue Stelle bekannt, nachdem die TagesWoche seine Geschichte aufgedeckt hatte. Die TSM-Verantwortlichen hätten besser über ihren Kandidaten recherchieren sollen – so wäre allen Beteiligten viel Ärger erspart geblieben. Webcode: @ajbax

Die SBB müssen am Basler Bahnhof neue Veloabstellplätze realisieren – ein ziemlich schwieriges Unterfangen. Von Yen Duong

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s ist ein Entscheid, der den SBB starke Kopfschmerzen bereitet. Ein Entscheid, der die SBB-Planer fast verzweifeln lässt. Konkret: Im Mai 2010 beschloss der Grosse Rat, dass die SBB ihren Bahnhof in Basel künftig mehr kommerziell nutzen dürfen als bisher. Gemäss Bebauungsplan können neu auch in der Schalterhalle und im Osten des Bahnhofsgebäudes Verkaufs-, Dienstleistungs- und Gastronomieflächen eingerichtet werden. Eigentlich Grund zur Freude für die SBB – wenn es da bloss nicht diese, für sie lästige, Ergänzung gäbe: Der Grosse Rat verdonnerte den Staatsbetrieb nämlich gleichzeitig dazu, zusätzliche 700 Veloparkplätze am Bahnhof zu realisieren. Besonders mühsam für die SBB: 500 davon müssen unterirdisch sein. Nach dem Willen des Parlaments gibt es also nur mehr Verkaufsflächen, wenn es auch 700 neue Veloparkplätze gibt. Von diesem Ziel sind die SBB aber auch anderthalb Jahre nach dem Grossratsbeschluss noch weit entfernt: «Die Auflage bereitet uns grosse Mühe. Sie ist für uns nicht einfach zu erfüllen», sagt SBB-Sprecherin Lea Meyer der TagesWoche. Die SBB haben denn auch Rekurs gegen den Entscheid eingereicht, dieser ist momentan hängig. SBB befürchten hohe Kosten Grund für den Unmut bei den SBB: «Einerseits gibt es grosse bauliche und logistische Herausforderungen, da es sich um ein denkmalgeschütztes, dauernd in Betrieb stehendes Areal handelt, das kaum Platz für zusätzliche Nutzungen bietet», sagt Meyer. Und andererseits erfordere eine unterirdische Anlage an diesem Ort «übermässige finanzielle Investitionen». Ein einziger unterirdischer Veloabstellplatz kostet laut der SBB-Sprecherin etwa das Zehnfache eines oberirdischen Veloparkplatzes. Wo und bis wann die Parkplätze zu stehen kommen, kann Lea Meyer deshalb noch nicht sagen. «Zurzeit ist die Machbarkeitsstudie des Projekts in Bearbeitung. Diese wird im Laufe des

Frühjahres 2012 fertig sein und entsprechende Ergebnisse liefern.» Unterstützung bei der schwierigen Angelegenheit erhalten die SBB von der Basler Verwaltung. Klar ist, dass kein Weg an den 700 Parkplätzen vorbeiführt, auch wenn das Bahnhofsareal im Besitz der SBB ist. «Sobald der Grossratsbeschluss rechtskräftig wird, sind die SBB verpflichtet, 700 Veloparkplätze zu realiseren», sagt Marc Février vom Bau- und Verkehrsdepartement. Die Auflage sei bestimmt nicht einfach zu erfüllen, aber nicht unmöglich.

Die Situation ist auch für die Polizei problematisch und unbefriedigend. Derselben Meinung ist Stephanie Fuchs, Geschäftsleiterin des VCS beider Basel. Wäre es nach ihr gegangen, hätten die SBB sogar 1500 zusätzliche Veloparkplätze erstellen müssen. Und zwar sofort. «Die heutige Situation ist höchst unbefriedigend. Die SBB müssen dringend handeln», sagt Fuchs. Das Veloparkangebot am Bahnhof SBB lässt tatsächlich zu wünschen übrig. Rund 3000 Parkplätze gibt es derzeit. Viel zu wenige. Die 730 Abstellplätze unter der Passerelle sind dauerbesetzt, die 1640 unter dem Centralbahnplatz ebenfalls, und rundherum herrscht das reine Chaos. Trotzdem sah das Unternehmen offenbar nie Handlungsbedarf. In den letzten sechs Jahren hätten die SBB keine neuen Veloparkplätze geschaffen, sagt Meyer. Gehandelt hat stattdessen der Kanton: Seit der Eröffnung des Veloparkings im 2002 hat er etwa 700 neue Abstellplätze realisiert. Über mehr Parkplätze würden sich nicht nur die Velofahrer, sondern auch die Polizisten freuen. «Die jetzige Situation ist problematisch und unbefriedigend», sagt Sprecher Klaus Mannhart. So müsse die Polizei jeden zweiten Tag wild parkierte Velos am Bahnhof SBB einsammeln. Webcode: @ajbav

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Die Sarasins – Aufstieg e Vor fast 400 Jahren erlangte in Basel ein Einwanderer das Bürgerrecht: Gedeon Sarasin. Dessen Nachkommen wurden als Fabrikanten, Händler und Bankiers berühmt. Die bewegte Geschichte einer Flüchtlings- und Unternehmerfamilie. Von Peter Jeck Jakob Sarasin wurde als Seidenbandfabrikant reich. Bild rechts: Das Weisse Haus zählt zu den wichtigsten Zeugnissen der Basler Barockbaukunst. Es wurde zusammen mit dem Blauen Haus von 1763 bis etwa 1775 für die Brüder Lukas und Jakob Sarasin und ihre Seidenbandfabrik erbaut. Fotos: Hans Joneli: «Gedeon Sarasin und seine Nachkommen »; Hans Bertolt/Staatsarchiv Basel-Stadt

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urckhardt, Koechlin, Merian, Stähelin, Vischer, Wackernagel – alles Namen grosser Basler Patrizier familien. Nicht fehlen darf natürlich: Sarasin. Wer diesen Namen heute hört, denkt an die Privatbank, die kürzlich mehrheitlich an die Genfer SafraGruppe übergegangen ist. Längst gehört die Dynastie Sarasin zum Basler «Daig». Doch die Wurzeln dieser heute als urbaslerisch wahrgenommenen Familie reichen zurück nach Frankreich – zu den Hugenotten. Im 16. Jahrhundert hatte Gedeon Sarasins Vater Régnault seine Heimat im lothringischen Pont-à-Mousson während der Wirren der Gegenreformation verlassen müssen. Grund: Der Mann reformierten Glaubens weigerte sich, in die Kirche zu gehen und «der reinen Lehre Christi» zu folgen. Als die Verhältnisse für Reformierte in Metz auch für Sohn Gedeon unhaltbar wur-

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den, sah auch er sich zum Auswandern gezwungen. Sein Weg: Frankenthal, Strassburg, Mariakirch, Colmar. Sein Ziel: die Stadt Basel, die zu jener Zeit ein Verkehrszentrum ersten Ranges mit regem Handel und Gewerbe war. Im Jahr 1628 wurde der Flüchtling Basler Bürger. Aus armer Familie stammte der gläubige Hugenotte nicht. Schon der Stammherr Régnault hatte in Metz Magistratsämter inne und gehörte dem Patriziatsadel an. Mit halboffenen Armen empfangen Zur Zeit, als Gedeon Sarasin als Glaubensflüchtling nach Basel kam, sah die Asylpolitik in der Alten Eidgenossenschaft in wesentlichen Aspekten nicht anders aus als heute. Die Behörden nahmen die — hugenottischen — Flüchtlinge auf, gaben ihnen Verpflegung und Unterkunft, aber sie stellten

ihnen auch Reisepässe aus und drängten sie dazu, weiterzureisen. Die Alte Eidgenossenschaft war damals über weite Landstriche arm; die Landwirtschaft musste die eigenen Leute ernähren. So gab es also schon damals Klagen über Asylrechtsmissbrauch. Diskutiert wurde, was echte und was unechte «Exulanten» seien. Im boomenden Basel dagegen konnten viele eingewanderte Händler das Bürgerrecht erwerben. Von hier aus führten sie ihre Transport-, Handelsund Geldgeschäfte weiter. Sie waren in der Stadt willkommen, da sie lukrative Gewerbe und wichtige Handelsbeziehungen mitbrachten und die Stadt damit wirtschaftlich belebten. Öffentliche Ämter konnten Einwanderer im Jahr ihrer Aufnahme in das Basler Bürgerrecht nicht bekleiden. Schon ab der dritten Sarasin-Generation jedoch finden wir ihre Sprösslinge im

Grossen Rat, im Kleinen Rat, im Dreizehnerrat, in Kirchenämtern, als Richter. Und sie werden auch bald «zünftig», also angesehene Zunftmitglieder. Ursprünglich war der Handel das Kerngeschäft der Sarasins – so wie auch vieler anderer Hugenotten.

Der Urstammvater der Sarasins soll ein Sarazene gewesen sein. Pariser tuche und Seidenstoffe aus Savoyen transportierten sie hauptsächlich nach Deutschland und verkauften sie dort. Basel war für dieses Geschäft natürlich ein idealer Ausgangspunkt. Der Besuch von Messen im umliegenden Ausland war für die Händler von

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g einer Dynastie men» eine Statistik der Berufsabteilungen und -arten auf. In den ersten zehn Generationen waren 31 Prozent der Sarasins als Bandfabrikanten tätig; 27 Prozent als Handelsleute. Unter den übrigen finden sich wenig zahlreich und gleichmässig verteilt: Gutsbesitzer, Tabakfabrikanten, Architekten, Baumwollfabrikanten, Bankiers, Lohnherren, Ärzte, Lehrer, Pfarrer, Gelehrte, Kunstmaler, Rentner, Lehrlinge und Bankiers.

Sparsamkeit wird wie ein Sport betrieben – das gilt auch heute noch. Die aus Frankreich stammende Sarasin-Dynastie war geprägt durch den reformierten Glauben, der sie aus der einstigen Heimat getrieben hatte. Offensichtlich führten die calvinistischen Tugenden zum Erfolg. Ernst Sarasin beschreibt diese im Vorwort der Familienchronik von Hans Joneli so: «Eine Besonderheit der Puritaner war äusserste Einfachheit in ihrer Lebenshaltung: die Sparsamkeit trieben viele bis in die unwahrscheinlichsten Kleinigkeiten direkt als Sport. Diese Züge finden wir wieder in den Refugianten aus Frankreich, und in manchen Hugenottengeschlechtern in Basel und anderwärts haben sie sich bis auf den heutigen Tag unverkennbar erhalten.» Die Kerntugend eines Privatbankiers, die Diskretion, geht damit Hand in Hand. Schwarzes Schaf in der Familie

grosser kommerzieller Bedeutung. In der Regel waren es die Patrons selber, welche die Messefahrt nach Strassburg oder Frankfurt unternahmen. Mehrere Händler taten sich zusammen und bildeten einen eigentlichen Konvoi. Solche Reisen waren nicht ungefährlich. Während des Dreissigjährigen Krieges wurde ein Pferdekonvoi von Basler und St. Galler Messefahrern im hohen Schwarzwald von marodierenden kaiserlichen Soldaten und ansässigen Bauern überfallen. Sie raubten die Händler aus: sechs von ihnen wurden ermordet, darunter auch ein Sarasin. Bereits die älteren Sarasins hatten in Frankreich Tuchhandel betrieben. Sie wurden damals oft auch «Sarazin» geschrieben. Im Mittelalter waren damit Sarazenen gemeint – und einer Familiengeschichte zufolge war der Urstammvater der Familie Sarasin tatsächlich ein Sarazene, ein Muslim also.

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Der 1649 geborene Hans Franz Sarasin begründete dann zwischen 1680 und 1690 die erste Bandfabrikation Basels. Die Bandfabrikation bildete im 17. Jahrhundert einen wichtigen Wirtschaftszweig. Sie ist eine Technik zur Herstellung von Bändern und anderen schmalen Textilien mit beidseitig festen Kanten. Textile Bänder fanden für technische Zwecke Verwendung und wurden für Zieranwendungen benutzt. Clevere Warenkrämer Dieses prosperierende Gewerbe blieb während mehrerer Generationen in den Händen der Familie Sarasin. Das Blaue und das Weisse Haus an der Martinsgasse zeugen noch heute vom damit früh erworbenen Reichtum der Familie. Die beiden Brüder Lukas und Jakob hatten sie in den Jahren 1763 bis 1775 erbauen lassen. Am Anfang der er-

folgreichen Tätigkeiten der nunmehr 13 Sarasin-Generationen stand also der Zwischenhandel. Die Sarasins waren die berühmtesten «Basler Warenkrämer». Das Geschäftsfeld erweiterte sich aber rasch. Neben der Bandfabrikation beteiligte sich Hans Franz Sarasin bereits 1660 an Firmen, die im Verlagssystem und in Manufakturen wollene und seidene Strümpfe produzierten: die «Strümpf-Fabrique». Später kam eine «Floretbandfabrique» dazu. Diese Firma Leisler, Sarasin & Leisler machte aber auch Geldgeschäfte. Sie finanzierte unter anderem einen grossen Teil der Kriegskontribution, die das Herzogtum Württemberg an Frankreich bezahlen musste — der erstmalige Auftritt der Sarasins als «Banquiers». Hans Joneli stellt in seiner Chronik «Gedeon Sarasin und seine Nachkom-

Einen einzigen Hinweis auf ein schwarzes Schaf im weit verzweigten Clan liess sich finden. Von mehr als einem Skandälchen ist jedoch nicht zu berichten. Und das liegt schon weit zurück. Über den 1742 geborenen Jakob Sarasin wird in einer Chronik berichtet: «Jakob befand sich allerdings mit den Traditionen der Familie im Widerspruch, wenn er als Schöngeist und Freund so vieler Dichter und Gelehrter Einnahmen und Ausgaben nicht in das rechte Verhältnis brachte und statt Reichtümer zu sammeln, mit vornehmer Generosität Freunde und allerlei Unternehmungen mit seinem Vermögen unterstützte.» Zu diesen Freunden gehörte etwa der Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi. Wenn es darum geht, eine Dynastie zu festigen und für die Zukunft fit zu machen, kommt der richtigen Wahl der Ehepartnerin eine wichtige Rolle zu. Es genügt, aus der Chronik einige Doppelnamen zu lesen, und man stellt fest, dass

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sich in Sachen strategische Heiratspolitik die Sarasins wie Adlige verhielten: Peter Sarasin-Du Fay, Peter SarasinBurckhardt, Hans Franz Sarasin-Burckhardt, Jakob Sarasin-Battier, Benedikt Sarasin-Sarasin, Ludwig August Sarasin-Merian, Karl Sarasin-Vischer, Wilhelm Emanuel Sarasin-Iselin, Jakob Albert Sarasin-Geigy, Gedeon Karl Sarasin-Speiser — alle Zutaten des Basler «Daigs» sind hier versammelt.

Die Heiratspolitik der Sarasins erinnert an jene von Adligen. Spielten die Frauen auch im Geschäftsleben eine Rolle? Dafür haben Historiker nur wenige Indizien gefunden, die jedoch darauf hinweisen, dass die damaligen Händlerfrauen in den Geschäften ihrer Männer aktiv mithalfen. So sagte etwa der Geistliche bei der Beerdigung von Anton WinkelblechFäsch im Jahre 1720 Folgendes: «Mit seiner nun hochbetrübten Frau Wittib hat er über 27 Jahr eine liebreiche und vergnügte Ehe besessen, immassen er an derselbigen sowohl in seinen Handels- als Hauss-Geschäften eine sehr getreue Gehilfin gehabt.» Das Bankgeschäft wird zentral Im 20. Jahrhundert wurde das Geldgeschäft schliesslich zum wichtigsten Tätigkeitsfeld. Im Jahr 1900 übernahm Alfred Sarasin-Iselin, der schon zuvor Teilhaber gewesen war, das Ruder des 1841 von Johannes Riggenbach gegründeten Geldinstituts. Unter seiner Führung entwickelte sich die Bank Sarasin & Cie zu einer der renommier testen Schweizer Privatbanken. Alfred Sarasin-Iselin, Musterbeispiel eines Patrons, war auch an vielen anderen Fronten tätig: Mitgründer der Schweizerischen Bankiervereinigung, Präsident des Bankrates der Nationalbank, Förderer der Elektrizitätswirtschaft und des Eisenbahnbaus, Politiker. Alfred Sarasin-Iselin führte die Bank mit dem Eichbaum während Jahrzehnten erfolgreich – «in der Vermögensverwaltung festen Prinzipien folgend», wie Thomas Vonaesch, Leiter Private Banking Basel der Bank Sarasin, im Geld-Magazin «Private» schreibt. Gemeint ist wohl in erster Linie die Diskretion. 1987 wurde die Privatbank in die Rechtsform einer Kommanditgesellschaft überführt. Die teilhabenden Bankiers hafteten dabei weiterhin mit ihrem persönlichen Vermögen. Ende

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2006 erwarb die holländische Rabobank zusätzliche Anteile und hielt damit 46 Prozent des Aktienkapitals und 69 Prozent der Stimmrechte. Kommentar des Wirtschaftsmagazins «Bilanz»: «Fast ging dabei unter, dass sich mit diesem Schnitt die Gründerfamilie verabschiedete.» Wie konnte es geschehen, dass sich fast die gesamte Familie vom eigenen Unternehmen trennte? Nochmals die «Bilanz»: «445 Millionen Franken, heisst die Antwort. So viel lösten die zwölf Teilhaber», mehrheitlich Angehörige der weit verzweigten Familie Sarasin. Das Ende der Bankgeschichte Als sich im Jahr 2007 Eric und Andreas Sarasin aus der Geschäftsleitung der Bank zurückzogen, blieb Yves Sarasin als letzter Angehöriger des SarasinClans dabei — in fünfter Banker-Generation. Seit 2009 zieht er mit der Vertretung der Bank Sarasin in Warschau polnische Privatvermögen an. Am 25. November 2011 schliesslich wurde bekannt, dass die Genfer Safra-Gruppe die Mehrheit an der Bank Sarasin erworben hat. Somit ist die 160-jährige Bankgeschichte der Sarasins am Ende. Geblieben ist immerhin noch der gute alte Name: «Sarasin & Cie AG». Viele der heutigen Sarasin-Sprösslinge haben sich sowieso längst vom Bankgeschäft verabschiedet. Beim Googeln des klangvollen Namens findet man: die Irma Sarasin-Imfeld-Stiftung, den Genfer Filmemacher Jacques Sarasin, den Geschichtsprofessor Philipp Sarasin, die Antoinette Sarasin Weight & Vitality Concepts, das Sarasin-SwissOpen-Tennisturnier, die Fritz SarasinStiftung, die Puppenspielerin Barbara Sarasin-Reich, Charles Eric Sarasin, Internal Auditor bei Georg Fischer und die Schauspielerin Stephanie Sarasin. Zu Ende ist die Ära eines einst homogenen Familienclans, der im Handel, in der Textilbranche und im Bankenwesen Geschichte schrieb und dessen Migrationsspuren mit der Zeit verblassten. Den heutigen Sarasins geht es nicht anders als den Hubers und Meiers: Sie behaupten sich in einer komplexer gewordenen Gesellschaft in diversen Berufen und Bereichen. Webcode: @ahyvt Quellen – Hans Joneli: Gedeon Sarasin und seine Nachkommen, Verlag Frobenius, Basel 1928 – Willi Wottreng: Ein einzig Volk von Immigranten. Die Geschichte der Einwanderung in die Schweiz, Orell Füssli Verlag, Zürich 2000 – Staatsarchiv Basel-Landschaft: Familie Sarasin – sarasin.ch: Geschichte der Bank Sarasin

Wappen der Familie Sarasin (aus dem Familienarchiv).

Die Hugenotten: Innovative Asylsuchende Im Jahr 1525 verliessen die ersten evangelischen Glaubensflüchtlinge Frankreich: die Hugenotten. Die katholische Kirche hatte sie in der Zeit der Gegenreformation immer stärker unter Druck gesetzt – das Leben mit ihrem Glauben war für die meisten unerträglich geworden. Insgesamt waren es mehr als eine Viertelmillion Menschen, die bis 1685 Frankreich verliessen und in den umliegenden protestantischen Ländern Zuflucht fanden. Da sie aus dem hoch entwickelten Frankreich kamen und meist der bürgerlichen Oberschicht oder dem Adel entstammten, erachtete man sie als nützlich; die Fluchtländer umwarben sie zum Teil und statteten sie mit Privilegien aus. In den reformierten Kantonen Genf, Neuenburg, Waadt, Bern, Graubünden, Schaffhausen, St. Gallen, Zürich, und Basel liessen sich etwa 20 000 Hugenotten dauerhaft nieder. Sie machten in einigen Städten einen grossen Teil der Einwohnerzahl aus: bis zu 30 Prozent. Genf etwa wuchs dank der Zuwanderung zwischen 1680 und 1720 um 4000 Einwohner. Die damalige Asylpolitik lässt sich so zusammenfassen: Die Städte bürgerten die Flüchtlinge schleppend ein. Das Verfahren kostete viel Geld.

Meist nahm man die Hugenotten auf, bewegte sie aber auch zur baldigen Weiterreise. Schon damals gab es eine Diskussion darüber, was «echte» und «unechte» Flüchtlinge seien. Im 16. Jahrhundert florierte die hiesige Wirtschaft. Viele hugenottische Einwanderer trugen zum Wachstum von Handwerk und Gewerbe bei. Vor allem im Textilgewerbe, im Handel und im Bankenwesen spielten sie eine wichtige Rolle. Das Textilgewerbe erfuhr eine Bereicherung und Belebung. Seidengewebe wie Lamé, Taft und Rips, gefärbte und bedruckte Baumwollstoffe, Mousseline, seidene Halstücher und Strümpfe und seidene Bänder – alles schicke Neuheiten aus hugenottischer Produktion. Produziert wurde meist im Verlagssystem: Billige Arbeitskräfte auf dem Land arbeiteten hart, während die Unternehmer und Händler in den Städten wohnten. Im Handel – Import von Rohstoffen und Export von Fertigwaren – und bei den Banken standen die Hugenotten an vorderster Front. Diese Wirtschaftszweige gehörten um 1700 noch eng zusammen. Einige wenige Familien hatten diese Branche in der Hand, darunter viele Hugenotten wie die Sarasins in Basel.

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Im Nationalrat verlor sie die Lust an Politik Ruth Mascarin war die erste POCHNationalrätin der Schweiz. Sechs Jahre lang. Dann hatte sie definitiv genug von der Politik. Von Urs Buess

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s ist ihr zweiter grosser Abschied. Der erste, 1985, sorgte in der ganzen Schweiz fĂźr Schlagzeilen und Berichte. Damals trat sie als Nationalrätin zurĂźck. Der zweite, in diesen Tagen, bekĂźmmert nur ihre Patientinnen und Patienten. Ruth Mascarin, Hausärztin in Basel, geht in den Ruhestand. Wahrscheinlich bewegt sie der zweite Abschied stärker. Zusammen mit ihrem langjährigen Praxispartner Alex Schwank hat sie in ihrem Sprechzimmer an der Waldshuterstrasse beim Eglisee 32 Jahre lang Patienten betreut und muss nun feststellen, dass sich keine Nachfolge finden lässt. Der Allgemeinmediziner ist heute fĂźr Mediziner unattraktiv geworden. Unregelmässige Arbeitszeiten und vergleichsweise tiefe Einkommen haben den Beruf des Hausarztes unattraktiv werden lassen. ÂŤDie medizinische Ausbildung hat es verpasst, dem Hausarzt die richtige Position zu gebenÂť, sagt Ruth Mascarin. Linke Exotin im Parlament Sie war etwas irritiert Ăźber den Telefonanruf am Montagmorgen, als wir sie anfragten, aus Anlass ihres RĂźcktritts als Ă„rztin ein Gespräch mit ihr zu fĂźhren. Sie sei keine Ăśffentliche Person mehr, seit sie 1985 den Nationalrat verlassen habe. Das stimmt natĂźrlich. Umso interessanter sei es, sagten wir, mit jemandem Ăźber die Zeit zu reden, in der sie als linke Exotin im schweizerischen Parlament mitgewirkt habe. Am Nachmittag kam sie vorbei, eine zierliche Person, Entschlossenheit und Bescheidenheit in einem. Ruth Mascarin ist 1979 von den Basler StimmbĂźrgern als erste Nationalrätin der Progressiven Organisationen der Schweiz (POCH) gewählt worden. Eine Partei, die als linksextrem galt, eine Partei, die von den BĂźrgerlichen als Ableger Moskaus abgestempelt, vor allem aber von der SP gemieden und

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Ruth Mascarin: Ich habe nie bßrgerlich gewählt. Foto: Michael Wßrtenberg

abgelehnt wurde. Ihre Wurzeln hatte sie in Basel, in der Basler Studentenschaft. Ruth Mascarin studierte in den späten 1960er-Jahren Medizin, interessierte sich fßr Politik, empÜrte sich ßber die Kriegsgräuel in Vietnam, ßber den Algerienkrieg. Die linke Studentenschaft war aufgewßhlt. Studentinnen und Studenten studierten nicht nur, sie politisierten auch. Sie suchten

Helmut Hubacher hat nie mit uns gesprochen. nicht Anschluss an bestehende Parteien, sie grßndeten eigene, unter anderem die POCH. Die POCH wurde zur erfolgreichsten der neuen linken Parteien, 1969 entstanden, zehn Jahre später im Nationalrat vertreten mit Mascarin und Andreas Herczog aus Zßrich. Der Erfolg hatte seinen Preis. Bereits der Umstand, zu den Grßndungsmitgliedern der POCH zu gehÜren, zog fßr Ruth Mascarin ein Berufsverbot nach sich. Sie hatte ihr Studium 1972 erfolgreich abgeschlossen. In Basel habe ich nie eine Stelle erhalten und hätte sie nie erhalten kÜnnen. Als ich 1990 Einsicht in meine Staatsschutzfichen nehmen konnte, sah ich, dass eine entscheidende Seite fehlte, aber ich entdeckte doch den Satz, der mein Berufsverbot belegte.

gen, blockierte Schienen, kletterte auf Bäume, um die Schanzenstrasse vor baulichen Verschandelungen zu retten, kämpfte fßr Kinder tagesstätten. Es war eine lustvolle Politk, sagt Ruth Mascarin. Als Ruth Mascarin 1979 Nationalrätin wurde, kam ihr diese Lust abhanden. Wenn man ins Bundeshaus eintrat, standen vor einem zuerst einmal diese drei steinernen riesigen Eidgenossen. Die erdrßckten einen fast, sagt sie. Und die Stimmung im Saal, dieses Macker-Gehabe der Nationalräte, sei auf die Nerven gegangen. Am schlimmsten hat sie die SP empfunden. Helmut Hubacher hat nie mit uns gesprochen. Er schickte immer Moritz Leuenberger vorbei. Das Bßro des Nationalrats beschäftigte sich mit ihr, weil sie auch mal lockere Sommerhosen mit afrikanischen Mustern trug. Mascarin arbeitete gern in Kommissionen, bewirkte unter anderem, dass Frauen nach der Heirat ihren ledigen Namen behalten konnten. Sie hat gern mit Elisabeth Kopp zusammengearbeitet, sie

aber nicht in den Bundesrat gewählt: ÂŤFrau sein als Programm genĂźgt nicht. Ich habe nie bĂźrgerlich gewählt.Âť Der letzte Wahlkampf 1983 wurde sie wieder in den Nationalrat gewählt, doch sie wusste, dass es ihr letzter Wahlkampf sein wĂźrde. ÂŤDurch die Stadt gehen, an Plakatsäulen sein eigenes Konterfei sehen zu mĂźssen – das wollte ich nicht mehr. Diese plakative Art widerstrebte mir.Âť Mascarin trat zwei Jahre später zurĂźck, Anita Fetz, die heutige SP-Ständerätin, ersetzte sie. Seither widmete sie sich voll und ganz ihrer Praxis, trat Ăśffentlich allenfalls noch auf, um sich gegen gentechnologische AuswĂźchse in der Medizin auszusprechen und betreute das gesundheitspolitische Magazin ÂŤSoziale MedizinÂť. Es ist von Ă„rzten und Fachleuten aus linken Medizinerkreisen herausgegeben worden: ein letztes Lebenszeichen aus alten POCH-Zeiten. Ende dieses Jahres erscheint auch die ÂŤSoziale MedizinÂť zum letzten Mal. Webcode: @ajifs

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Lustvolle Politik Sie fand Arbeit im Spital Laufen, politisierte aber in Basel. 1972 wurde sie Grossrätin. Fßnf POCH-Leute zogen in den Rat ein, in den erfolgreichsten Jahren waren sie zu zwÜlft. Die POCH philosophierte nicht nur ßber Weltpolitik, sie wirkte im Lokalen. Sammelte Unterschriften gegen TrampreiserhÜhun-

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Region

Zwick reagiert auf Kritik Superabteilung für Standortförderung Von Renato Beck

Tierpark und geschützten Jobs droht das Aus Für Stefan Fässler war es wie eine späte Wiedergutmachung: Ein Job im Tierpark der psychiatrischen Klinik in Liestal. Jetzt droht die Schliessung des Parks. Von Matieu Klee

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ie Misere des Kanton Basellands zeigt sich nirgendwo deutlicher als in seiner Wirtschaftsförderungskommission. Das Gremium hat die Aufgabe, Gelder aus dem Gewinn der Kantonalbank in Projekte umzuleiten, die der Wirtschaft im Baselbiet zugute kommen. So hat sie 600 000 Franken zum erfolgreichen Businesspark in Reinach beigesteuert. Firmen, Verbände, Behörden stellen Anträge, die Kommission, bestehend aus Verwaltungsmitgliedern, Unternehmer- und Arbeitnehmervertretern, berät sie und spricht Geld. So soll das laufen. Doch in diesem Jahr läuft nichts, es steht vielmehr alles still. Sitzungstermine werden ausgelassen, die Debatten im schriftlichen Verfahren geführt. Wichtigstes Projekt: die kommende Berufsschau, eine Messe für zukünftige Lehrlinge. Grundsatzdebatte gefordert Kritik kommt von allen Seiten. Gewerkschaftsvertreter Daniel Münger vermisst Impulse aus der Volkswirtschaftsdirektion von Peter Zwick. Der frühere Direktor der Baselbieter Wirtschaftskammer Hans Rudolf Gysin fordert eine Diskussion über eine Gesamtstrategie statt über die Berufsschau. Dasselbe will SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer. Ob die grossen Debatten über die wirtschaftliche Zukunft des Baselbiets in der Kommission geführt werden, ist fraglich. Dass Zwick damit wenig anfangen kann, zeigen Umbaupläne, die er der Regierung in den nächsten Monaten unterbreiten will. Zwick will eine Superabteilung für Standortförderung schaffen. Dazu soll das Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit gehören sowie die Beratungsstelle KMU-Info. Eine wichtige Rolle in der neuen Abteilung ist für Simon Schmid vorgesehen, der als oberster Wirtschaftsförderer bislang nicht immer die beste Figur gemacht hat. So leitet Schmid auch die eingeschlafene Wirtschaftsförderungskommission. Zwick verteidigt seinen Chefbeamten: «Er ist überlastet. Firmen anzulocken, ist eine der schwierigsten Aufgaben, die es gibt. Es kann nicht sein, dass alles an einer Person hängt.» Schmid müsse sich zudem um die bestehenden Firmen im Baselbiet kümmern. Zumindest bei der ins Aargau abgewanderten Firma Häring hat das nicht geklappt. Dabei sind sich der Besitzer und Schmid vertraut: Christoph Häring ist Mitglied der Wirtschaftsförderungskommission. Webcode: @ajibo

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Die schwere Geburt sollte das Leben von Stefan Fässler prägen. Foto: Basile Bornand

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tefan Fässler (32) lebte kaum noch, als ihn die Ärzte eine Stunde nach seiner Zwillingsschwester auf die Welt holten. Er musste wiederbelebt und mit Blaulicht ins Bruderholzspital verlegt werden. Nach der Geburt seiner Schwester hatte sich die Plazenta verschoben und ihm den Weg versperrt. Sein Leben hing an einem seidenen Faden. Dass er während seiner Geburt zu wenig Sauerstoff bekam, sollte sein Leben prägen. Stefans Eltern haben das Kantonsspital Liestal nie verklagt. Obwohl seine Mutter die Worte jenes Arztes nie vergass, der bei der Geburt schliesslich handelte. «Seht ihr denn nicht, dass euch das Kind unter der Hand wegstirbt», habe er seine Kollegen angebrüllt. Die Eltern wendeten sich damals zwar an einen Anwalt. «Uns fehlte aber schlicht die Kraft, um uns zu wehren», erinnert sich Stefans Mutter.

Hätte ein Gericht den Kunstfehler bestätigt, wäre dies das Spital teuer zu stehen gekommen. «Wenn ein Kind wegen eines Geburtsschadens später als Erwachsener nicht in der freien Wirtschaft arbeiten kann, entsteht ein Schaden in Millionenhöhe», sagt der Basler Rechsanwalt Markus Schmid. Er ist spezialisiert auf Haftungs- und Patientenrecht. Kleiner Lohn zur IV-Rente So war die Anstellung von Stefan Fässler im Jahr 2002 im Tierpark der psychiatrischen Klinik in Liestal wie eine symbolische Wiedergutmachung. Als einer von insgesamt vier Angestellten bezieht er neben seiner IV-Rente einen kleinen Lohn, der mit der Rente verrechnet wird. Betreut werden die vier vom Tierpark-Leiter und dessen Stellvertreter.

Doch jetzt droht die Schliessung des Tierparks. Nicht etwa, weil der Park für die Patienten der Klinik an Bedeutung verloren oder bei Familien mit Kindern an Beliebtheit eingebüsst hätte – einziger Grund ist die neue Spitalfinanzierung. Ab nächstem Jahr können die Kantone für Kliniken nicht mehr wie bisher ein Globalbudget bewilligen, sie bezahlen neu nur noch an die konkret vorgenommenen Behandlungen. Das führt dazu, dass Kliniken Ausgaben, die nicht im direkten Zusammenhang mit einer Behandlung stehen, nur noch sehr begrenzt finanzieren können. Für die Klinik in Liestal sind das zwei Franken pro Patient und Tag. Deshalb klaffte im Budget 2012 des Tierparks von einer halben Million ein Loch von einer Viertelmillion Franken. Quasi in letzter Minute sprach der Regie-

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Wir haben noch viel mit Ihnen vor

n rungsrat 240 000 Franken aus dem Lotteriefonds, damit die Klinik das Loch stopfen konnte. Doch die Gnadenfrist ist kurz: Ende des nächsten Jahres droht dem Park die Schliessung, wenn sich keine Geldgeber finden lassen. Ein erster Anlauf bei der Stadt Liestal ist letzten Sommer gescheitert. Geldgeber gesucht Die Kantonalen Psychiatrischen Dienste stehen gemäss Peter Frei, verantwortlich für den Tierpark, im Gespräch mit möglichen Geldgebern. Einige würden Beiträge erst dann sprechen, wenn sich auch die Stadt und die umliegenden Gemeinden an den Kosten beteiligen. Wie es für Stefan Fässler weitergeht, ist offen. «Die Arbeit im Tierpark ist für mich wie ein Sechser im Lotto», sagt er. Vorher versuchte er eine Lehre in einer Bäckerei, machte

Findet die Klinik keine Geldgeber, droht dem Park die Schliessung. eine Anlehre bei einem Gärtner. Doch sobald er unter Zeitdruck arbeiten musste, war er rasch völlig erschöpft. «Ich musste einfach immer wieder Pausen machen. Ich bin kein Roboter», erinnert er sich. Auch im Tierpark müssen rund 200 Tiere gefüttert, das Gras gemäht, die Ställe gemistet werden. «Aber hier kannst du auch einmal erst am nächsten Tag eine Arbeit fertig machen», sagt Stefan Fässler. Am liebsten arbeitet er mit dem Fadenmäher. Gerne würde er auch Traktor fahren, doch das darf er nicht. Stefan Fässler begann erst sehr spät zu sprechen. Auch heute noch, mit 32 Jahren, kämpft er beim Reden immer wieder mit den Silben. Sich auszudrücken strengt ihn an. Schreiben ist noch schwieriger. SMS zeigt er seiner Mutter, bevor er sie abschickt. Seit Kurzem wohnt er nur noch am Wochenende bei seinen Eltern. In einer betreuten Wohngruppe lernt er selbständig zu leben, zu kochen, zu putzen und zu waschen. Lange haderte er mit seinem Schicksal: «Ich dachte immer, wie es sein könnte, wenn ich ganz normal wäre», sagt er. Heute fühlt er sich akzeptiert. Doch die ungewisse Zukunft des Tierparks beschäftigt ihn: «Der Tierpark passt zu mir und ich zum Park. Wo sonst könnte ich eine solche Stelle finden?» Webcode: @ajhrx

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Was die TagesWoche-Community jetzt schon kann, was wir planen und wie Sie mit uns eine Zeitreise in die Vergangenheit unternehmen können. Von David Bauer

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taunend blicken wir immer wieder auf die Mitgliederzahl der TagesWoche-Community. Aktuell sind es 3708, täglich kommen Dutzende hinzu. 3708 Menschen, die mehr sein wollen als Leserinnen und Leser, die mit uns zusammen ein hervorragendes Medium aus Basel machen wollen. Die Community trägt ganz wesentlich dazu bei, dass die TagesWoche nicht einfach ein Medium ist, das in der Region Basel gemacht wird, sondern eines, in dem möglichst grosse Teile der Bevölkerung zu Wort kommen. Die Community gibt uns Ideen und Anregungen für Geschichten, auf die wir selber nicht gekommen wären, sagt uns Dinge, die wir nicht wussten, korrigiert uns da, wo wir Fehler machen. Und nicht unwesentlich: Sie bestätigt uns in unserer Arbeit und motiviert uns, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Ganz konkret heisst das: Community-Mitglieder können Artikel auf tageswoche.ch mit Kommentaren ergänzen, können direkt Mitteilungen und Dokumente an die Redaktion schicken und ihr Votum bei unserer Wochendebatte abgeben. Jedes Mitglied der Community – alle Redaktoren der TagesWoche sind natürlich auch dabei – hat ein eigenes Profil, in dem es sich anderen vorstellen kann und in dem all seine Beiträge zur TagesWoche gesammelt sind. Doch nicht nur auf tageswoche.ch können Sie mit uns in Kontakt bleiben. Wenn Sie die TagesWoche auf Facebook (www.facebook. com/tageswoche) «liken», bekommen Sie alle wichtigen Geschichten sowie Anekdoten aus der Redaktion direkt auf Ihre Facebook-Startseite geliefert und können sich auch da mit Kommentaren einbringen. Wer Twitter nutzt, findet uns dort als @tageswoche, ausserdem sind alle Redaktoren mit einem eigenen Account bei Twitter präsent und ansprechbar. Das alles ist aber erst ein kleiner Teil dessen, was wir mit der Community vorhaben. So manch eine Idee liegt bereits fixfertig in unseren Schubladen und wartet nur darauf, das Licht der digitalen Welt zu erblicken. 2012 werden wir einen Schwerpunkt darauf legen, unseren Community-Mitgliedern mehr Möglichkeiten zu geben, mit der Redaktion und untereinander zu kommunizieren, sich aktiv einzubringen, und diese Inhalte noch prominenter in die TagesWoche – online wie gedruckt – einfliessen zu lassen. Wir freuen uns, wenn Sie dann mit dabei sind. Webcode: @ajibp

Die TagesWoche im Rückblick Sie lesen die neunte Ausgabe der TagesWoche, online berichten wir seit 57 Tagen. Zum Jahresende bietet sich ein kleiner Blick zurück an. In unserem Kalenderarchiv (tageswoche.ch/kalenderarchiv) finden Sie zu jedem Tag seit dem Start der TagesWoche am 28. Oktober jene Geschichte, die an diesem Tag die Menschen in der Region Basel am meisten bewegt hat. Falls Sie sich vergangene Ausgaben der gedruckten TagesWoche nochmals ansehen möchten, werden Sie in unserem Zeitungsarchiv fündig (tageswoche.ch/zeitungsarchiv). Alle Ausgaben stellen wir dort mit einwöchiger Verzögerung als PDF zum Download bereit. Stöbern Sie in unseren bisherigen Ausgaben und sagen Sie uns, was wir noch besser machen können.

Die volle Ladung News Die meisten Nachrichtenmedien setzen online darauf, möglichst viele News in schneller Abfolge auf ihrer Seite zu präsentieren. Unser Ansatz ist es, einzelne Schwerpunkte zu setzen bei Themen, bei denen es sich wirklich lohnt (dass wir dabei noch deutlich zulegen können, wissen wir). Nichtsdestotrotz bieten wir unseren newshungrigen Besuchern das volle Programm. Oben rechts auf tageswoche.ch finden Sie den Newsticker, der laufend informiert, was in der Region und auf der ganzen Welt geschieht. Wenn Sie darunter auf «Alle Nachrichten» oder darüber auf das Datum klicken, kommen Sie zur Übersicht aller Nachrichten des aktuellen Tages. Mehr noch: Sie können von da aus eine kleine virtuelle Zeitreise unternehmen und sich durch alle Nachrichten vergangener Tage klicken.

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Wir Optimisten Es war ein schlimmes Jahr. Ein schlimmeres wird folgen. Lassen wir darum die letzten Optimisten sprechen. Von Philipp Loser

Mag ja alles stimmen. Aber könnte man das nicht auch etwas positiver angehen? Gibt es denn überhaupt noch Optimisten im Bundeshaus? Ja. Aber es sind wenige. Einer von ihnen, eigentlich der Optimist unter den Parlamentariern, sitzt tief versunken in einem der schweren Stühle der Wandelhalle, hat ein viel zu kleines Handy in seiner ziemlich grossen Hand und sieht ungewohnt düster Richtung Nationalratssaal. «Dort drin», sagt Otto Ineichen und legt sein Mini-Handy auf den Tisch, «dort drin herrscht der Lethargismus.» Keine Visionen, kein Mut, kein Risiko, «Besitzstandwahrung. Alles dreht sich nur um Besitzstandwahrung!» Ineichen,

Kein Grund, zu verzweifeln: Auch das Jahr 2012 geht vorüber.

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er prägende Moment dieses Jahres ereignete sich hoch über dem Genfersee, in einem etwas schäbigen Büro des UNO-Hauptgebäudes. Uns gegenüber sass Heiner Flassbeck, Chefökonom der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung. Ein freundlicher und lustiger Mann, aber einer mit schlechten Nachrichten. Der Euro? Kurz vor der Explosion. Die Lage in Europa? Schlimmer als zu Beginn der 30er-Jahre. Die Lage in der restlichen Welt? Vergessen Sie es. Heiner Flassbeck, dieses lächelnde Monster des Pessimismus, fasste in Worte, was wir alle schon lange spüren: Es kommt nicht gut. Es kommt sogar richtig schlecht. Unser Wirtschaftssystem kommt an Grenzen, mit unseren Schulden kommen wir nicht zurande, und selbst wenn sich für einmal etwas Schönes ereignet (nehmen wir die Revolution in Ägypten), ist das bei näherem Hinsehen nicht mehr ganz so prächtig (nehmen wir die Revolution in Ägypten).

FDP-Nationalrat aus dem Kanton Luzern, hat wieder einmal eine seiner Ideen. Er hat schon für Lehrlinge geweibelt, für energetische Häusersanierungen und, aktuell, für bezahlbare Krippenplätze. Und es ist wie häufig. Er reisst an und mit. Und stösst auf Widerstand. Wieder einmal. «Da drin sitzen vor allem Bedenkenträger.» Er richtet sich etwas auf in seinem tiefen Sessel, gleichzeitig ändert sich der Ausdruck seines Gesichts. Es wirkt heller. «Wissen Sie, wir haben ein ex trem schweres Jahr vor uns. Aber wir müssen das positiv angehen!» Es brauche Mut, Mut etwas anzupacken. Und das Wichtigste: Wir müssen weg von

Gegen die Schwarzmalerei. Ursula Haller, BDP-Nationalrätin.

der Mittelmässigkeit. «Es ist unsere Mittelmässigkeit, die gefährlich wird für die Schweiz. Wir brauchen Innovationen! Risikobereitschaft! Verantwortung!» Ineichen sitzt jetzt kerzengerade in seinem Sessel, er strahlt. «Stellen Sie sich vor, was wir alles erreichen könnten, wenn die 20 grössten Unternehmer in diesem Saal ihr Portemonnaie öffnen täten. Was wären das für Möglichkeiten!» Die Grundwerte Nicht weit von Ineichen entfernt sitzt ein anderer Nationalrat in einem bequemen Sessel. Ohne Handy. Dafür mit einem Lächeln. Eric Nussbaumer gehört zu jener Sorte von Menschen, denen man die Gemütslage schon von Weitem ansieht. Ganz zu Beginn seiner Nationalratskarriere schlurfte er mit gesenktem Kopf durch die Wandelhalle des Bundeshauses, das Gesicht verhärmt. Er hatte es nicht einfach in seiner Fraktion. Es gibt gewachsene Strukturen in der Partei, Machtzirkel, Machtmenschen, die nicht gerne teilen. Dieses Jahr nun ist auch die eigene Partei auf den Energie-Politiker aufmerksam geworden. Er hat nach Fukushima und dem Atomausstiegs-Entscheid des Bundesrats eine tragende Rolle in der Fraktion erhalten, bei den Wahlen sogar die langjährige Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer überflügelt. «Wahlen und die ganze Politik sind aber nur ein kleiner Bruchteil dessen, was das eigene Wohlbefinden und den Optimismus ausmacht», sagt Nussbaumer. Gelassenheit, eine relative Haltung zur Welt – die brauche es. Grundlage dafür ist bei Nussbaumer ein Wertesystem im Allgemeinen und sein christlicher Glaube im Speziellen. «Er erlaubt mir eine Distanz zu den Dingen.» Nussbaumer ist aber nicht naiv, er weiss, auf welche bedrohliche Situation die Schweiz und die Welt im 2012 zuschlittern. Entscheidend sei, was man daraus mache. «In allem, was geschieht, kann man dem Guten zum Durchbruch verhelfen. Möge es auch noch so

Die Schweizer Mittelmässigkeit

Mehr Mut! Otto Ineichen, FDP-Nationalrat. Fotos: Keystone, ex-press

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2011 war ein schwieriges Jahr. Aber 2012 wird wohl noch schwieriger werden. Politikerinnen und Politiker, auch in Zeiten der Hochkonjunktur nicht für ihr überschäumend optimistisches Naturell bekannt, verbreiten in diesen Tagen mit Vorliebe schlechte Stimmung. Nicolas Sarkozy sagt: «Die Angst ist zurück.» Christoph Blocher sagt: «Die Zeiten sind hart. Und sie werden härter.» Ja, selbst Alain Berset, der in der vergangenen Woche seinen wohl grössten beruflichen Erfolg erlebt hat, sagt: «Wir stehen vor grossen Herausforderungen.»

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Schweiz

klein sein.Âť Apropos klein: In diesen Tagen hat Nussbaumer erfahren, dass er 2012 wohl Grossvater wird. ÂŤDas wird ein gutes Jahr!Âť Der Konsens FĂźr eine ganz andere Form von Optimismus steht Regula Rytz. Die Berner Gemeinderätin der GrĂźnen erlebt ihre erste Session im Bundeshaus. Sie ist nicht zerknirscht-aufbrausend wie Otto Ineichen oder Ăźberschäumend wie Eric Nussbaumer. Rytz steht fĂźr den sachlichen Optimismus, mit dem viele – vorab in der Mitte – den Wahlausgang vom Oktober erklären. Rytz ist zwar eine GrĂźne, aber eine, die dennoch von allen Seiten Lob erhält. FĂźr ihre sachliche, konsensorientierte Art, fĂźr ihren integrativen Ansatz. Sie verkĂśrpert jene Sorte von Optimismus, der an der GrĂśsse der Probleme nicht verzweifelt, sondern die Schwierigkeiten – StĂźck fĂźr StĂźck – abarbeiten mĂśchte. Die Zukunft der Pensionskassen, die Eurokrise, das marode Wirtschaftssystem, die infrage gestellten Nationalstaaten. ÂŤDas alles macht uns SorgenÂť, sagt Rytz. Dennoch habe man in der Schweiz die besten Voraussetzungen, um die kommenden Krisen zu meistern. Gute Strukturen, eine tiefe Arbeitslosigkeit, grosses Engagement. ÂŤUnser grosser Vorteil ist, dass in der Schweiz ganz viele Menschen aus der

Gelassenheit und eine Distanz zu den Dingen. Eric Nussbaumer, SP-Nationalrat.

Das Gute sehen Auf der anderen Seite des Saals macht eine zweite Frau mit einem politisch anderen Hintergrund die exakt gleiche Aussage wie Rytz. Ursula Haller, BDP-Nationalrätin aus Thun, versteht die Wahlen vom Oktober und auch die Bundesratswahlen von Mitte Dezember als ÂŤeindeutiges Zeichen gegen die SchwarzmalereiÂť. Das Gemeinsame betonen, nicht das Trennende pflegen – das erwarte die BevĂślkerung in diesen harten Zeiten. Ursula Haller ist in ihrem Optimismus eher auf einer Linie mit Eric Nussbaumer anzusiedeln, sie glaubt an das Gute im Menschen, sie glaubt an das Positive. ÂŤIch nenne keine Namen, aber die Zeiten der Politik des Pessimismus, der Politik der Aggression und der Politik der Angst, diese Zeiten sind vorbei.Âť Das sehe man auch auf europäischer Ebene. Mit welcher Kraft Nicolas Sarkozy und Angela Merkel die EU in diesen schwierigen Zeiten zusammenhalten, das ist fĂźr Haller Ausdruck eines grossen Optimismus. Und diesen brauche es, gerade jetzt, da der Schweiz ÂŤSchicksalsmonateÂť bevorstĂźnden. Sie nennt keine Namen, Frau Haller, aber sie meint natĂźrlich die SVP. Jene Partei, die in diesen Tagen durchgeschĂźttelt wird wie noch nie in ihrer Geschichte, jene Partei, die ihren grossen Optimismus spätestens seit den Bundesratswahlen verloren hat. Erbschaftsaffären, gescheiterte Ständeratswahlen, interne Kritik, diffuse Strategie – die Zeiten waren wahrlich schon besser. FĂźr das Gute kämpfen Darum ziert sich Toni Brunner erst auch ein wenig. Er, der personifizierte Frohsinn, der stets scherzende und leutselige Präsident der SVP, mag heute nicht wirklich optimistisch sein. ÂŤWir haben da drin ‌, er dreht sich um und schaut in den Nationalratssaal, ÂŤalle gegen uns.Âť Wichtige Themen, entscheidende Themen! Unsere Themen! – diese hätten bei den momentan herrschenden Machtverhältnissen im Parlament keine Chance. ÂŤDie Aussichten sind dĂźsterÂť, sagt er und verabschiedet sich zu einer Abstimmung im Saal.

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Optimistisch trotz allem. Toni Brunner, SVPParteipräsident.

Zivilgesellschaft bereit sind, Verantwortung zu ßbernehmen. Die Wahlen hätten gezeigt, dass auch die BevÜlkerung diesen Wunsch nach Sachorientiertheit, nach Ernsthaftigkeit teile. Die vernßnftigen Kräfte wurden gestärkt.

Sachlich, konstruktiv, positiv. Regula Rytz, Nationalrätin der Grßnen.

Als er wenige Minuten später wieder in der Wandelhalle steht, hat Brunner nichts Dßsteres mehr an sich. Wissen Sie, darum mache ich ja Politik. Weil ich fßr meine Themen kämpfen kann. Weil ich dafßr kämpfen muss. Im nächsten Jahr stßnden einige Abstimmungen an, an der Urne, nicht im Nationalratssaal, und es sind diese Abstimmungen, die Brunner eben doch optimistisch stimmen. Denn draussen, so ist der SVP-Präsident ßberzeugt, dort habe man noch Mehrheiten und mßsse sie nutzen. Es gelte, Konsequenzen zu ziehen aus den Ereignissen im Umland. Die Schweiz mßsse nicht ßberall dabei sein, mßsse sich nicht ßberall einmischen. Wir mßssen das Kleine bewahren. Unsere Eigenheiten, unsere Eigenständigkeit. Und es sei seine Partei, die die Aufgabe habe, das sicherzustellen. Darum sind wir hier. Um unser System zu bewahren. Um die Macht zu brechen. Und das wird uns auch gelingen. Er verabschiedet sich endgßltig und bewegt sich in die Richtung einer Gästegruppe. Brunner drßckt jedem die Hand und sagt strahlend: Willkommen. Willkommen! Webcode: @ajsbm Anzeige

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Das Kalkül der Kalorien-Dealer Ü

ber 50 Prozent der Schweizer seien übergewichtig, titelte kürzlich die «SonntagsZeitung». Na und? Seit Jahren sind Schlagzeilen solcher Art an der Tagesordnung in der heutigen Gesellschaft. Übergewicht ist im Begriff, das Rauchen als «Volkskrankheit» abzulösen. Doch während das Rauchen allgemein als schädlich erkannt ist, toben beim Übergewicht Glaubenskriege an allen Fronten: Ist der Lebensstil daran schuld oder die Ernährung? Werden Dicke diskriminiert oder haben gerade sie mehr vom Leben im Sinne von «rund und gesund»? Fragen wie diese werden in Talkshows und am Stammtisch leidenschaftlich diskutiert. In der Praxis werden derweil die Menschen dicker und dicker. Wir stehen vor einem Paradox, das der US-Ernährungsjournalist Michael Pollan treffend formulierte: «Wir sind eine bemerkenswert ungesunde Bevölkerung geworden, die besessen ist von Ernährung, Diäten und der Vorstellung von gesundem Essen.» Die Ernährung ist ein Problem Im Einzelfall kann das Dicksein sehr unterschiedliche Gründe haben: Ernährung, Bewegung, Veranlagung. Doch wenn Amerikaner, Franzosen, Briten, Deutsche, Italiener, Schweizer – kurz: Wenn die Menschen in allen entwickelten Gesellschaften der Welt im gleichen Zeitabschnitt immer dicker werden, dann schreit dies förmlich nach einer gemeinsamen Ursache. Weil sich das menschliche Erbgut nur sehr langsam verändert – so alle 100 000 Jahre ein bisschen – und weil jeder, der sich schon einmal auf einem dieser mit Kalorienzähler ausgerüsteten Laufbänder abgemüht hat, weiss, wie lange man sich abstrampeln muss, um bloss ein paar Dutzend Kalorien zu verbrennen, kann diese gemeinsame Ursache weder Veranlagung noch Bewegungsmangel sein: Sie muss in der Ernährung liegen. Diese Schlussfolgerung lässt sich leicht in der Praxis überprüfen. Ob New York, Paris, Rom oder Basel: Überall essen Menschen mehr oder weniger das Gleiche, nämlich industriell gefertigtes Convenience Food. Umgekehrt fällt jedem, der nach Tokio reist, sofort auf, dass die Menschen dort deutlich

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schlanker sind. Kein Wunder: Die Japaner meiden die westliche Diät – und das mit gutem Grund. Alles sei politisch, postulierten einst die 1968er-Revolutionäre. Was die Ernährung betrifft, stimmt dies heute noch. «Food Politics» heisst ein Buch der New Yorker Ernährungswissenschaftlerin Marion Nestle. Es zeigt eindrücklich auf: Was wir essen und was nicht, hat nicht nur mit unseren Vorlieben zu tun, sondern ist das Resultat ei-

Je künstlicher die Lebensmittel sind, desto mehr Profit springt raus. nes Interessenkonflikts, bei dem es um viel Geld und Macht geht. Die Ursache des Konfliktes ist dabei erschreckend banal: In den entwickelten Gesellschaften übertrifft das Nahrungsmittelangebot die Nachfrage bei Weitem. Rund 3900 Kalorien stellt gemäss Nestle die US-Nahrungsmittelindustrie jeder Amerikanerin und jedem Amerikaner täglich zur Verfügung – fast doppelt so viel, wie ein durchschnittlicher Mensch benötigt. In den USA mögen die Verhältnisse extremer sein als bei uns, doch auch hierzulande herrscht bei Lebensmitteln nicht Mangel, sondern Überfluss. Das hat Folgen. «Um unter diesen Bedingungen die Verkäufe zu erhöhen, machen Lebensmittelkonzerne Druck bei Regierungsstellen, schmieden Allianzen mit Gesundheitsberufen, bewerben Kinder, verkaufen Junkfood als Gesundheitsnahrung und sorgen dafür, dass Gesetze verabschiedet werden, die nicht der Volksgesundheit dienen, sondern den Interessen der Konzerne», stellt Marion Nestle fest. Mit ihrem alltäglichen Geschäftsgebaren trügen die Lebensmittelkonzerne dazu bei, dass mehr Nahrungsmittel verzehrt würden und dass die Wahl von gesunden Lebensmitteln vernachlässigt werde. «Mit Nahrungsmitteln kann man sehr viel Geld verdienen, solange man nicht versucht, es auf natürliche Art wachsen zu lassen», lautet ein zynischer Spruch. Tatsächlich: Das Getreide für unser Frühstücksmüesli kostet ein paar Rappen; Süssgetränke beste-

hen aus Wasser, Zucker und ein paar Geschmacksstoffen; Kartoffeln werden wirtschaftlich erst interessant, wenn sie zu Chips verarbeitet werden – die Liste liesse sich fortsetzen. Würde die Lebensmittelindustrie vorwiegend Frischgemüse und Getreide verkaufen, dann gäbe es weder Nestlé noch Coca-Cola. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat diese Industrie grosse Fortschritte gemacht. Heute ist sie in der Lage, billig und effizient produzierte Kalorien in eine Vielfalt von Produkten zu verwandeln, die nichts mehr mit ihrem Ursprung zu tun haben. Grundlage dazu bilden meist Mais oder Soja. Für die Lebensmittelwissenschaftler sind diese Pflanzen nicht mehr eigenständige Nahrungsmittel, sondern eine Art Basisstoff. In seinem Buch «Das Omnivoren-Dilemma» schildert Michael Pollan diesen Prozess wie folgt: «Pflanzen und Tiere werden in ihre Grundbestanteile zerlegt und neu in hochwertige Nahrungsmittelsysteme zusammengesetzt. Die natürliche Möglichkeit der Allesfresser, eine sehr grosse Anzahl von Lebensmitteln zu verdauen, wird so auf ein paar Pflanzen reduziert, und gleichzeitig wird auch die biologische Grenze, das Sättigungsgefühl, überwunden.» Billige Kalorien in Hülle und Fülle Die Lebensmittelindustrie ist Opfer ihres eigenen Erfolges geworden. Sie kann heute aus billigen Kalorien eine scheinbar unendliche Fülle von Convenience-Food-Varianten herstellen. Auch Fleisch, das im Zeitalter der mit Kraftfutter gemästeten Tiere eine Art umgewandelte Form von Mais und Soja geworden ist. Doch eines können selbst die raffiniertesten Ernährungswissenschaftler nicht ändern, den menschlichen Magen. Der Kalorienbedarf nimmt in der modernen Dienstleistungsgesellschaft nicht zu, sondern ab. Light-Produkte sind der naheliegende Weg aus diesem Dilemma. Deshalb sind Heerscharen von Wissenschaftlern damit beschäftigt, Zucker und Fett durch kalorienfreie Alternativen zu ersetzen. Immer öfters werden industriell produzierte Nahrungsmittel mit Stoffen veredelt, die sie angeblich gesund machen. Beides zusammen hat zu einer Ernährungsrevolution geführt. «Staatliche

Convenience Food: Pflanzen und Tiere werden in ihre Grundbestandteile zerlegt und zu künstlicher Nahrung verarbeitet – ein Riesengeschäft auf Kosten der Gesundheit. Foto: Hans-Jörg Walter

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Wirtschaft

Würden Lebensmittelproduzenten vorwiegend Frischgemüse und Getreide verkaufen, dann gäbe es weder Nestlé noch Coca-Cola. Das grosse Geld machen die Firmen mit vorgefertigtem Essen – die Folge: Die Menschen werden immer dicker. Von Philipp Löpfe

oder einem College exklusiv Getränkeautomaten aufstellen zu dürfen, sehr viel Geld locker. All dies wäre, wie es so schön heisst, eine klassische Win-Win-Situation: Arme Schulen erhalten von reichen Konzernen grosszügige Unterstützung und können Lehrer und teure Unterrichtsgeräte bezahlen. Es wäre eine Win-WinSituation – wenn die Getränke nicht so viel Zucker enthalten würden. Dickmacher für arme Schulen

Experten, Ernährungswissenschaftler und Gesundheitsbeamte haben die Art und Weise, wie wir essen und wie wir über das Essen denken, dramatisch verändert», so Michael Pollan. «Wir haben das grösste Ernährungsexperiment in der Geschichte gestartet. 30 Jahre später haben wir allen Grund festzustellen, dass der Versuch gescheitert ist. Die Ernährungsexperten haben nicht nur unser Essen ruiniert, sie haben auch nichts für unsere Gesundheit erreicht.» Wie sehr die Politik das Essverhalten beeinflussen kann, zeigen die «Cola-Kriege» an US-Schulen. Worum gehts? In den USA werden die Schulen aus den Gemeindesteuern bezahlt. Das hat zur Folge, dass arme Gemeinden

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kein Geld und somit schlechte Schulen haben. Für die beiden grossen ColaHersteller Coca-Cola und Pepsi-Cola ist dies eine willkommene Chance: Sie bieten diesen Schulen Geld an gegen das Recht, Getränkeautomaten aufstellen zu können. Für die Konzerne ist das doppelt interessant: Erstens sind Schüler und Studenten ein sehr attraktives Zielpublikum – der Durchschnittskonsum von Cola pro Schüler und Tag beträgt zwei Dosen –, und zweitens werden hier junge Menschen auf eine Marke eingeschworen. Marketingfachleute wissen, dass solche Schwüre oft ein Leben lang halten. Die Cola-Hersteller machen deshalb für das Recht, an einer Schule

Den Betroffenen ist das durchaus bewusst. Marion Nestle zitiert einen Rektor aus Ohio wie folgt: «Es hat uns nachdenklich gemacht, dass unsere Schüler gezwungen werden, für ihre Erziehung mit dem Kauf von Softdrinks zu bezahlen. Schlussendlich haben wir aber entschieden, dass dies nicht der Fall sein muss, denn jeder Schüler hat die Wahl zu kaufen oder nicht zu kaufen. Warum sollten die Schulen nicht von diesem Geldsegen profitieren? Alle gewinnen schliesslich: die Studenten, die Schulen und die Gemeinschaft. Und für einmal werden die Steuerzahler verschont.» Der Zynismus dieser Argumentation verdient es, diese nochmals speziell auszudeutschen. Das US-Steuersystem ist so beschaffen, dass grosse Unterschiede in der finanziellen Potenz der einzelnen Schulgemeinden bestehen und arme Kinder schon früh krass benachteiligt werden. Diesem Missstand wird damit abgeholfen, indem man – überspitzt formuliert – die Drogenhändler legal auf dem Pausenplatz agieren lässt. Will heissen: Mit dem Verkauf von Süssgetränken wird einer der bekanntermassen schlimmsten Dickmacher aktiv gefördert. Das Resultat: Altersdiabetes ist zunehmend bereits bei Jugendlichen zu beobachten. Parallel dazu explodieren die Gesundheitskosten wegen Fettleibigkeit. Die Ideologie der Steuervermeidung schlägt auf geradezu absurde Weise in ihr Gegenteil um. Es gibt eine Antithese zu dieser Politik. Dänemark hat im vergangenen Sommer eine sogenannte Fettsteuer eingeführt. Wie Alkohol und Tabak werden Esswaren mit hohem Fett-, Zucker- und Salzgehalt mit einer Abgabe belegt. Die Fettsteuer ist von einer kon-

servativen Regierung und mit grosser Zustimmung der Bevölkerung beschlossen worden. Inzwischen haben die Sozialdemokraten die Wahlen gewonnen und den Steuersatz bereits verdoppelt – schliesslich ist die Fettsteuer in diesen harten Zeiten ein willkommener Zustupf für die leere Staatskasse. Doch sie ist natürlich nicht für diesen Zweck eingesetzt worden. Die Skandinavier im Allgemeinen und die Dänen im Speziellen haben ein ganz anderes Verhältnis zu Steuern und Staat als die Angelsachsen. Steuern sind nicht des Teufels. Es ist okay, die Menschen mittels fiskalischen Anreizen auf den richtigen Weg zu bringen. Die Dänen handeln nach der Devise: «Wenn etwas den Menschen schadet, aber nicht so sehr, dass es verboten werden muss, dann besteuern wir es.» Convenience Food ist ein Triumph der Nahrungsmittelindustrie. Sie hat uns billige Lebensmittel gebracht, die im Nu zubereitet sind. Volkswirtschaftlich gesehen ist sie ein Desaster. «Dreissig Jahre industrielle Ernährung haben dazu geführt, dass wir dicker, kränker und schlechter ernährt sind», stellt Mi-

Ernährungstechnik hat unser Essen ruiniert und uns dicker gemacht. chael Pollan fest. «Deshalb befinden wir uns in der misslichen Situation, in der wir uns fragen müssen: Brauchen wir eine ganz neue Art, über unsere Ernährung nachzudenken?» Angesichts der Tatsache, dass der Trend zur Fettleibigkeit anscheinend nicht zu stoppen ist, angesichts der Tatsache, dass in der modernen Welt ein grosser Teil der Nahrung weggeworfen wird und in der Dritten Welt ein grosser Teil verdirbt, brauchen wir mehr: eine neue Ernährungspolitik. Webcode: @ahzyd

Marion Nestle: Food Politics, University of California Press, Berkley, 2002 Michael Pollan: In Defense of Food, The Penguin Press, New York, 2008 Michael Pollan: The Omnivore’s Dilemma, Penguin Books, New York, 2006

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I NTE R NATIONAL

Jahrestreffen der Chabad-Gesandten in Crown Heights/New York: Die Chabad-Bewegung schickt Gesandte in alle Welt, um Juden für das orthodoxe Judentum zu gewinnen.

Koschere Pizzen, W Gebetsfabriken und anständige Thriller Auf dem Basler Marktplatz erinnert ein riesiger achtarmiger Leuchter daran, dass Juden im Dezember Chanukka feiern. Im jüdisch geprägten New York gehen das Lichterfest und Weihnachten seit Langem Hand in Hand. Text: Susanna Petrin, Fotos: Julian Voloj

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enn er durch Luzern gehe, sagt Chaim Drukman, passiere es ihm täglich, dass die Leute mit dem Finger auf ihn zeigten. Sie sehen einen Mann mit langem Bart, dunklem Mantel und schwarzem Hut. Drukman ist ein streng orthodoxer Jude, ein chassidischer Rabbi aus der Chabad-Lubavitsch-Dynastie. Sein Anblick ist für viele Zentralschweizer fremd. In Zürich, Genf und Basel, wo 70 Prozent der rund 18 000 Schweizer Juden wohnen, wird weniger oft auf Drukman gezeigt. Doch stellen auch in diesen Städten viele auswärtige Juden erstaunt fest, wie wenig der grösste Teil der Schweizerinnen und Schweizer über das Judentum weiss. Dem möchten Chaim Drukman und andere Chabad-Rabbiner entgegenwirken. Im Gegensatz zu anderen ultraorthodoxen Strömungen sind die Chabad-Lubavitsch-Anhänger offen für nichtreligiöse Juden und Nichtjuden. Seit 60 Jahren reisen sie aus Israel oder ihrem New Yorker Hauptsitz in alle Winkel der Welt, um Juden ihre Religion näherzubringen. Rund 3600 sogenannte «Schluchim» (Gesandte), meist Ehepaare, haben inzwischen in 70 Ländern einen Posten aufgebaut. Auch in der Schweiz gibt es sieben Chabad-Zentren, eines steht in Basel. «Wer mehr weiss, hasst weniger», sagt Drukman.

Szenenwechsel. 13. Avenue in Borough Park, Brooklyn, New York. Wer als Mann nicht schwarz-weiss gewandet, mit Bart und Hut oder Schläfenlocken und Kippa, oder als Frau nicht mit sittsamem Rock, langen Ärmeln und Kopftuch oder Perücke durch die Strasse läuft, fällt sofort als Aussenseiter auf. Hier schlägt das Herz der jüdisch-chassidischen Szene New Yorks. Nirgendwo in den USA findet sich eine dichtere ultraorthodoxe Gemeinschaft, ist die Vielfalt jüdischer Strömungen grösser als im Stadtteil Brooklyn – mit Ausnahme von Israel selber. Abgeschlossene Welt aufgebaut Koschere Pizza-, Chilli- und Fallafelbeizen säumen die Hauptstrasse von Borough Park, Geschäfte verkaufen Silbergeschirr für jedes Ritual, koschere Kleidung, frischen Fisch oder Zeitungen in Hebräisch und Jiddisch. Im Warenhaus Eichler’s gibt es alles – vom jüdischen Brettspiel «Mitzvah Millionaire» über für Orthodoxe zuträgliche Thriller bis zu sämtlichen Abenteuern von Uncle Moishy in Buch- und CDForm. In einer «Minyan-Factory», einer Gebetsfabrik, ist es für Männer jederzeit möglich, zu zehnt in einem Raum zu beten – drei Mal täglich ist dies Pflicht.

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International

Schützlinge. Shlomi hat seine Schläfenlocken auf halbe Länge gestutzt und diskret hinter die Ohren gesteckt, dazu trägt er eine Kippa, einen kurzen Bart und einen blauen Pullover. «Ich arbeite im Musikbusiness, ich muss ein wenig modern sein», sagt er. Als Teenager habe er sich aus Protest die Schläfenlocken und den Bart einmal ganz schneiden lassen. Heute scheint er zwischen den Welten hin und her gerissen zu sein. Viele religiöse Gruppierungen

Wie seit je werden die Torahrollen auch heute noch von Hand beschrieben – das Erstellen einer Torahrolle dauert Monate.

Williamsburg Bridge: Die Brücke führt zum alten jüdischen Einwandererviertel der Lower East Side – heute eines der coolsten Viertel New Yorks.

Es ist Freitag, alle machen sich bereit für den Schabbat-Abend, der an diesem Dezemberabend exakt um 15.59 Uhr mit dem Sonnenuntergang beginnen wird. Die Männer kaufen Blumen für ihre Frauen, die Frauen kaufen noch ofenwarme Challas für ihre Familien – Zöpfe ohne Butter. Wie in weiteren Brooklyner Quartieren hat die ultraorthodoxe Gemeinde sich hier, ganz in der Nähe von Künstlern, Bohemiens und Hipstern, eine abgeschlossene Welt aufgebaut. Hier funktioniert alles nach den 365 Verboten und 248 Geboten, die sich aus der Torah, dem Kern des alten Testaments, sowie diversen Religionsgesetzen herauslesen lassen. Streng orthodoxe Menschen, Gemeinden und Quartiere sind hier Teil des Alltags. Gemäss letzter Volkszählung leben rund zwei der insgesamt 5,4 Millionen US-Juden in der Metropolitanregion New York. Laut Schätzungen von Sergio DellaPergola von der Hebrew University of Jerusalem leben landesweit 600 000 bis 700 000 Juden orthodox, der grösste Teil in Brooklyn. Die ersten hier ansässigen Juden sind um die vorletzte Jahrhundertwende vom ursprünglichen Judenviertel, der Lower East Side in Manhattan, hierhergezogen, um grössere und erschwinglichere Wohnungen zu bezie-

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hen. Anfänglich pendelten viele dieser Juden zum Einkaufen, Arbeiten und für Synagogenbesuche in die Lower East Side, das ist längst nicht mehr nötig. Die meisten jüdischen Emigranten kamen zwischen 1880 und 1924 aus Osteuropa. Vor allem russische Juden flohen vor Pogromen und bitterer Armut. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgten Holocaust-Überlebende; rund 100 von ihnen, inzwischen hochbetagt, tref-

Streng orthodoxe Gläubige sind in Brooklyn Teil des Alltags. fen sich bis heute in einem Gemeindezentrum in Borough Park. Menachem Kaiser und ein Freund von ihm, der nicht genannt werden will, führen mich an diesem Freitag durch das Quartier. Menachem trägt Alltagskleidung, aus Höflichkeit hat er heute seinen Kopf mit einer Baseball-Mütze bedeckt; er ist Jude und interessiert sich für die Kultur und Traditionen seiner Vorfahren, aber er ist nicht religiös. Sein Freund, nennen wir ihn Shlomi, managt orthodoxe Musiker. Stolz zeigt er im Eichler’s auf die CDs einiger seiner

Menachem, Shlomi und Rabbi Drukman: drei Juden, drei komplett verschiedene Bezüge zu ihrer Religion. Es gibt unter Juden etliche Abstufungen von ultraorthodox bis säkular. Die Ultraorthodoxen sind eine Minderheit, über deren strenge Sitten mancher modern-orthodoxe Jude den Kopf schüttelt. Derweil die meisten strenggläubigen Juden alle anderen als nicht richtige Juden wahrnehmen. Nur die Ultraorthodoxen folgen einer strengen Interpretation des Religionsgesetzes, nur sie fallen ausserhalb ihrer Quartiere optisch auf. Für Laien mögen die Ultraorthodoxen alle gleich aussehen, doch in dieser Gruppe gibt es Dutzende von Untergruppierungen mit je eigenen Traditionen, Ritualen, Abstammungen, Dialekten und Kleidungen. Oft sind die Strömungen untereinander uneins bis zerstritten. In Borough Park sind vor allem die osteuropäischen Bobov zu Hause, in Williamsburg die in sich geschlossenen und antizionistischen Satmar ungarischen Ursprungs, in Crown Heights die nach aussen offenen, aber nach innen streng orthodoxen Chabad-Lubavitsch. Diese drei zählen zu den bekanntesten Höfen des Chassidismus, eine volksnahe Bewegung, die ihren Ursprung im Osteuropa des 18. Jahrhunderts hat. Ihre Kernidee: ein gemeinschaftliches, freudiges, emotionales Erleben von Gott. Im Gegensatz dazu sind andere ultraorthodoxe Strömungen rational geprägt. Einmal im Jahr reist Chaim Drukman nach Brooklyn zu Workshops und anschliessendem Bankett mit seinesgleichen. Der Kontrast zu seinem Leben in Luzern könnte grösser nicht sein. Hier sitzen in einer riesigen Halle an rund 145 Tischen rund 3999 weitere, die ausschauen wie er. Als einzige anwesende Frau bin ich herzlich willkommen, darf aber keinen Rabbi berühren, denn Körperkontakte zwischen Mann und Frau sind bei Ultraorthodoxen verboten – ausser es handelt sich um die Frau, Mutter oder Grossmutter des Mannes. Nach dem Essen spielt die Musik auf, alle 4000 Chabad-Rabbiner springen auf und tanzen ausgelassen. Die ultraorthodoxe trägt viele Züge einer heilen Welt. Die Frauen besuchen kranke und alte Menschen, die Armen bekommen Essen und Geld. Man hilft und unterstützt sich, wo man kann. Doch es gibt auch dunkle Seiten. Auch unter den Ultraorthodoxen gibt es Fälle von sexuellem Missbrauch. Doch die Chance, dass die Täter angemessen bestraft werden, ist geringer, weil Gemeindemitglieder ungern weltliche Gremien

einschalten. Lieber gehen sie mit strafrechtlich relevanten Problemen zu ihrem Rabbi. Doch findet laut «New York Times» seit drei Jahren eine Trendwende statt: Eine Rekordzahl Ultraorthodoxer hat, unzufrieden mit der gemein-deinternen Regelung, Missbrauchsfälle der Staatsanwaltschaft gemeldet. Politisch hat das Rabbinat ebenfalls starken Einfluss. Ein Rabbi könne, so sagen Insider, mehr oder weniger vorgeben, wie seine Gemeindemitglieder wählen sollen. Gemeindeoberhäupter und Lokalpolitiker spannen zusammen, Wählerstimmen stehen im Tausch gegen Gefälligkeiten. Ultraorthodoxe wählen eher konservativ, republikanisch – säkulare Juden eher demokratisch. Ganz schwer haben es ultraorthodox erzogene Juden, die ein freieres Leben führen wollen. Hella Winston beschreibt in ihrem Buch «The Unchosen», wie so manche chassidische Juden sich heimlich ins Kino, die Bibliothek oder zu einem nichtjüdischen Partner stehlen. Shlomi hat Glück, seine Familie kommt offenbar mit seinen Rebellionen einigermassen zurecht. Wer die Regeln missachtet, riskiert, von der Gemeinde geächtet zu werden. Nur wenige haben den Mut zum Ausstieg. Dieser gestaltet sich auch aus praktischen Gründen schwierig: Die meisten ultraorthodoxen Männer sind vor allem religiös ausgebildet, manche können sogar nur schlecht Englisch. Ihre Frauen, die mit weltlichen Dingen wie der Buchhaltung betraut sind, haben es da ein wenig einfacher. Orthodoxe werden orthodoxer Noch vor wenigen Jahrzehnten hatten viel mehr Ultraorthodoxe eine weltliche Ausbildung und waren im Arbeitsmarkt integriert. Doch während moderne Juden die Torah alltagstauglich auslegen, findet bei den Ultraorthodoxen seit einigen Jahren der gegenteilige Prozess statt: «Die Orthodoxen werden immer orthodoxer», beobachtet etwa Ilana Abramovitch, Herausgeberin des Buches «Jews in Brooklyn». Die Toleranz der restlichen Gesellschaft ermöglicht eine gewisse Intoleranz und Distanzierung der Religiösen. Und, so scheint es von aussen, eine Ausnutzung der Frauen. Abramovitch versucht jedoch, die Welt der Religiösen aus ihrer Perspektive zu verstehen: «Ein grosser Teil der orthodoxen Frauen ist glücklich mit der ihnen zugeteilten Rolle. Alles gewinnt durch den Glauben und das Vertrauen in Gott einen höheren Sinn.» Jetzt wird das fröhliche Chanukka gefeiert – salopp gesagt, das jüdische Pendant zu Weihnachten. An den achtarmigen Leuchtern brennt das dritte Licht. In New York stehen die Chanukka-Leuchter in Läden, Wohnblöcken und Hotels ganz selbstverständlich neben Weihnachtsbäumen, gegenüber des Plazas steht der grösste der Welt. Auch in Luzern oder auf dem Marktplatz in Basel steht ein grosser Leuchter im Stadtzentrum, aufgestellt von Drukman und weiteren Chabad-Rabbinern. Drukman sagt: «Wir möchten mit allen Menschen feiern.» Webcode: @ajaea

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LE B E N

Weihnachten in Zeiten der Patchworkfamilie Auch wenn geschiedene Eltern und ihre Kinder die Zeit der Trennung gut überstanden haben – der Härtetest ist erst bestanden, wenn die Weihnachtstage organisiert sind. Von Monika Zech

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as Weihnachtsfest ist das Familienfest des Jahres schlechthin, die Zusammenkunft so heilig wie die Familie, der am Heiligen Abend gehuldigt wird. Aber anders als jene Familie vor zweitausend und elf Jahren, die so übersichtlich aus Vater, Mutter und Kind bestand, verfügen die meisten lebenden Familien über einen komplexen Anhang. Die Eltern haben noch eigene Eltern, Geschwister, Schwiegereltern, eventuell auch Grosseltern – sie alle wollen in den Weihnachtstagen besucht oder eingeladen werden. Die Kinder finden das super. Sie dürfen damit rechnen, von jedem Familienmitglied ein Geschenk zu erhalten. Je mehr Mitglieder, desto mehr Geschenkli. Das ist klar. Doch für die Erwachsenen gehört es zu den grössten logistischen Herausforderungen des Jahres, die Weihnachtstage zu organisieren. Nicht wegen der Kocherei, nein, Fondue chinoise löst dieses Problem locker. Die Frage aller Fragen ist die: Wann feiert wer bei und mit wem? Solange die Familienverhältnisse ordentlich sind, gehts einigermassen. Die Schwiegermutter ist zwar jedesmal beleidigt, wenn der Besuch bei ihr erst am zweiten Weihnachtstag geplant ist. Sie fühlt sich gegenüber den anderen (Schwieger-)Eltern zurückgesetzt; der 26. sei zweitrangig, sagt sie. Irgendwie kein richtiger Weihnachtstag mehr. Dieses Problem lässt sich lösen, indem man auf solche Befindlichkeiten Rücksicht nimmt und, wenn immer möglich, die anderen, weniger empfindlichen (Schwieger-)Eltern am 26. trifft. So reichen die drei Festtage knapp, um den Ansprüchen aller gerecht zu werden. Etwa so: Heiligabend feiert die Kernfamilie – Vater, Mutter, Kinder, am 25. besucht sie die Seite mit der empfindlichen Schwiegermutter, am 26. die andere. Selbstverständlich gibt es auch andere Modelle. Wenn sich beide (Schwieger-)Elternpaare gut verstehen, ist eine gemeinsame Weih-

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nachtsfeier möglich. Dann bleibt sogar ein festfreier Tag übrig. Geschieden und dann Patchwork Nun ist es aber so, dass etwa die Hälfte der Ehen geschieden werden. Der Partner fürs Leben hat dem Lebensabschnittspartner Platz gemacht. Die heute sehr verbreitete Familienform heisst Patchwork. Und je älter die Mitglieder, desto bunter die Zusammensetzung. Nehmen wir folgendes Modell – ein durchaus realistisches übrigens: ein Paar um die 50. Die Frau hat zwei erwachsene Kinder von zwei verschiedenen Lebensabschnittspartnern, der Mann ist ebenfalls Vater von zweien –

Die Frage aller Fragen ist: Wann feiert wer bei und mit wem? aber immerhin haben diese die gleiche Mutter. Damit wir die Übersicht nicht verlieren, eine erste Zusammenfassung: Da sind drei Väter und zwei Mütter. Nun haben aber die vier erwachsenen Kinder bereits Partner, und entsprechend der Scheidungsstatistik haben sich die Eltern von zweien dieser Partner auch irgendwann einmal getrennt und sind neue Beziehungen eingegangen. Es wird kompliziert.

fachheit halber vorläufig mal weg und kehren zu den Eltern zurück: Alle zusammenzuführen, ist unmöglich. Bei aller gelebten Toleranz – in Brüche gegangene Liebesbeziehungen um einen Tisch zu versammeln, ist nicht unbedingt die beste Voraussetzung für ein gelungenes Fest. Was nun?

Grosseltern aussen vor Eine einzige Katastrophe Zu den drei Vätern und zwei Müttern der Patchwork-Kernfamilie kommen vier Mütter und vier Väter dazu, von denen je zwei nicht mehr zusammenleben. Dennoch ist davon auszugehen, dass alle diese Mütter und Väter irgendwann mit ihren Kindern Weihnachten feiern möchten. Die allenfalls noch lebenden Grosseltern, respektive (Schwieger-)Eltern lassen wir der Ein-

Manchmal liegen die Feiertage arbeitstechnisch so günstig, dass zwei bezogene Frei-Tage gleich eine ganze Ferienwoche ergeben. Dann steht ein bisschen Spielraum zur Verfügung. Aber in diesem Jahr? Eine einzige Katastrophe, nur ein mickriger Frei-Tag mehr als an einem gewöhnlichen Wochenende. Wie soll das bloss funktionieren? Man kann

es drehen und wenden, wie man will – selbst wenn man die noch lebenden Grosseltern der erwachsenen Kinder definitiv von der Liste streicht: Es bräuchte zwingend mehr Feiertage, damit alle Patchworker unserer Modellfamilie auf ihre Kosten kommen könnten. Immerhin, es gibt in der Regel ein paar, die wir abziehen können. Zum Beispiel: Glücklicherweise ist einer der Väter vor ein paar Jahren ausgewandert, ein anderer hat sich sonst irgendwie von der familiären Verantwortung verabschiedet, und eine der Mütter macht mit ihrer neuen Familie in den Bergen Skiurlaub. Die empfindliche Schwiegermutter fällt auch weg, sie hat den Kontakt abgebrochen. Das ganze Chaos – mit den Trennungen und Neupaarungen – ist ihr zu viel geworden.

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Das andere noch lebende Gross- bzw. (Schwieger-)Elternpaar ist bei einer Schwester des Mannes unserer KernPatchwork-Familie eingeladen. Da wird allen schwindlig Damit verbleiben noch: das Lebensabschnittspaar mit den insgesamt vier erwachsenen Kindern und deren Partnern, ein Vater des einen Sohns, ein weiterer von dessen Partnerin, die Mutter des Partners der Tochter, sowie die zwei noch zusammenlebenden Elternpaare von den restlichen beiden Partnern der Kinder. Falls einen die Aufzählung nicht vollkommen schwindlig gemacht hat, ergibt das eine Summe von sechs Terminen. Stets vorausgesetzt, dass die erwachsenen Kinder nicht auch noch ein eigenes kleines Weihnachtsfest einfordern. Alles Doodeln nützt nichts

Weihnachten 1921, als die (Familien-)Welt noch in Ordnung war: Für moderne PatchworkFamilien wird bereits die Terminfindung zum fast unlösbaren Problem. Foto: Keystone/Everett Collection

Es ist klar: Ohne weitere Abstriche sind harmonische Weihnachten immer noch in weiter Ferne. Da nützt alles Doodeln nichts. Nach genauer Analyse der Situation kristallisiert sich nur diese eine Lösung heraus: Der Vater des Sohns muss weg, denn der ist der einzige, mit dem das Lebensabschnittspaar eine Vergangenheit teilt. Aber bitte keine Missverständnisse – ermorden muss man ihn deswegen nicht. Nein, das Lebensabschnittspaar lädt einfach seine vier Kinder und ihre Partner inklusive deren noch verbliebenen Eltern zu sich nach Hause ein. Denn diese haben keine vorbelasteten Beziehungen untereinander. Sogar in Sachen Termin gibt es dann plötzlich Spielraum. Falls der Ex der Frau nicht mit seinem Sohn am 26. feiern will, weil er den 26. nicht als richtigen Weihnachtstag empfindet, soll er ihn doch am 25. haben. Das Lebensabschnittspaar sieht das nicht so eng. Hauptsache, Weihnachten ist gerettet. Wenigstens in diesem Jahr. Bleibt zu hoffen, dass die aktuellen Paarungen auch im kommenden Jahr noch gelten, sonst beginnt die ganze elende Rechnerei von vorne. Obwohl – 2012 braucht es nur zwei Frei-Tage, um eine Brücke zu Neujahr zu bauen. Webcode: @ajknk

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Maria und Josef – oder: Eine Art W Ein Paar macht eine Reise. Die beiden schreiben sich gegenseitig eine Postkarte. Wie das KartenSpiel ausgeht, bestimmen Sie, liebe Leserin, lieber Leser. Von Luzius Lenherr

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ie wussten später nicht mehr, wer von ihnen auf die Idee gekommen war. Jeder vermutete, der andere sei es gewesen. ÂŤDu hast mich reingelegtÂť, war noch der sanfteste der gegenseitigen VorwĂźrfe. Ich sehe die beiden am Nebentisch. Sie sitzen am beleuchteten Pool im Garten des Hotels. Ein Wasserfall plätschert ins chlorblaue Becken. Beide schreiben. Postkarten. Die Abreise naht. Und so muss das zu lange schon Hinausgeschobene endlich getan werden. AdressbĂźchlein werden durchgeblättert, Postleitzahlen entziffert. Der Kellner serviert ÂŤPisco sourÂť. ÂŤUnterschreibst du hier auch?Âť ÂŤWer ist es? Muss ich?Âť ÂŤDu kannst.Âť Und dann hĂśre ich: ÂŤSchreiben wir uns auch eine? – Ja?Âť ÂŤSo einen richtigen Herzenswunsch?Âť Er lacht und denkt, in einem Monat ist Weihnachten. ÂŤOder was wir uns schon lange sagen wollten und es nicht getrauten?Âť ÂŤJa, so ganz offen!Âť ÂŤAbgemacht.Âť

Sie hatte sich einen Leguan aus dem nahen Urwald ausgesucht, wusste nicht recht weshalb, aber er hatte einen Blick wie aus der Steinzeit, der KĂśrper, geschunden und geschuppt, sah sprĂśde aus, und irgendwie hilfsbedĂźrftig, aber sein Auge, das direkt in die Kamera sah, war die Sicherheit und die Ruhe selbst. Er hatte die Katarakte ausgewählt. FĂźr etwas waren sie ja hierher gereist. Schäumende Wassermassen, die in die Tiefe stĂźrzten. EindrĂźcklich. Als wenn es mal aus ihm hätte herausmĂźssen. Runter mit GetĂśse, wie das Schiff von Fitzcarraldo. Sie sind jung und machen dennoch den Eindruck eines alten Paares. Ruhige Mitreisende in unserer Exkursion. Immer zusammen. Verschwanden frĂźh ins Hotelzimmer. Kamen – fĂźr mich sympathisch – immer als Letzte zum FrĂźhstĂźck, schläfrig, zufrieden. Sie beugen sich ernsthaft Ăźber den Tisch. Wie Kinder, die Hausaufgaben machen. Es ist nicht einfach, auf dem beschränkten Platz der Postkarte, in aller KĂźrze. Aber es will ja schon lange heraus. Also: ÂŤJa, ich will Dich, ich liebe Dich etc. Und der PĂśstler soll es ru-

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t Weihnachtsgeschichte hig vorher lesen, soll es meinetwegen dem ganzen Quartier verkĂźnden, es ist so, Deine Maria.Âť Und ganz deutlich, aber in kleinerer Schrift hatte sie ein P.S. daruntergesetzt: ÂŤWenn ich mich nicht täusche, bin ich schwanger.Âť Und er: ÂŤLiebe Maria, ich bringe es nicht Ăźber die Lippen, ich schreibe es auf die Karte hier und versichere Dir – es tut mir unendlich leid. Aber ich kann nicht anders, ich will aufhĂśren – und bringe den Mut nicht auf, Dir das offen zu sagen. Aber ich mĂśchte unsere Beziehung zurĂźckfahren, eigentlich abbrechen. Aber wir kĂśnnen Freunde bleiben. Alles andere mĂźndlich – und jetzt, jetzt bin ich unendlich erleichtert, Josef.Âť Die Karten werden frankiert, an der Rezeption abgegeben. Die Botschaften treten die Reise an, im leinenen Postsack, durcheinandergeschĂźttelt im roten Lieferwagen auf der ungeteerten Strasse. Sie wirbeln fast so wie die Karten bei der Millionenverlosung, mal sind sie einander ganz nahe, berĂźhren sich fast und verschwinden dann wieder. Irgendwann werden sie von harter Hand abgestempelt, landen später im Riesenbauch

eines Cargofliegers, um Ăźber den Atlantik und in die nĂśrdliche Hemisphäre gebracht zu werden, in den Advent, der hier unten so sommerlich ist. Es sei denn, die sprachgewandte, feine Dame an der Rezeption, selber Ăźber die Ohren verliebt, hätte die Karten gelesen – und Schicksal gespielt. Aber wessen? Den Text von Maria fĂźr

Beide zweifelten sie hie und da an ihren klaren, kurzen Botschaften. sich kopiert, fĂźr ihren neuen Freund in Alemania? Und hätte die Karte dann liegengelassen, oder die von Josef schlicht unterschlagen? Frauenlist? Oder – es sei denn, der hartgesottene, mĂźrrische Nachtportier, der die Postkarten der Gäste nach Kontinenten und Ländern zu sortieren hat, hätte geschlampt, die eine oder die andere eingesteckt, zum Beispiel als Liebhaber

von Wasserfällen, die er selber in jeder freien Minute besuchte, oder den Leguan in seinen Spind geklebt? Tatsache war, dass die verbleibenden zehn Tage der Reise und die Aussicht auf die baldige Heimkehr und das Wiederdaheimseins, fĂźr beide zu einer wunderschĂśnen Zeit wurde. Einerseits in der Vorfreude der Liebeskartenankunft, anderseits in den nun abgezählten Stunden des Noch-nicht-Enttäuschtseins. Beide zweifelten sie zwar hie und da an ihren klaren, kurzen Botschaften, aber sie schienen irgendwie auch erleichtert zu sein, ergingen sich sogar in Andeutungen, die sie zwar als fast etwas widersprĂźchlich empfanden, was aber alles gleichzeitig umso geheimnisvoller machte. Nicht nur aus SĂźdamerika brauchen Postkarten ihre Zeit. Aber an einem Freitag, und das war in diesem Jahr genau der Vortag des Heiligen Abends, kam eine der Ansichtskarten an ‌ Webcode: @aizif

Luzius Lenherr ist Autor, Filmemacher und im Schulbereich tätig.

Das Ende der Geschichte, liebe Leserin, lieber Leser, kÜnnen Sie selber mitgestalten. Wie soll es weitergehen? Entscheiden Sie unter folgenden MÜglichkeiten: a) Nur Josef hat den Briefkastenschlßssel – Marias Karte ist angekommen, Webcode: @ajqdl b) Nur Josef hat den Briefkastenschlßssel – Josefs Karte ist angekommen, Webcode: @ajqdm c) Maria hat den Schlßssel – Josefs Karte ist angekommen, Webcode: @ajqdn d) Maria hat den Schlßssel – Marias Karte ist angekommen, Webcode: @ajqdo Falls Sie keinen Computer besitzen, schicken wir Ihnen die vier Varianten gern per Post. Schreiben Sie uns: TagesWoche, Gerbergasse 30, 4001 Basel

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23. Dezember 2011

Interview

«Die Schweiz muss ihre neue Rolle in der Welt noch finden» Nach fünf Jahren verlässt EU-Botschafter Michael Reiterer die Schweiz. Ein Gespräch über falsche Wahrnehmungen. Interview: Philipp Loser und Urs Buess, Fotos: Basile Bornand

M

ichael Reiterer befindet sich in diesen Tagen auf einer veritablen Abschiedstour. Alle wollen noch einmal mit dem abtretenden EU-Botschafter reden, gerade heute, da die EU-Skepsis in der Schweiz einen Höchststand erreicht hat. Reiterer lässt sich von der Kritik nicht beirren. Entspannt sitzt er in einem der bequemen Sessel des Europainstituts in Basel, in dem er an diesem Freitag im Dezember einen Vortrag hält, und kontert die Angriffe gegen die EU lässig. Man merkt: Der macht das hier nicht zum ersten Mal.

Die Schweiz wird drei Monate lang von einer Wahl lahmgelegt, bei der nichts passiert. Was denkt sich der EU-Botschafter dabei? Die Schweiz befindet sich in einem Wahlmarathon. Zuerst das Parlament, dann der Bundesrat. Da gelten in jedem Staat der Welt eigene Gesetzlichkeiten. Das ist relativ normal. So viel Theater ringt Ihnen nicht ein kleines Schmunzeln ab? Nein. Ich respektiere die politischen Vorgänge in meinem Gastland und sage dazu nichts weiter. In innere Angelegenheiten habe ich mich nie eingemischt. Der Historiker Thomas Maissen sagte kürzlich in einem Interview mit der TagesWoche, die Bildung des Schweizer Bundesstaates und ihre direkte Demokratie könnten ein Vorbild für die politische Integration in Europa sein. Das ist

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auch ein weitverbreitetes Argument von Schweizer EU-Befürwortern. Nimmt man diesen Diskurs über die direkte Demokratie in Brüssel überhaupt ernst? Er wird sicher ernst genommen. Wenn Sie sich anschauen, wie die europäische Union aufgebaut ist, dann finden Sie schon heute mehr Gemeinsamkeiten mit der Schweiz, als die Leute wahrnehmen wollen. In der EU haben wir als Exekutive die europäische Kommission, die wie die Schweizer Regierung sich nicht auf eine fixe Koalition im Parlament stützt und sich je nach Geschäft unterschiedliche Mehrheiten suchen muss. Es gibt auch bei der Legislativen eine Zweiteilung wie in der Schweiz. Wir haben einerseits den Ministerrat, der als Ländervertretung mit dem Ständerat verglichen werden kann, und andererseits das seit 1979 direkt gewählte Parlament, vergleichbar dem Nationalrat. Seit dem Vertrag von Lissabon haben wir ausserdem mit der Bürgerinitiative ein direktdemokratisches Element: mit einer Million Unterschriften können Unionsbürger die Kommission veranlassen, ein neues Gesetz zu erarbeiten. Das sind im Verhältnis etwa gleich viele Unterschriften, wie in der Schweiz für ein Referendum benötigt werden. Sie dürfen die Grössenordnung nie vergessen – in der Schweiz leben 8 Millionen Menschen, in der Europäischen Union 500 Millionen. Das mag alles stimmen. Dennoch hat man in den vergangenen Mo-

naten das Gefühl gehabt, in Europa sei die Demokratie weniger wert als auch schon – den Griechen wurde eine Volksabstimmung über ihr Sparprogramm verwehrt. Mit Griechenland wurden schon seit zwei Jahren Gespräche geführt, wie aus der Krise herauszukommen sei. Nach schwierigen Verhandlungen hatte man sich im Europäischen Rat auf eine Lösung geeinigt, mit der auch Griechenland einverstanden war. Erst danach kam völlig überraschend der Vorschlag des Referendums, der alles wieder infrage gestellt hätte. Wir haben nichts gegen Volksbefragungen und die direkte Demokratie, aber nicht als Überraschungscoup inmitten einer ernsten Krise. Das hätte destabilisierende Folgen gehabt. Das griechische Parlament hat das selbst erkannt und eine neue Regierung gewählt. In der EU gilt der Grundsatz, dass jedes Mitglied ein demokratischer Staat sein muss. Wie die Demokratie organisiert ist, ist jedem Staat selber überlassen. Aber es sollte transparent und berechenbar sein. Wird die direkte Demokratie in der Schweiz überschätzt? Sie ist ein wichtiges Element des Schweizer Föderalismus und der Bürgerbeteiligung. Aber sie lag nicht in der Wiege der Schweiz, sie ist schrittweise gewachsen. In einem kleinen Land ist es einfacher, direkte Demokratie zu leben als in einem Staatengebilde von 500 Millionen Menschen.

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Interview

Edmund Stoiber, die überflüssige Gesetze abschafft. Als dann die Gurken-Krümmungs-Richtlinie abgeschafft wurde – was kaum zur Kenntnis genommen wurde –, da meldeten sich die interessierten Wirtschaftskreise und beklagten sich. Die meinten, die Richtlinie sei praktisch gewesen. Genau neun Gurken hätten damit in eine Kiste gepasst, die Gurken seien leichter zu transportieren gewesen, es habe weniger Lastwagen gebraucht, sei umweltfreundlicher gewesen. Ergebnis: Die Richtlinie ist abgeschafft, aber die Leute halten sich weiterhin daran.

Ganz abgesehen von der Kleinheit des Landes finden es viele Schweizer stossend, dass man immer mehr Gesetze von der EU übernehmen muss. Schauen Sie, die Sache hat eine längere Geschichte: 1992 lehnte die Schweiz den EWR ab, sie beharrte aber darauf, trotzdem Zugang zum Binnenmarkt der EU zu bekommen. Die EU kam ihr entgegen und willigte ein, Abkommen mit der Schweiz zu schliessen, damit sie an ausgewählten Sektoren des Binnenmarktes teilnehmen kann. Das bedingt, dass die Schweiz in diesen Sektoren das EU-Binnenmarktrecht übernimmt, sonst wäre es kein Binnenmarkt mehr. Das liegt auch im Interesse der Schweizer Wirtschaft. Weil diese so eng mit der EU verflochten ist, wäre es für Schweizer Unternehmer schwierig, nach völlig anderen Regeln zu geschäften. Sie sagten kürzlich in einem Interview, mindestens 50 Prozent aller Gesetze in der Schweiz würden von der EU bestimmt. Das war das Ergebnis einer Studie der Universität Bern. Damit liegt die Schweiz ein bisschen unter dem Schnitt der europäischen Mitgliedsstaaten, dort liegt der Anteil zwischen 60 und 70 Prozent. Aber das ist auch nachvollziehbar. Der Binnenmarkt funktioniert nach Europarecht, das hier im Europainstitut der Uni Basel gelehrt wird.

Keine Kleinigkeit ist die Personenfreizügigkeit. Für wie gefährlich halten Sie die Idee der SVP, die Personenfreizügigkeit zu künden? Ich äussere mich nicht zu Schweizer Parteien. Tatsache ist, dass die Personenfreizügigkeit eine der vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes ist und essenziell für dessen Funktionieren. Die Schweizer haben bereits dreimal über die Personenfreizügigkeit abgestimmt. Ich weiss nicht, warum man etwas immer wieder hinterfragen muss, wenn es bereits direktdemokratisch legitimiert ist.

«Die EU hat noch nie einen Staat zur Mitgliedschaft gedrängt. Alle sind freiwillig beigetreten»: Michael Reiterer, abtretender EU-Botschafter in der Schweiz.

Dennoch ist dieser autonome Nachvollzug einer der Hauptgründe für die schlechte Stimmung der Schweizer gegenüber der EU. Naja. Die Teilnahme an der Entscheidungsfindung ist wie in jedem Club den Mitgliedern vorbehalten. Da unterscheidet sich die EU nicht von einem Golfclub. Die Regeln werden von den Mitgliedern des Golfclubs gemacht und nicht von den Nichtmitgliedern. Das ist nicht sehr überraschend. Also sollten wir Ihrer Meinung nach dem Club beitreten? Das ist eine Entscheidung, die die Schweizer treffen müssen. Wenn man sich über mangelnde Mitbestimmungsmöglichkeiten beschwert, dann muss man sich halt überlegen, was die Alternativen sind. Der EWR wäre eine Möglichkeit gewesen, dort ist die Teilnahme an der Entscheidungsfindung vorgesehen, die hat man abgelehnt. Den EU-Beitritt will man nicht. Alors … Können Sie es uns verdenken? Die EU bestimmt selbst kleinste Dinge im Alltag ihrer Bürger. Das reicht von mobilen Latrinen für Landarbeiter bis zur korrekten Verwendung von Rüstabfällen. Das sind Kleinigkeiten. Ich gebe Ihnen das Gegenbeispiel: Es gab kaum eine Richtlinie der EU, die so viel Prügel bezogen hat, wie jene zur korrekten Gurken-Krümmung. Es gibt seither eine Stelle unter Vorsitz des ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten

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Michael Reiterer Fünf Jahre lang residierte Michael Reiterer (57) in der EU-Botschaft in Bern, in Sichtweite des Bundeshauses. Er pflegte während seiner Amtszeit die «öffentliche Diplomatie», hielt Vorträge im ganzen Land, war ein häufiger Gesprächspartner der Medien. Die ständige Kritik der Schweizerinnen und Schweizer an der Europäischen Union und ihren Institutionen konterte Reiterer in einer leicht süffisanten, sehr österreichischen Art und Weise. Abgelöst wird der Tiroler von einem Briten: Ab Januar ist Richard Jones (49) neuer EU-Botschafter. In einem ersten Interview mit dem «Sonntagsblick» sagte Jones, dass er sich intensivere Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz wünsche.

Sie sagen das, weil die EU grosses Interesse an der Personenfreizügigkeit hat. Würde man sie aus den Bilateralen herauslösen, würde der ganze Vertrag nichtig. Auch das wurde vom Schweizer Volk bestätigt. Die Bilateralen 1 bestehen aus sechs Abkommen, die miteinander verbunden sind. Man muss die Personenfreizügigkeit auch unter dem Gesichtspunkt der Politik betrachten. Sie ist zuallererst ein Gewinn an persönlicher Freiheit, sie ermöglicht die Selbstverwirklichung der Menschen: Sie können dorthin gehen und wohnen und arbeiten und studieren, wo sie möchten. Diese Freiheit ist eine urdemokratische Errungenschaft. Wie sähe das Leben in Basel aus ohne die offenen Grenzen zu den Nachbarstaaten? Nur schon darum würde ich die Personenfreizügigkeit immer verteidigen. Man muss nicht immer den wirtschaftlichen Aspekt in den Vordergrund stellen – obwohl auch der wichtig ist. Sie waren fünf Jahre Botschafter der EU in der Schweiz. Wie hat sich das Verhältnis zwischen der EU und der Schweiz in dieser Zeit entwickelt? Die Beziehungen waren an sich immer sehr gut. Das ergibt sich alleine aus der Intensität der Beziehungen und dem Blick auf die Landkarte: Die Schweiz kann viel ändern, aber nicht ihre geografische Lage in Europa. Ich habe mich während meiner Zeit als Botschafter immer für einen möglichst engen Austausch eingesetzt. Gleichzeitig ist die EU einem ständigen Umbruchprozess unterworfen. Aus diesem Grund kann man auch die Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz nicht statisch betrachten.

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Interview

Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey hat mehr als einmal deutlich gesagt, die EU beginne der Schweiz das Leben schwer zu machen, blockiere Verhandlungen und wolle der Schweiz ihr Recht aufdrängen. So deutlich hat schon lange kein Bundesratsmitglied mehr gesagt, die Schweiz lasse sich nicht unter Druck setzen. Was heisst ÂŤunter Druck setzenÂť? Das heisst, dass die EU nur weitere bilaterale Verträge eingeht, wenn die Schweiz umgekehrt automatisch EU-Recht Ăźbernimmt. Nein, das ist falsch. Die EU hat nie einen Automatismus verlangt. Wir haben gesagt, dass wir in beiderseitigem Interesse in jenen Sektoren, wo die Schweiz am Binnenmarkt teilnimmt, eine dynamische Ăœbernahme des EU-Rechtes brauchen. Das ist keine Wortklauberei. Automatisch heisst: Ein Beschluss in BrĂźssel gilt automatisch auch in der Schweiz. Das verlangt niemand. Im Gegenteil. Die Schweiz als Nicht-EU-Mitglied hat stets die MĂśglichkeit zu sagen: Nein, das will ich nicht. Das ist unbestritten so. Allerdings – wenn man Nein sagt, dann meint man Nein. In einem solchen Fall wäre deshalb in den betreffenden Bereichen die uneingeschränkte Teilnahme am europäischen Binnenmarkt nicht mehr mĂśglich. Sie sagen, die Zusammenarbeit funktioniere auf fachlicher und politischer Ebene gut. Wo sehen Sie denn die GrĂźnde fĂźr die wachsende Skepsis der Schweizer gegenĂźber der EU? Die Wahrnehmung ist immer konjunkturabhängig. Wir wissen, dass wegen der gegenwärtigen Schuldenkrise Europa keine besonders attraktive Braut ist. Die Skepsis gegenĂźber der EU ist daher verständlich. Man darf die Europäische Union aber auch nicht aufgrund einer Momentaufnahme beurteilen. Wir haben einen Prozess, der bereits seit 60 Jahren andauert. Wenn Sie sehen, was in diesen 60 Jahren erreicht wurde, dann ist das objektiv gesprochen beachtlich. Nicht nur, dass sich Deutschland und Frankreich

ÂŤWir haben nichts gegen direkte Demokratie. Aber nicht als Ăœberraschungscoup mitten in einer ernsten Krise.Âť

nicht mehr auf den Schlachtfeldern, sondern in den Sitzungssälen treffen oder dass Deutschland und Frankreich gemeinsam zu einem Motor der europäischen Zusammenarbeit geworden sind. Es ist auch eine ausserordentliche Leistung, dass der Raum von Freiheit und Demokratie seit 1989 nach Osteuropa ausgedehnt worden ist. Auch wenn der Euro jetzt Probleme macht, so darf man trotzdem nicht ßbersehen, wie erfolgreich seine Einfßhrung war. Er ist in kßrzester Zeit zur zweitwichtigsten Währung der Welt geworden und ist auch heute noch eine erfolgreiche Währung. Die grossen Staaten wie die USA oder

China haben einen Drittel ihrer Währungsreserven in Euro angelegt. Ăœbersehen wird auch, dass die 17 EuroLänder etwa 80 Prozent ihres Handels untereinander bestreiten und da hat es nie eine Eurokrise gegeben, denn ein Euro in Frankreich ist ein Euro in Deutschland. Da gibt es kein Währungsrisiko. Im Euroraum kann es die Situation nicht geben, dass eine Währung wie der Franken durchs Dach steigt und ihn eine Nationalbank wieder herunterholen muss. Dennoch sind die Schweizerinnen und Schweizer so EU-skeptisch wie noch nie.

Das ist nicht mehr als eine Momentaufnahme. Wenn ich aber die Europaberichte des Bundesrats oder die Berichte der Kantone Ăźber europäische Zusammenarbeit analysiere, sehe ich, dass die Offenheit gegenĂźber der EU wächst. Auch wenn Umfragen eine grĂśssere Skepsis gegenĂźber der Europäischen Union ergeben, so zeigt die Debatte, dass es einen hĂśheren Grad an Offenheit gibt, Ăźber solche Fragen zu diskutieren. Die Schweiz muss sich in Europa positionieren und muss die Weltsituation im Auge behalten. Dazu gehĂśrt, dass der Westen – die EU und die USA – unter Druck der aufstrebenden Mächte wie China, Indien, SĂźdkorea, Brasilien gerät. Europa ist gefordert, sich in dieser neuen Welt zu behaupten. Das ist neu. Und da muss die Schweiz auch ihre Rolle finden. Wir kommen noch einmal darauf zurĂźck: WĂźrden Sie einen Schweizer EU-Beitritt begrĂźssen? Das ist nicht die Frage. Doch, eine persĂśnliche Frage. Ja, die Schweiz wäre in der EU willkommen, weil sie mit der Union die grundlegenden politischen Werte der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Grundrechte teilt, und ich wĂźrde es persĂśnlich begrĂźssen. Die Schweiz kĂśnnte einiges in die EU einbringen. Die Schweiz ist eigentlich eine Europäische Union im Kleinen. Es sind verschiedene Kulturen, unterschiedliche Sprachen, eine unterschiedliche Geschichte, die das Land verbinden. Die Schweiz hat es geschafft, sie zusammenzuhalten und gemeinsam eine Kraft zu werden. Und wenn die Europäische Union es schaffen will, mit den Grossen dieser Welt, mit den USA, mit den Chinesen, auf AugenhĂśhe zu reden, dann muss sie ein ähnliches Modell realisieren wie die Schweiz im Kleinen. Und da kĂśnnte die Schweiz in der EU schon etwas beitragen. Aber es obliegt den Schweizern allein, Ăźber ihre Position in Europa und ihre Zukunft zu bestimmen. Die EU hat noch nie einen Staat zur Mitgliedschaft gedrängt. Alle sind freiwillig beigetreten.

Webcode: @ahyvs

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23. Dezember 2011

Dialog

Leserbriefe an die Redaktion

Calixto Bieito über seine Basler «Carmen», Webcode: @agzyi

Preise natürlich auch. Man bestellt sich ein gutes Stück Fleisch und ahnt nicht, dass das Fleisch zu Beanstandungen Anlass geben kann. Ich würde es begrüssen, wenn bei mehrfacher grober Fahrlässigkeit die Namen der Restaurants veröffentlicht würden. Es hätte zwei positive Aspekte. Erstens würde es manchen Wirt zu mehr Sorgfalt und Sauberkeit zwingen. Zweitens würde der Gast für sein gutes Geld nicht mangelhafte Ware erhalten. Fredy Born

Kein Wort über die Musik Es ist bezeichnend, dass in dem Interview der Redakteure Leupin und Löhrer zur «Carmen»-Inszenierung des Starregisseurs Calixto Bieito mit keinem Wort über die Musik in dieser Oper von Bizet gesprochen wird. Für diese Art von Selbstverwirklichungs- und SelbstbespiegelungsRegisseuren («Die Priester schlugen uns. Einer versuchte auch, mich sexuell zu missbrauchen») spielt die Musik, deren Aussage, deren Stil, deren historischer Hintergrund überhaupt keine Rolle. Groteskerweise wird heute historisches Musiktheater einseitig durch (zum Teil absurde) «aktualisierende» Inszenierungen modernisiert – während die Musik halt immer noch barock, klassisch oder romantisch tönt. Aber ums Zuhören geht es ja auch in der Oper längst nicht mehr: Keine Ouvertüre, kein musikalisches Zwischenspiel, die nicht inszeniert beziehungsweise visualisiert werden. Rudolf Kelterborn

Wegen Sion: Der FCB könnte aus der Champions League geworfen werden, Webcode: @aihcw

FCB in die Bundesliga Falls dies passiert, soll der FC Basel sich überlegen, künftig in der Bundesliga zu spielen. Um zu zeigen, dass es ernst gemeint ist, kann man schon mal eine Anfrage in Deutschland starten. Die Schweizer Liga mit den trümmligen Präsidenten in Sion und Neuenburg ist eine nicht hinnehmbare Zumutung! Christoph Layer

Braucht die Schweiz wirklich neue Kampfjets? Webcode: @ahpxl

Haie auf der Heuwaage: Zolli schreibt Ozeanium-Wettbewerb aus, Webcode: @aiymu

Jets für Alpenrundflüge

Unnötige Tierquälerei?

Es ist tatsächlich so, dass Herr Frehner kein Argument für den Kauf von 22 neuen Jets nennt. Was er als Einziges verteidigt, sind die Ausgaben dafür und was für eine gute Investition es sei. Um mich jedoch eben von dieser Investition zu überzeugen, müsste er mir klarmachen, für was die Jets denn jetzt gebraucht werden,

Es tut furchtbar weh, es sich vorzustellen: Nichtdomestizierbare Mitgeschöpfe aus ganz anderen Welten sollen gezwungen werden, nach Basel umzuziehen. Zu welchem Zweck? Piet Westdijk

argumentieren, ich wüsste somit zumindest den Nutzen für die Ausgaben. Ich kaufe mir ja auch keine 22 Stabmixer, nur weil genügend Haushaltsgeld im Sparschwein steckt und die Mixer mehrere Jahre überleben! Oliver Wolf

Fast jede zweite Fleischprobe in Basler Beizen beanstandet, Webcode @aizma

Namen veröffentlichen Es stimmt einen nachdenklich, wenn tatsächlich 43 Prozent der Fleischproben beanstandet wurden. Da geht man in ein Restaurant mit schön weiss gedeckten Tischen, sehr vornehm und stilvoll. Die Speisekarte grossartig, die

TagesWoche 1. Jahrgang, Ausgabe Nr. 9 Gerbergasse 30, 4001 Basel Auflage: 50 932 Exemplare Abo-Service: Tel. 061 561 61 61 Fax 061 561 61 00 abo@tageswoche.ch Redaktion Tel. 061 561 61 61 redaktion@tageswoche.ch

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Stücki-Areal/«Kauf dich glücklich», Webcode: @agwwo

Leserbrief der Woche von Tonja Zürcher, zu «Die Stadt wird neu gebaut»,

Schade um das Land

Webcode: @agzyc

Basel will nun also auch zu den Metropolen der Welt gehören und ein protziges neues Quartier in die Höhe ziehen. Warum eigentlich nicht? Zwar scheint «Rheinhattan» etwas übertrieben für Basel. Trotzdem gefällt mir die Idee irgendwie. Spontan fallen mir jedoch drei wesentliche Bedingungen für dieses Projekt ein: 1. Die Verkehrserschliessung muss umweltfreundlich und Städteinitiative-kompatibel, also möglichst autofrei, sein. 2. Das Projekt darf nicht nur den Bestverdienenden dienen. 3. Die Natur darf nicht den Kürzeren ziehen. Bevor man sich also in diese städtebauliche Idee verliebt, gibt es noch eine Menge zu klären.

Verlag Tel. 061 561 61 61 verlag@tageswoche.ch Herausgeber Neue Medien Basel AG Geschäftsleitung Tobias Faust Verlagsassistenz/ Lesermarkt Martina Berardini

Redaktionsleitung Urs Buess, Remo Leupin Redaktionsassistenz Béatrice Frefel, Esther Staub Redaktion David Bauer, Renato Beck, Yen Duong, Karen N. Gerig, Tara Hill, Christoph Kieslich, Matieu Klee, Marc Krebs, Philipp Loser, Florian Raz,

Michael Rockenbach, Martina Rutschmann, Peter Sennhauser, Dani Winter, Monika Zech Bildredaktion Hans-Jörg Walter, Michael Würtenberg Korrektorat Céline Angehrn, Noëmi Kern, Martin Stohler, Dominique Thommen, Andreas Wirz

Der Anwohnerschaft des Stücki wurde so viel versprochen und fast nichts wurde gehalten. Dieser HochpreisKonsumtempel ist eine absolute Missgeburt. Ein Einkaufserlebnis wird durch die Schlauchform völlig verunmöglicht. Alleine schon nur der Foodbereich ist total falsch platziert. Ein solcher gehört ins Zentrum eines Shoppingcenters. Schade um das Land. Hoffentlich macht man nicht die gleichen Fehler nochmals auf dem Erlenmatt-Areal. Urs Gautschi

Leserbriefe an: leserbriefe@ tageswoche.ch

Layout/Grafik Carla Secci, Petra Geissmann, Daniel Holliger; Designentwicklung: Matthias Last, Manuel Bürger Anzeigen Andrea Obrist (Leiterin Werbemarkt) Druck Zehnder Druck AG, Wil

Abonnemente Die TagesWoche erscheint täglich online und jeweils am Freitag als Wochenzeitung. 1 Jahr: CHF 220.– (50 Ausgaben); 2 Jahre: CHF 420.– (100 Ausgaben); Ausland-Abos auf Anfrage. Alle Abo-Preise verstehen sich inkl. 2,5 Prozent Mehrwertsteuer und Versandkosten in der Schweiz.

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23. Dezember 2011

Dialog

JA

Die Wochendebatte

NEIN

Dr. Matteo Rossetto Sportarzt in der Hirslanden Klinik Birshof

Völlerei ist ein abwertender Begriff

für übermässiges Essen und Trinken. Was soll bitte daran gesund sein? Wenn wir die Entwicklung des Übergewichtes in unseren Breitengraden betrachten, so müssen wir feststellen, dass zu viele von uns das ganze Jahr über bereits zu viele Kalorien futtern. Über die Hälfte der Schweizer Bürger soll gemäss eines kürzlich erschienenen Artikels übergewichtig sein. Besonders bedenklich ist die Tatsache, dass der Anteil an Übergewichtigen bei Kindern und Jugendlichen stark zunimmt. Der Mensch ist ein Allesfresser und hat sich über die Jahrtausende an die Spitze der Nahrungskette emporgearbeitet. Musste er früher dazu noch tüchtig jagen und sammeln, so reichen heute ein paar wenige Schritte zum Kühlschrank, um Hunger und Durst zu stillen. War ein Handwerker vor 100 Jahren im Schnitt noch knapp 20 Kilometer pro Tag zu Fuss unterwegs, so beträgt der Aktionsradius des heutigen Büromenschen noch knapp 1 Kilometer. Weniger als ein Drittel der über Süssgetränke und Schnellgerichte eingenommenen Kalorien würde reichen, um diesen Tagesbedarf an Energie zu decken. Viele «völlern» also das ganze Jahr schon genug. Völlerei hat auch nichts mit Geniessen zu tun! Gegen ein feines Essen und ein schönes Glas Wein habe auch ich nichts einzuwenden, weder das Jahr über, noch über die Festtage. Aber dem «sich den Bauch vollschlagen» und dem «die Lampe füllen», wie es die masslose Festtagsvöllerei vorsieht, kann ich beim besten Willen nichts Gesundes abgewinnen. Die Adventszeit gilt auch als Zeit der Besinnung, in der wir uns nach einem langen, betriebsamen Arbeitsjahr etwas Ruhe und Einkehr wünschen. Es ist die Zeit des Gebens, in der jeder sein schlechtes Gewissen darüber, dass es anderen viel schlechter geht, mit einer Spende beruhigen kann. Das ist nicht mit masslosem Fressen und Trinken zu vereinbaren. Etwas mehr Bescheidenheit und Demut würde uns in der heutigen zunehmend respektlosen Zeit gut tun. Das darf über die Festtage bereits beim Füllen von Gläsern und Tellern beginnen…

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«Die Miesepeter sind schädlich» Foto: Jan De Wit/Cinetext (aus dem Film «Das grosse Fressen»)

«Wir ‹völlern› während des Jahres genug»

Festtags-Essen: Eine ungesunde Völlerei? Laut Immanuel Kant fördern gemeinsame Mahlzeiten die Moral. Essen im Kreis der Lieben ist in allen Kulturen ein Zeichen von Zusammengehörigkeit und Frieden; je üppiger die Tafel, desto grösser die Freundschaft. Daran hat auch die Kirche, welche Völlerei zur Todsünde erklärte, wenig ändern können: Über die Feiertage von Weihnachten bis Neujahr stopfen Grossmütter ihre Enkel mit Süssigkeiten voll, während die aus allen Himmelsrichtungen zusammengeströmte Familie sich unter dem Christbaum bei Glüh- und anderem Wein nostalgischen Gefühlen und einem Schwips hingibt. Ist es angesichts unseres vernunftgesteuerten Alltags nicht geradezu notwendig oder doch legitim, sich einmal im Jahr des Wohlstandes kompromisslos zu erfreuen? Oder sind wir, all unserem Wissen zum Trotz, zu Gierschlünden degeneriert, die in grenzenloser Dummheit und verwerflichen Exzessen die eigene Gesundheit aufs Spiel setzen? Webcode: @agfkw

Braucht die Schweiz wirklich neue Kampfjets? Die Wochendebatte vom 16. Dezember: Die bürgerliche Mehrheit in National- und Ständerat hat wohl nicht von ungefähr beschlossen, den Kauf von neuen Kampfjets so aufzugleisen, dass das Volk nichts dazu zu sagen hat. Ob an der Urne eine Mehrheit zustande käme, ist sehr ungewiss. Natürlich würde eine Abstimmung nicht so krass gegen die Beschaffung ausfallen wie im Voting der TagesWoche, bei dem sich nur gerade fünf Prozent für neue Kampfjets aussprachen. Das ist keinesfalls repräsentativ. Aber angesichts der Finanzlage des Bundes und angesichts der militärischen Bedrohungslage leuchtet es vielen Leuten nicht ein, warum die Schweiz für 3,1 Milliarden Franken neue Militärflugzeuge kaufen soll. Die Kommentare zu den Stellungnahmen von SVP-Nationalrat Sebastian Frehner und SP-Nationalrat Beat Jans waren von Anfang an klar gegen die Beschaffung. Logisch, dass die linken Parteien angesichts der herrschenden Skepsis gegen neue Jets Wege suchen, die Flugzeuge doch noch vors Volk zu bringen.

Dr. Beda Stadler Professor für Immunologie, Bern

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rstens: Wir haben nur ein Leben und man kann nur sterben, wenn man nicht gesund ist. Der Sinn des Lebens besteht darin, dass man lebt, aber nicht ewig, das wäre furchtbar. Mark Twain brachte diese Lebensphilosophie auf den Punkt: «Das Geheimnis eines erfolgreichen Lebens besteht darin, alles zu essen, was man mag, und es dem Essen im Magen selber zu überlassen, die Konflikte unter sich auszutragen.» Für die meisten von uns wird das Januarloch ohnehin die paar Pfunde wieder purzeln lassen. Zweitens: Weil wir als Affenmenschen ein evolutionäres Programm in uns tragen, das heisst: «Friss so viel, so süss und so fett du kannst.» Sollte nach den Festtagen der Christbaum immer noch voller Schokolade hängen, war entweder das Angebot zu gross oder Sie gehören zu den Menschen, die ohnehin nicht zunehmen oder sich nicht um Essensfreuden kümmern. Wer nicht fett wird, versteht die Dicken ohnehin nicht. Er darf sich über den eigenen Gen-Defekt freuen, sollte aber keinem ein schlechtes Gewissen einreden. Wer Pasteten, Schweinsbraten, Torten und den Schnaps danach nur mit schlechtem Gewissen verdrückt, produziert unnötigen Stress. Das vermehrt produzierte Kortisol wird sein Kampffett um den Bauch mehren. Haltet euch also über die Festtage die Miesepeter vom Leib, die sind nämlich schädlich. Drittens: Natürlich passt es den Religiösen nicht, dass bei uns die Festtage säkularisiert sind. Die Völlerei ist ein christliches Relikt, beinahe eine Todsünde, erfunden von Leuten, die ein zweites Leben versprechen. Daraus folgte ein Fastengebot, heute nennt man das «gesund leben». Es war und ist in Wirklichkeit ein «Tischlein deck dich» für Moralapostel, damit sie einem nachher umso mehr Bettelbriefe zusenden können. Warum sollen Gläubige eigentlich schlank sein? Hat es mit der Tragkraft der Himmelswolken zu tun, dass religiöse Menschen selbst beim Festen fasten wollen? Im Ernst, geniesst die kommenden Festtage: prost!

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23. Dezember 2011

Dialog

Zwar pflegten die Basler schon vor der Blocher-Ära eine Hassliebe zur «Basler Zeitung» – aber sie war ein Marktplatz der Region, der nun von Rechtsbürgerlichen besetzt ist

Der Protest gegen die BaZ dürfte stärker sein von Philipp Cueni

Philipp Cueni (59) lebt in Basel und ist Chefredaktor des Medienmagazins «Edito + Klartext»

Seit letzter Woche ist klar: Es sind Kräfte nicht daran vorbeischauen. Im Gegenteil: aus SVP und dem ganz rechten Flügel der FDP, Was eigentlich Aufgabe der Medien ist, nämlich die die «Basler Zeitung» besitzen und lenken. Machtmissbrauch durch Staat, Institutionen Mit Markus Somm bestimmt ein Chefredaktor etc. zu kontrollieren, muss jetzt umgekehrt den Kurs der BaZ, welcher über sich sagt, er gegenüber der BaZ geleistet werden. Wir stehe Christoph Blocher nahe. Und Blocher müssen ihr genau auf die Finger schauen! selbst mischt im Hintergrund immer noch mit. Zwar wird von der BaZ-Leitung schon wieder eine Forumszeitung mit breitem MeinungsDie BaZ war schon lange vor der Blocher-Ära spektrum versprochen. Und die Redaktion für viele Leser eine Hassliebe. sagt, sie fühle sich mitverantwortlich, dass die Man hatte sich an ihr gerieben, die einen «Basler Zeitung» für eine «eigenständige, von links, die anderen von rechts. Manche hatten die Zeitung ganz abgeschrieben. Viele unabhängige, überparteiliche und kritische zweifelten an der Qualität. Es galt als chic, die Berichterstattung» stehe. Es fällt allerdings BaZ nicht zu lesen (und man hat sie trotzdem schwer, daran zu glauben, nachdem man den gelesen). Aber sie war halt so Kurs von Markus Somm ein etwas wie der Marktplatz der Jahr lang beobachten konnte. Ausgerechnet dem Region, ein Platz für öffentliDie BaZ muss gerade wegen links-grünen Basel wird der neuen Entwicklung im che Auseinandersetzungen. ein rechtsbürgerliches Beobachtungsfeld bleiben: Jetzt ist dieser Marktplatz von Blatt aufgezwungen. rechtsbürgerlichen Kräften Protestieren wir, wenn verbesetzt und zum Spielfeld für zerrt, ausgeblendet, verschwieihre politische Agenda umgen und beleidigt wird. Wenn funktioniert worden. Die Region hat «ihre» mit «Forum» nur gerade einige Alibi-Kolumnen Zeitung verloren. Ausgerechnet dem liberalen, gemeint sind. Wenn mit «unabhängig» gemeint weltoffenen, links-grünen Basel wird ein ist, «wir fahren den Blocher-Kurs freiwillig». rechtsbürgerliches Blatt aufgezwungen. Reagieren wir, wenn – wie Beispiele belegen – Viele Leute haben letzte Woche auf unterLeserbriefe entstellt, Inserate zensuriert werschiedliche Art gegen diese Entwicklung bei den. Wenn der Kurs der Zeitung immer rechtsder BaZ protestiert. Gut so – ich meine, der konservativer wird. Protest dürfte sogar stärker sein! Viele haben Sorgen wir für Transparenz bei der BaZ, resigniert, das Thema BaZ ist für sie erledigt. zwingen wir sie, sich öffentlich zu erklären. Das dagegen beunruhigt mich. Denn immer «Bildblog» (bildblog.de) macht in Deutschland noch ist die grösste Zeitung Basels ein wichtiger vor, wie das funktionieren kann: Lügen und Faktor für die Information und die MeinungsHetze der «Bild»-Zeitung werden blossgestellt. bildung. Und die Zeitung ist zu einem politiEine solche kritische Begleitung sollte auch in schen Machtfaktor geworden. Da darf man Basel umgesetzt werden. Webcode: @ajjwl

Aus der Community www.tageswoche.ch/dialog Das grüne Dreieck markiert Beiträge aus der WebCommunity – und lädt Sie ein, sich einzumischen.

Andy S

«Am Sonntag vor dem Morgestraich FCB–Ziri anzusetzen, zeugt wohl vom Sachverstand der Funktionäre.» Zu «FC Basel startet gegen Sion», Webcode: @ajadx

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Esther Stebler

«Warum hält einer der obersten Kriminalisten Basels eine Waffe auf die LeserInnen?» Zu «Die Leichen gehören zu meinem Handwerk», Webcode @agywg

Marlis

«Haie auf der Heuwaage? Finanzhaie ins Tierschützer hätten keine Bedenken.» Zu «Haie auf der Heuwaage», Webcode: @aiymu

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Kulisse und Sitzränge von Kandidaten und Gegenspielern der Gameshow «1 gegen 100».

Bildstoff: Sie sind bunt, formgewaltig und dienen nur als Hintergrund: Fernsehstudios. Fotograf Markus Bertschi zeigt die Kulissen bekannter Produktionen des Schweizer Fernsehens buchstäblich in einem anderen Licht – ohne Menschen, ohne Kabel und aus einer kamerafremden Perspektive. Webcode: @aemmi TagesWoche 51

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Leer und etwas surreal anmutend: das Studio der Politsendung «Arena». Das temporäre Hockey-Studio der Weltmeisterschaften in Bern. Nüchtern wirkt das Studio des Wissensmagazins «Einstein».

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Bildstoff im Web

Aussergewöhnliche Bildserien, -techniken und -geschichten: jede Woche im TagesWoche-Fotoblog «Bildstoff». Webcode: @aemmi

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SPO RT

Was dem 26.12. zur fröhlichen Weihnacht fehlt TagesWoche 51

Sie finden, dass es schon genug Fussball gibt? Dann lesen Sie dieses Plädoyer für noch mehr Fussball. Von Bernd Müllender

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23. Dezember 2011

Sport

voller gepackt und atmosphärischer sind als sonst schon. «You’ll never walk alone» statt «Jingle Bells», Fussballzirkus statt Festbraten, Old Trafford statt Old Grandma: In der Premier League ist für die Spieler Weihnachten in der Familie unbekannt. Heiligabend ist Training, am 1. Feiertag Teamtreffen und Anreise, am 2. der Match. Und am 29.12. meist der nächste. 66 Tore zu Merry Christmas

Feiertags-Belustigung: In der Premier League kann der Weihnachtsmann Fussball spielen. Foto: Getty images

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s gibt in der Schweiz, wie auch in Deutschland oder andernlands, eine mässig kluge Regelung: die Winterpause im Fussball. Schon meteorologisch ist das fragwürdig. Meistens, zugegeben mit der Ausnahme 2010, denkt der Winter Mitte Dezember noch gar nicht an sein wirklich kaltes Dasein, sondern beglückt uns mit relativer Milde. Der Klimawandel kommt hinzu. Und dann ist da dieses Frühwinterspezialdatum: Weihnachten. Da haben die meisten Menschen Zeit, oft im Überfluss, besonders am 2. Feiertag – aber nirgends wird gespielt.

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Das gehört geändert. Her mit dem Weihnachtsspieltag, wenn schon nicht in der Heiligen Nacht, dann am 26.12. In Grossbritannien und Irland hat Fussball am sogenannten Boxing Day ein grosse Tradition. Wenn der Spielplan rauskommt, checken Fans den Auftakt ab, das Duell mit Stadtrivalen und – ob man, hoffentlich, am 26.12. ein Heimspiel hat. Der Deutsche Dietmar Hamann, der seine Fussballerkarriere grossteils in England verbracht hat, berichtet von «einer ganz besonderen Stimmung», wenn Fans im Familienverbund anreisen, die Stadien noch

Historiker wissen um Rekorde: Weihnachten 1963 gab es den torreichsten Spieltag der Geschichte: 66 Tore in 10 Spielen, darunter Burnley-Manchester United 6:1 und Fulham-Ipswich 10:1. Dabei schaffte Fulhams Schotte Graham Leggat mit drei Treffern in weniger als vier Minuten den schnellsten Hattrick der Ligageschichte. Merry Christmas. Weihnachtsfussball bedeutete traditionell auch den schlammigsten, urigsten Kick des Jahres – welch schöner Kontrast zu den Sonntagsanzügen und feinen Kleidchen an Xmas. Bis in die 60er-Jahre wurde sogar am 26. und 27. direkt hintereinander gespielt, traditionell Derbys unter Nachbarn wie Tottenham–Arsenal oder Everton–Liverpool, quasi mit Hin- und Rückspiel. Heute machen die Fernsehsender den 26. wieder ein bisschen kaputt, weil Partien zur LivespielMaximierung auf den 27. terminiert werden. Deshalb haben die Spiele am 26.12. auch gestaffelte Anstosszeiten. Für Christmas-Groundhopper wiederum ist das eine wahre Verheissung: Sie können locker drei Matches live nacheinander gucken. Und bei uns? Ist nix mit Weihnachtsfussball. Stattdessen sehen viele Fans einem 26.12. ins Auge, der Besuche mit der ganzen Familie bei Tante Anneliesli zu Filet im Teig vorsieht oder Zuger Kirschtorte bei Grossmami und Grosspapi. Ergänzt um besinnliche Spaziergänge und ein gemütliches Beisammensein am Abend. Wie schön wäre da ein Bundesligaspiel oder Super-League-Match! Rückblick auf den 26. Dezember 2010: Laut «kicker.de» finden weltweit 83 Spiele in 12 Ligen statt, die meisten auf der Insel. Der Bildschirm bringt den Fussball nach Hause, über Pay-TV und Internet-Livestream. Noch bevor die Kirchenglocken bimmeln, läuft morgens ab 7 Uhr das erste Spiel in Australien. Um 9 Uhr wird im Sommerregen von Brisbane, der sich bald zur Jahrhundertflut ausweitet, das QueenslandDerby gegeben, Tabellenführer Brisbane Roar FC gegen Gold Coast United. 40 000 Zuschauer im Suncorp Stadium. Spannend und ansehnlich ist es, und erst ein alberner Weihnachtselfmeter rettet dem Favoriten das 2:2. Zur mitteleuropäischen Mittagszeit trifft Dimitar Berbatow doppelt bei

Manchester Uniteds 2:0 gegen Sunderland. Ab Tagesmitte spielt England quasi pausenlos seinen 19. Spieltag herunter. Zwischendurch umschalten nach Schottland zu den Siegen der Rangers und von Celtic. Ausserdem erwärmender Beachsoccer aus Brasilien, dazu der Final der Südostasienmeisterschaft, Malaysia–Indonesien (3:0), dann erste Liga live aus Tunesien und Marokko sowie das Topspiel aus Saudi-Arabien, bei dem eine Art Fussball-Muezzin ständig über Lautsprecher das Spiel besingt. In Aserbaidschan ist der Spieltag 26.12. kurzfristig verlegt worden, somit entfällt grosse Kunst bei Qarabag Agdam– FC Qäbälä. Auch in Belgien steht seit 2009 der 26.12. auf dem Spielplan. Viele Experten hatten ein Zuschauer-Desaster prophezeiht, aber es kamen teilweise mehr Leute als sonst. Einige der traditionell vielen Gastprofis aus Afrika und Südamerika hatten allerdings gemosert: Sie waren es gewohnt, ab Mitte Dezember für zwei Wochen zu ihren Familien zu reisen. Das ist vorbei. Bei Cercle Brügge–Standard Lüttich (1:0) fliegt der einschlägig vorbestrafte Rüpel Alex Witsel (inzwischen von Lüt-

Selbst in Belgien strömen die Fans an Weihnachten in die Stadien. tich zu Benfica Lissabon gewechselt) nach einer wüsten Grätsche rasch vom Platz. Er verlässt das Spielfeld und wirft Kusshände ins wütend tobende Publikum. Will Witsel schneller unter den Baum? Später sitzt er auf der Tribüne und bekommt – wir feiern das Fest der Versöhnung – von einheimischen Fans ein paar Stückchen Weihnachtsschokolade. Danach ist in Gent das Stadion gegen Club Brügge (0:2) vollgepackt, die Fans haben sich Blinklichter-Girlanden um den Kopf gebunden. Und überall sieht man Weihnachtsmänner-Versammlungen auf den Tribünen. Leider fällt am Abend das Spiel der AS Eupen wegen Schnee aus. Die seltenen Ausnahmen Einmal, 1961, hat es in der Schweiz zu Weihnachten und Silvester Fussball gegeben (siehe nächste Seite). Und in Deutschland am Montag, 26. Dezember 1977, bei bestem Winterwetter, die grosse Ausnahme: ein Weihnachtsspiel. Sechs Tage zuvor hatten sich im Pokalviertelfinal Schalke 04 und Fortuna Düsseldorf nach Verlängerung 1:1 getrennt. Elfmeterschiessen war noch nicht vorgesehen, weil im Pokal erst 1984 eingeführt. Also: Wiederholungsspiel. An Weihnachten. Es gab keine Alternative.

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Die Fortuna hatte im alten Rheinstadion (Fassungsvermögen damals 68 000) mit höchstens 30 000 Zuschauern gerechnet. Und dann setzte die Weihnachtsstampede ein. «Da niemand von den damals Verantwortlichen auch nur ansatzweise damit gerechnet hatte, dass die Resonanz derart gewaltig sein würde, sah man sich mit der Bevorratung von 50 000 Tickets im sicheren Bereich», heisst es in den Annalen des Vereins. Das sollte allerdings nicht reichen. Zudem: Nicht alle Eintrittskarten lagen an den Kassenhäuschen. Der damalige Fortuna-Vizepräsident Hans Noack, heute 82, erinnert sich: «Das war eine eigenartige Konstellation, weil wir nur drei Arbeitstage für die Organisation hatten. Dann kamen die Massen, solche Massen von Leuten. Ich dachte nur: Du lieber Gott, was soll das werden! Offenbar wollten alle zuhause weg, ab zum Fussball.» Auf den Strassen Verkehrschaos, die Strassenbahnen brechend voll. Noack: «Und die Schlangen an den Kassen wurden nicht kürzer. Dann waren alle Karten weg, und wir in heller Aufregung.» Fortuna versuchte eine Notoperation. Die Geschäftsführerin wurde auf einem Polizeimotorrad zum Büro im zehn Kilometer entfernten Flinger Broich gefahren, dort lag ein fünfstelliger Reservesatz an Karten. Und sie musste Wechselgeld besorgen, das hatte nämlich auch nicht gereicht, weil viele mit grossen Scheinen zahlten – Weihnachtsgeschenke vermutlich. Die Fans

Die Stampede von 1977 in Düsseldorf: Süsser klingelten die Kassen nie. murrten derweil und begannen das Stadion zu stürmen. In den Zeitungen stand tags darauf einerseits «Süsser die Kassen nie klingeln...», es wurde aber auch von «niedergewalzten Ordnern» und «demolierten Kassenhäuschen» berichtet. Etwa 10’000 Fans, manche meinen auch mehr, kamen umsonst rein, viele Hundert erst zur Pause. Deutscher Schwarzseher-Rekord.

der über eine reguläre Runde am 26.12. nachgedacht («Ich persönlich fände den Spieltag Weihnachten toll»), aber mit jedem Jahr sei der Terminplan enger geworden. «Und was glauben Sie, was das für Kämpfe um die Heimspiele für diesen Tag gegeben hätte.» Die Nachfrage ist also da, aber der Funktionär glaubt, das geht heute nicht mehr: «Die Spieler müssen ja auch mal Pause haben. Das hätte man, wie in England, viel früher beginnen müssen.» Andererseits: In England geht es ja auch – bis heute. Was für den 26.12. spricht Alles spricht für Weihnachtsfussball: Heiligabend und ein Feiertag ist genug Christenfest und Völlerei. Wenn am 26.12. Spieltag ist, lässt sich tags zuvor das langatmige Familienfest viel gelassener aushalten – Balsam für den innerfamiliären Frieden. Oder: Die Familie geht mal gemeinsam ins Stadion, wenn man den Liebsten eine weihnachtliche Eintrittskarte unter den Christbaum legt. Zusatznutzen: Man hat ein Geschenkproblem weniger. Dauerkarteninhaber, die über Weihnachten verreist sind, können Freunde oder Kollegen mit ihrem Billett glücklich machen und womöglich für den eigenen Lieblingsclub anfixen. Oder, noch besser, man verzichtet wegen eines wichtigen Heimspiels auf die Flugreise in den Süden oder den Skiurlaub – das schont die Haushaltskasse. Und es wäre ökologisch sehr begrüssenswert – womöglich wird durch Weihnachtsfussball das Klimaproblem gelöst, jedenfalls ein Stück weit. Oder vielleicht auch nicht. Das Winterwetter ist nämlich vor allem wegen der Erfindung der Rasenheizung kein Gegenargument mehr. Ein Spieltag mehr im Winter entzerrt zudem den Terminplan im Sommer. Die Polizei wird sich über Einsätze freuen, das gibt Feiertagszuschläge und erspart das unbezahlte Ausrücken zum Götti oder zur Schwägerin. Die TV-Sender müssten nicht die ewig gleichen Schundfilme runternudeln. Und bitte, wenn 2022 die WM in Katar vielleicht im Winter gespielt wird, ist der 26.12. womöglich Spieltag. Da kann mit der Gewöhnung nicht früh genug begonnen werden.

Brauchen die Spieler eine Pause? Fortuna gewann gegen den Favoriten Schalke mit 1:0. Das Tor fiel in der zweiten Halbzeit, als wirklich alle im Stadion waren. Und mit den Gelsenkirchenern gab es – die Nettoeinnahmen wurden zwischen den Clubs geteilt – noch lange Auseinandersetzungen um die Abrechnung der verkauften Karten. Schalke sah sich betrogen, weil Fortuna so schlecht organisiert war. Zu Oberligazeiten, also vor Bundesligagründung 1963, war der 2. Weihnachtstag sogar ein sehr beliebter Termin für grosse Freundschaftsspiele, wie Noack erzählt, «und meist sehr gut besucht». Kirchenproteste habe es selbst in der dumpfen Adenauerzeit nie gegeben. Hans Noack wurde später Spielleiter beim Deutschen Fussball-Bund. Dort, berichtet er, habe man immer mal wie-

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Fussball in der Winterpause An Heiligabend wird in Schottland eine komplette Runde gespielt. Am 1. Weihnachtsfeiertag ruht der Spielbetrieb weitgehend, nur in Israel sind zwei Partien angesetzt. Dafür sind allein am 26.12. im Matchkalender (kicker.de) 70 Spiele aufgeführt. Eins davon in Neuseeland, die meisten in England. Einige Highlights: 26.12., England: Chelsea-Fulham (14.00/ Teleclub), Manchester Utd–Wigan (16.00/ TC). – 27.12., England: Swansee–Queens Park Rangers (18.00/TC), Norwich–Tottenham (20.30/TC). – 28.12., Schottland: Celtic–Rangers. – 29.12., England: Liverpool–Newcastle (20.45/TC). – 31.12., England: Manchester Utd–Blackburn (13.45/ TC), Chelsea–Aston Villa (16.00/TC). – 1.1., England: Sunderland–Manchester City (16.00/TC). Webcode: @ajknl

Glitschiger Humus und Föhn: Fussball am 31. Dezember 1961 im Zürcher Hardturmstadion. Foto: Ausschnitt NZZ

Kaminfeger an Silvester

1961/62: Als der Schweizer Fussball Pause von der Winterpause machte Von Christoph Kieslich

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ie Weltmeisterschaft 1962 in Chile war der Grund dafür, dass die Schweiz einen aussergewöhnlichen Winter erlebte – einen ohne Pause und mit Fussball einen Tag vor Weihnachten und an Silvester. Ungefähr kann sich Albin Kümin an die Weihnachtstage 1961 und den Jahreswechsel auf 1962 erinnern. «Wir mussten das damals durchziehen», erzählt er. Sehr früh, am 30. Mai 1962, war das erste WMSpiel der Schweiz gegen Chile angesetzt, was den nationalen Spielbetrieb unter Termindruck setzte. 26 Jahre lang war der heute in Bern lebende Albin Kümin (84) Generalsekretär des Fussballverbandes SFV, er gilt als Wegbereiter für professionelle Strukturen, und bis zu seiner Ablösung Ende 1992 durch den aktuellen Liga-Manager Edmond Isoz war Kümin für den Spielbetrieb der Nationalliga zuständig. Gedankenspiele, im Winter eine kürzere Pause einzulegen, gab es in der Schweiz immer wieder. Grundsätzlich, so Kümin, habe es stets eine ablehnende Haltung gegeben, was angesichts der klimatischen Bedingungen nachvollziehbar ist. Kümin sah das pragmatisch: «Ausprobieren – einmal ist keinmal.» Kümin war noch Sekretär beim damaligen Nationalliga-A-Club FC Biel, als dem SFV 1961 gar keine andere Wahl blieb, um die Saison rechtzeitig vor der WM in Chile beenden zu können: Am 23. Dezember wurden vier Sechzehntelfinals im Schweizer Cup terminiert. 2400 Zuschauer sahen ein tapferes Wohlen gegen die Young Boys verlieren (0:1). Ein paar weniger wurden auf der Luzerner Allmend bitter enttäuscht von ihrer Mannschaft, die sich «ge-

fiel in blasiertem, stehendem Fussball» (NZZ) und dem klassentieferen Bellinzona 0:3 unterlag. Acht Tage später, an Silvester, musste sogar eine komplette Runde in der Nationalliga A angesetzt werden. Servette Genf, das am Ende den Titel vor Lausanne verteidigte, konnte es sich leisten, den grossen Goalgetter Jacques Fatton (Torschützenkönig mit 25 Treffern) pausieren zu lassen, und siegte dennoch 4:0 in Lugano. Während der FC Basel dank Toren von Otto Ludwig und Hanspeter Stocker in Schaffhausen gewann

Am letzten Tag des Jahres eine Vollrunde in der Nationalliga A und ein 18-Jähriger namens Jakob Kuhn mit seinen Toren die 2:6-Klatsche des FC Zürich beim auf Wiedergutmachung gebürsteten FC Luzern kaum erträglicher machte, sorgten 8000 Zuschauer im Hardturm für die grösste Kulisse. Die «Neue Zürcher Zeitung» berichtete am 2. Januar über eine «dünne, sehr glitschige Humusschicht über dem hartgefrorenen Boden, Föhnstimmung bei wechselnder Bewölkung und Temperaturen von wenigen Graden über dem Nullpunkt». Das mündete in «Rutschpartien von fünf bis zehn Metern, die den Spielern weniger Spass bereiteten als den Zuschauern». GC gewann 3:1, und der Chronist hielt fest, dass die Young Boys «das Aussehen von Kaminfegern» hatten. Webcode: @ajqsc

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Sport

Der Fall FC Sion

Das Spiel spielen, wie es der FC Sion tut einem Ausschluss der Schweiz vom internationalen Fussball. Und die Schweizer Funktionäre stehen vor der Frage: Wie kann die Fifa besänftigt werden, ohne die eigenen Rechtsgrundsätze ßber Bord zu werfen? Der FCB als unschuldiges Opfer

von Florian Raz

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anchmal kann die LÜsung fßr ein vertracktes Problem ganz einfach sein. Alles, was es braucht, ist ein anderer Blickwinkel. Der Schweizer Fussball steht derzeit nur scheinbar vor einem gordischen Knoten. Kaum entwirrbar wirken die vielen Gerichtsfälle vor zivilen und Sportgerichten, die Christian Constantin mit seinem FC Sion angezettelt hat. Nun fordert der Weltverband Fifa ultimativ die Bestrafung der Walliser, er droht mit

Bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe am Mittwochabend war dazu noch kein Entscheid gefallen. Aber dass der Schweizerische Fussballverband (SFV) und die Swiss Football League (SFL) etwas tun mßssen, ist klar. Immerhin ist von der Drohung der Fifa auch der FC Basel als unschuldiges Opfer betroffen, der bei einer Suspendierung der Schweiz keinen Champions-League-Achtelfinal gegen Bayern Mßnchen spielen kÜnnte. Es geht da um Sport – aber auch um rund sechs Millionen Franken Einnahmen fßr die Basler. Der Ausweg fßr die Schweiz besteht in einer Bestrafung der Sittener: Punktabzug fßr unsportliches Verhal-

ten, weil der Club Spieler eingesetzt hat, die gemäss Fifa nicht hätten spielen dßrfen. Ob das Vorgehen juristisch haltbar ist, ist derzeit zweitrangig. Jetzt ist der Moment gekommen, um das Spiel so zu spielen, wie es der FC Sion von Beginn weg getan hat.

Der Ausweg besteht in einer Strafe fßr Sion. Ob diese juristisch haltbar ist, ist derzeit zweitrangig. Bei all den juristischen Verfahren, die Constantin angezettelt hat, ging es ihm nämlich auch nie darum, ob er in der Sache am Ende in der letzten Instanz Recht bekommt. Constantin schaut darauf, was er praktisch herausholen kann. So hat er mit einer superprovisorischen Verfßgung jene sechs Spieler während fast eines halben Jahres eingesetzt, die er gar nicht hätte verpflichten dßrfen. Dass die Spieler in der Sache, nämlich in der

Frage, ob ihre PersĂśnlichkeitsrechte verletzt wĂźrden, schliesslich abgeblitzt sind, war irrelevant. Die sechs haben gespielt – und es wurden trotzdem keine Forfait-Niederlagen ausgesprochen. Die Sittener standen als Sieger da – obwohl sie vor Gericht verloren hatten. Constantin wird auch gegen einen Punktabzug alle denkbaren juristischen Schritte ergreifen. Das ist sein gutes Recht. Nur wird das endgĂźltige Urteil den Schweizer Fussball nicht mehr gefährden. Wenn Constantin verliert sowieso nicht. Gewinnt er aber, dann hat die Fifa auch keine Handhabe mehr, um die Schweiz zu suspendieren. Einziger Pferdefuss: Die Tabelle der Super League wird bis zum Abschluss der Streitereien mit einem Sternchen versehen sein. Erst wenn der Internationale Sportgerichtshof entschieden hat, steht die Rangliste der Meisterschaft fest. Aber das ist ja bereits jetzt der Fall. Webcode: @ajryf

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Ein Kleinkünstler hat Grosses vor 2012 wird ein bedeutendes Jahr für den jungen Basler Slampoeten Laurin Buser: Er bringt sein zweites Programm auf die Bühne und veröffentlicht seine erste CD. Von Marc Krebs

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erführerisch brummt die Stimme: «This is a song for all the ladys in Arlesheim.» Laurin Buser blickt auf den Boden und schiebt nach: «Nennen wirs Herzfickerschmerzscheiss, damit der Song nicht zu kitschig wird.» Das sitzt. Besser gesagt: Das wird sitzen, wenn er dieses Intro erstmals vor Publikum vortragen wird. Noch sitzt er im Untergeschoss eines Allschwiler Gewerbebaus. Auf den ersten Blick ein Bandraum wie jeder andere: Neonröhren, Betonwände, Luftschutztüren. Auf einem Sofatischchen Thermosflasche, Macbook und – das macht den kleinen Unterschied – ein Buch von Sartre. Hier spielt nicht nur die Musik. Hier spricht auch der Denker. Frühe Erfolge Der Slam-Poet feilt derzeit zwischen seinen Auftritten mit seinem musikalischen Kompagnon Sascha F. an neuen Liedern. Mal raspelt Laurin Buser in schwindelerregendem Tempo einen Ragga ins Mikrofon, mal schaut er zu, wie sein Kumpel einen Beatbox-Rhythmus aufbaut, loopt und dazu ein funky Gitarrenriff spielt. Ein eingespieltes Team, das konzentriert arbeitet. In der Pause gehts kurz rauf an die frische Luft. Laurin Buser zündet sich eine Zigarette an, zupft seine Mütze zurecht und blickt hektisch umher. «Nur noch zwei Wochen, dann gehts los», sagt er. Dann feiert er mit seinem neuen Bühnenprogramm Premiere. Ein Getriebener? Möglich. Ein Angetriebener? Ganz bestimmt. Erst zwanzigjährig, ist sein Leistungsausweis beachtlich: 2010 wurde er in Bochum deutschsprachiger Poetry-SlamMeister, Kategorie U20. Im selben Jahr spielte er eine Hauptrolle im Bühnenstück «Punk Rock», mit dem das Junge Theater Basel zurecht überregional Er-

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folg feierte – stark inszeniert, das Stück, stark gespielt auch. Ebenfalls im letzten Jahr trat er mit seinem ersten Soloprogramm an der Kleinkunstbörse in Thun auf, wo sich Veranstalter jeweils einen Überblick über die aktuelle Schweizer Szene verschaffen. Laurin Buser fiel auf – und erhielt Anfragen zuhauf. Seither lebt er von seiner Kunst. «Wenn ich in einem Kleintheater rappe, dann finden das Leute super, die mit dieser Kultur sonst nichts anfangen können. Das ist schön. Aber auch seltsam.» Wer ihn vor fünf Jahren, am Anfang seiner Slam-Karriere, erlebte, sah einen Idealisten, der von einer besseren Welt träumte, der mit wohlfeilen Gedichten und charismatischer Perfor-

Shooting Star war gestern. Sein GA amortisiert er heute im Nu. mance punktete. Ein «Schnügel», dieser junge Kerl aus Arlesheim. Die Schülerinnen in der ersten Reihe: hin und weg. Eine Blüte dieser Frühphase ist die mit Pathos aufgeladene Ballade «Die Rose», die auf Youtube schon fast 50 000 Mal angeschaut wurde. «Das ist lange her», sagt Laurin Buser und meint es nicht kokett. Er lernt ständig dazu, entwickelt sich weiter. Das rechnen ihm etablierte Slam-Kollegen hoch an: «Nichts wäre einfacher, als auf einer erfolgreichen Schiene weiter zu fahren», sagt Sebastian, 23. «Glücklicherweise ist das Laurin zu langweilig. Er probiert sich immer wieder neu aus – ohne Qualitätsverlust. Die Kunstform des gesprochenen Wortes braucht genau solche Leute. Ansonsten erstarrt sie und verblasst wie ein Keks in der Konditorei.» Schliess-

lich gesteht der arrivierte Slampoet aus Bochum: «Ich möchte so werden wie Laurin Buser. Das klingt nach einer platten Phrase, aber es stimmt wirklich, ich möchte so werden wie er: jünger, attraktiver, Schweizer.» Jünger wären auch manche Fans gerne. In seiner Post fand Buser schon mal eine Liebeserklärung, in der die Absenderin seufzend bedauerte: Wenn nur die 40 Jahre Altersunterschied nicht wären! Schritt in die Selbständigkeit Wann fasste er den Entscheid, seine Gefühle und Gedanken auf die Bühne zu tragen? Schon mit 14 Jahren schrieb er Texte, «allerdings nur für mich. Raps», erzählt er. Als ihm ein Bekannter auf Youtube Slampoetry zeigte, wusste Laurin: «Das will ich auch probieren! Also schaute ich nach, wo der nächstbeste Wettbewerb stattfand: in Kreuzlingen, am Bodensee.» Seine Eltern fuhren ihn hin und erlebten mit, wie ihr Sohn erstmals auf einer Bühne stand, mit einem eigenen Text. Aufgeregt. Aufgewühlt. Und glücklich. Mit 15 nahmen die grossen Reisen ihren Anfang: Tagsüber feilte Laurin an seiner Poesie, am Wochenende fuhr er zu Slams. Nachdem er mit 19 Jahren die Steiner-Schule abschloss, zog er aus, nach Basel, in eine WG. Seine Eltern hatten Verständnis, dass er sein Glück fortan in der Selbständigkeit suchen wollte, schlugen sie doch einst den gleichen Weg ein: Mutter Dalit Bloch ist Schauspielerin und Regisseurin, Vater Daniel Buser Schauspieler und Musiker (Touche Ma Bouche). Das Theater sei seine zweite grosse Leidenschaft, sagt Laurin Buser, eine Schauspielausbildung könnte er sich später mal vorstellen. Im Moment aber lässt er seiner Experimentierlust freien Lauf, stellt hohe Ansprüche an sich,

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greift auch ernsthafte Themen auf, aber mit Humor. Er betört mit Hirn, Charme und Ironie. Shooting Star war gestern. Sein GA amortisiert er mittlerweile im Nu, Kleinkunstkeller, Firmenanlässe, Theatersäle – die Agenda ist voll. Als sei das noch nicht genug, organisiert er auch noch den grössten Slam der Nordwestschweiz, im Kulturpavillon am Zoll Otterbach/Basel. Der Slam ist fast immer ausverkauft. Laurin Buser, so scheint es, macht nicht nur sehr viel, sondern auch sehr viel richtig. «Ich muss mir eine Agentin suchen», sagt er, «manchmal wächst mir all das Organisatorische über den Kopf.» Und den Kopf, den möchte er frei haben. Für Ideen, für seine Texte, seine Musik. Ein ganzes Album hat er mit Sascha F. aufgenommen, 2012 soll es erscheinen. Zuvor bringt er das Bühnenprogramm «Earth Shaking» zur Uraufführung (Regie: Sandra Löwe). Gleich für acht Abende hat ihn das Tabourettli gebucht. Grosses Vertrauen. Grosse Erwartungen. Ist da nicht die Gefahr, dass er sich übernimmt? Sein grosser Slam-Bruder Gabriel Vetter (28) glaubt an ihn: «Laurin ist ein schlauer Kerl mit dem richtigen Schuss Schwerenot und Selbstkritik, die ihn davon abhält, dem ganzen Schweizer-Illu-Prix-Walo-Scheiss zu verfallen, und trotzdem locker genug, sich ums brottrockene Feuilleton-Geschwurbel zu scheren.» Man werde noch viel hören, sehen und lesen von Laurin Buser, prognostiziert Vetter: «Könnte man von jungen Künstlern Aktien kaufen, Laurin wäre meine erste Wahl.»

Tabourettli, Basel. Premiere: 4.1., 20 Uhr. Weitere Vorstellungen: 5.–7. und 11.–14. Januar 2012. Den Kopf möchte er frei haben für seine Ideen, seine Texte und seine Musik: Laurin Buser (20).

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Foto: Dirk Wetzel

Webcode: @ajjwo

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Kultur

Peter Falk 2011 starben viele Kulturgrössen, von Loriot über Amy Winehouse und Liz Taylor bis zum Maler Lucian Freud. Sie werden für ihr variantenreiches Werk in Erinnerung bleiben. Einer aber, der am 23. Juni im Alter von 83 Jahren verstarb, hat sich mit nur einer Rolle in unserem Gedächtnis festgesetzt: Peter Falk, der fast untrennbar mit der Hauptrolle seines Lebens verwachsen scheint, mit Columbo, dem Inspektor mit dem Glasauge, dem leichten Sprachfehler und der schrägen Körperhaltung, der die entscheiden-

de Frage an den Täter immer mit den Worten «Nur noch eins …» einleitete. Zwischen 1968 und 2003 löste Columbo insgesamt 69 Fälle. Daneben drehte Falk noch diverse andere Filme, an die wir uns aber nicht mehr richtig erinnern. Nur an eine Szene noch: jene am Imbissstand in Wim Wenders «Der Himmel über Berlin», wo Peter Falk als Peter Falk dem Engel Bruno Ganz die Magie des Zeichnens erklärt. Zauberhaft schräg. Karen N. Gerig Weitere Verluste 2011: ab 29.12. auf tageswoche.ch/kultur.

Ai Weiwei Am 3. April 2011 kam der Aufschrei: Der chinesische Künstler Ai Weiwei sei an unbekanntem Ort in Haft genommen worden. So angemessen die Empörung darüber auch war, wirklich überrascht konnte von dieser Entwicklung keiner sein. Die politischen Repressalien gegen den weltberühmten Aktionskünstler hatten ihren Anfang schon Jahre vorher genommen. Man suchte, so schien es, lange nach einem geeigneten Grund, den Regimekritiker zu verhaften. Als dieser im März verlautbaren liess, er habe in Berlin ein Studio für sich gefunden, fanden die Behörden plötzlich ihren Grund: Sie lasteten dem Künstler kurzerhand Steuerhinterziehung an. Die Inhaftierung war der vorläufige Höhepunkt im politischen Kampf Ai Weiweis. International wurde Protest dagegen laut. Am 22. Juni schliesslich wurde Ai Weiwei gegen Kaution freigelassen. Ein Jahr lang darf er Peking nicht verlassen. Kurz nachdem er im November seine Steuerschuld beglichen hatte, wurde bekannt, dass China nun wegen des Vorwurfs der Pornografie gegen ihn ermittelt. Der Kampf geht in die nächste Runde. Karen N. Gerig Weitere Kunstereignisse 2011: ab 27.12. auf tageswoche.ch/kultur.

The Tree of Life Das Filmfestival von Cannes machte 2011 vor allem aus zwei Gründen von sich reden: wegen Lars von Triers Nazi-Sprüchen einerseits und wegen der Vergabe der höchsten Auszeichnung, der Goldenen Palme, an «The Tree of Life» andererseits. Die Premiere des Filmes von Regisseur Terrence Malick wurde sowohl von Buhrufen wie auch von Applaus begleitet. Die Kritiker waren geteilter Meinung, und auch das Publikum wusste nicht so recht, was es mit dem Werk, das ein Familiendrama mit der Entstehung des Universums vermengt, anfangen soll. Zuschauer, die den Kinosaal verliessen, waren nicht selten, auch das Starensemble mit Brad Pitt und Sean Penn konnte sie nicht im Sessel halten. Die betörenden Bilder konnten sie leider nicht über Längen in der Dramaturgie hinwegtäuschen, und auch die zwischen Esoterik und Religiosität schwankenden Monologe boten Anlass für Disharmonie. Karen N. Gerig Weitere Filme des Jahres: ab 25.12. auf tageswoche.ch/kultur.

Das Kulturjahr 2011: Was Basel und die Welt bewegte TagesWoche 51

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s war nicht speziell lang und auch nicht speziell aufregend, das Jahr 2011. Und doch gab es Schönes, Schlechtes, Nerviges oder Trauriges, das am Ende des Jahres in unserer Erinnerung hängenbleibt. Die Kulturredaktion der TagesWoche hat in den Gehirnwindungen nach Bemerkenswertem gewühlt und Ereignisse für gleich zehn Bestenlisten zusammengetragen. In diesen trifft Re-

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Kultur

Adele: «Rolling in the Deep» Als Adele 2008 mit ihrem Debüt «19» die Charts stürmte, hagelte es unschmeichelhafte Vergleiche: Sie war die adrettere Amy, die dickere Duffy. Dabei ist Adele vor allem eines: eine äusserst talentierte Songwriterin alter Schule, mit einer rauchigen Ausnahmeröhre – und: ein rebellisches Raubein, «eine hysterische, nervöse, britische Irre» (Adele über Adele). Statt sich deshalb aber abzuschiessen oder auszuziehen, brachte

Adele 2011 «21» heraus – das bisher meistverkaufte britische Album des 21. Jahrhunderts – und reifte mit der sensationellen Single «Rolling in the Deep» zum selbstbewussten Superstar. Sechs Grammy-Nominationen später weiss die Musikwelt: Adele ist zum Glück keine Duffy und wird hoffentlich nie zur Amy. Adele ist Adele – und das ist gut so. Tara Hill Weitere Songs des Jahres: ab 26.12. auf www.tageswoche.ch/kultur.

Der Schweizer «Tatort» Es war schon fast zum Heulen. Da erhält die Schweiz nach fast zehn Jahren endlich mal wieder die Chance, bei der «Tatort»-Reihe mitzutun, und was kommt dabei raus? Ein schlechter Film, ein lächerlicher Skandal und viele unnötige Diskussionen. Letztere hatten immerhin zur Folge, dass die Zuschauerquote bei der Ausstrahlung im August so hoch war wie schon lange nicht mehr. Der wahre Krimi aber fand hinter den Kulissen statt: Zitate mussten gestrichen und Teile des Films neu synchronisiert werden, die SVP empörte sich ob der Darstellung eines rechtspopulistischen Politikers, die aus Amerika eingeflogene «CSI»-Darstellerin Sofia Milos agierte wie ein Alien. Für Teil 2 der Serie, der trotz all dem abgedreht wurde, wünschen wir Besserung und dem Schweizer Fernsehen mehr Glück. Karen N. Gerig Weitere Kulturflops 2011: ab 31.12. auf tageswoche.ch/kultur.

R.E.M., «Collapse into now» Im März brachen R.E.M. mit ihrem 15. Studioalbum über uns herein. Die US-amerikanische Band gab darauf noch einmal richtig Gas. Dass es ihr Abschiedsalbum werden würde, ahnten wir damals noch nicht. Stattdessen wähnten wir sie auf einem neuen Höhepunkt angelangt. Doch wie sagt das Sprichwort? Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. R.E.M scheinen dies beherzigt zu haben, denn ein halbes Jahr später, im September, gaben Michael Stipe (Bild), Mike Mills und Peter Buck die Auflösung ihrer Band bekannt. 31 Jahre lang hatten sie zusammen gerockt, und «Collapse into now» erscheint rückblickend wie ein Querschnitt dieser Jahre. Rockige Songs waren darauf ebenso vertreten wie sehnsuchtsvolle Balladen. Und zurück bleibt die Frage: Hätten wir für dieses Album vielleicht doch gerne noch eine Abschiedstour erhalten? Karen N. Gerig Weitere Alben des Jahres: ab 28.12. auf tageswoche.ch/kultur.

Renoir

gionales auf Internationales, und umstrittene Themen sind ebenso vertreten wie diskussionslos gute oder schlechte. Finden wir. Als Appetithäppchen gibt es auf dieser Doppelseite eine Best-of-Auswahl. Die Listen werden ab heute Freitag, den 23. Dezember, auf unserer Website aufgeschaltet – jeden Tag eine, für all jene, die das Adventskalenderritual noch ein Weilchen beibehalten wollen.

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Ab April rührt das Basler Kunstmuseum mit der grossen Kelle an: «Spektakulär» soll sie werden, die Ausstellung zu den frühen Jahren des Impressionisten Pierre-Auguste Renoir. Sie soll ausserdem aufräumen mit den zuckrigen Klischees, die dem französischen Maler anhaften. Uns interessiert darüber hinaus: Mit dieser Ausstellung dringt das Kunstmuseum in die Stammgefilde der Fondation Beyeler ein. Ob es ihm damit gelingt, auch ähnlich imposante Besucherzahlen zu erreichen wie das Haus in Riehen? Wir wissen es spätestens, wenn die Ausstellung im August wieder abgeräumt wird. Karen N. Gerig Weitere Versprechungen und Wünsche für 2012: ab 1.1. auf tageswoche.ch/kultur.

Fotos: Laif, PD, ex-press, Keystone, teutopress, © Pro Litteris

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Kultur

Manch Totgeglaubter steht wieder auf Wenn der Samichlaus zweimal klingelt – eine Weihnachtsgeschichte der anderen Art. Von Matto Kämpf und Anja Kofmel (Illustration)

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Dezember, halb neun Uhr abends, es klingelt an der Tür. Ich sitze in der Küche und esse Spaghetti mit Senf. Aus Protest. Gegen Weihnachten. Es ärgert mich, dass ich überhaupt weiss, dass heute Weihnachten ist. Da beginnt doch im Grunde das Übel. Und es ärgert mich, dass es jetzt zum zweiten Mal klingelt. Hat jemand keine Kerzen? Oder brennt das Haus? Mürrisch öffne ich die Tür. Da steht ein Samichlaus. Oder ein Weihnachtsmann. Oder ein Santa Claus. Oder was weiss ich. Bleiben wir heimisch und sagen Samichlaus. Ausgerechnet an Weihnachten. Welch eine grossartige Überraschung. Ein Klabautermann oder ein Zyklop wären aufregender. Der Samichlaus ist zwei Meter gross, ein Meter breit und trägt das klassische Kostüm: eine rote Kutte mit weissem Rand, eine entsprechende Mütze, schwere Stiefel und im Gesicht ein wattiger Bart. Er schwitzt. Aus dem Bart rieselt leise der Schweiss, er keucht und öffnet den Mund. Er will etwas sagen, kann aber nicht. Er stützt sich am Türrahmen ab und schaut mich an. Ich schaue ihn an. Es geschieht länger nichts. Er schwankt. Ich sage: Hier hat es keine Kinder, oben sind Kinder. Er japst und verliert das Gleichgewicht. Ich sehe ihm dabei zu. Ich hoffe, er fällt rückwärts in das Treppenhaus. Doch er fällt vorwärts in meine Wohnung. Die Küchenuhr tickt. Ich schliesse die Tür. Wegen den Nachbarn. Ich betrachte den am Boden liegenden ro-

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ten Brocken. Er sollte ein Glas Wasser trinken. In meinem Gang zu liegen, ist sicher falsch. Der Mann gehört in einen Sessel. Ich schleife den Störefried ins Wohnzimmer und hieve ihn in einen Sessel. Jetzt schwitze ich, er aber kippt zur Seite. Ich tätschle ihm die Wangen und sage: Hallo. Er macht keinen Wank, keucht nicht mehr und schwitzt nicht mehr. Er ist tot. Ärger, sagt ein Gedanke. Drei Minuten warten, sagt ein anderer Gedanke. Nichts überstürzen bei Todesfällen. Manch Totgeglaubter steht wieder auf und überlebt seine Trauergemeinde um Jahrzehnte.

Wem gehört dieser Samichlaus? Er muss abgeholt werden. Ich gehe in die Küche und schaue dem Sekundenzeiger drei Runden lang zu. Da höre ich ein dumpfes Geräusch. Er ist aus dem Sessel gefallen. Aber immer noch tot. Immerhin. Ich ziehe ihn in den Sessel zurück. Leichen haben einen Hang zur Flucht. Ich prüfe Puls und Atem. Kein Zweifel. Ich suche ein Wort und finde Zuständigkeit. Wem gehört dieser Samichlaus? Er muss abgeholt werden. Hat er einen Ausweis? Ich knöpfe seine Kutte auf. Darunter wird er etwas Ziviles tragen. Tut er aber nicht. Er trägt auch

keine Unterwäsche und die Kutte hat weder Innen- noch Aussentaschen. Ich gehe in die Küche. Ein unidentifizierbarer Samichlaus ist kein Weltuntergang. Ruhe bewahren, Radio einschalten. Einer behauptet, Melchior habe das Gold gebracht, Balthasar den Weihrauch und Kaspar die Myrrhe. Radio wieder ausschalten. Ich schaue zum Küchenfenster hinaus. Im Halteverbot steht ein Schlitten mit vier Rentieren. Also doch kein Samichlaus, eher ein Weihnachtsmann. Womöglich ein Ami. Im Wohnzimmer tut sich etwas. Ich höre ein Rascheln. Sind Leichen nur dann tot, wenn wir sie im Auge behalten? Ich muss einschreiten und dem Leichnam Einhalt gebieten. Vorsichtig schleiche ich ins Wohnzimmer. Der Weihnachtsmann sitzt unverändert im Sessel. Gemeinsam mit Toten erlebt man die tollsten Sachen. Ich stelle mich in den Türrahmen und schaue ihm beim Totsein zu. Plötzlich nervt mich sein Kostüm. Dieser Mensch begeht nicht nur die Frechheit, hier derart unverfroren in meine Wohnung hineinzusterben, nein, er tut das auch noch weihnächtlich kostümiert. Ich frage mich, wie das nun weitergehen soll, worauf der Weihnachtsmann wiederum aus dem Sessel fällt. Jetzt nervt mich auch der Sessel. Unglaublich. Was ist das für ein dummer Sessel? Ausserstande, einen toten Weihnachtsmann zu beherbergen. Doch genug geklagt. Es liegt an mir, etwas Schwung in die Sache zu bringen.

Ich hole meine Säge und zersäge den Sessel. Ich schwitze wieder. Wenig später liegen zerfetzte Polster und ein paar Holzscheiter neben dem Weihnachtsmann auf dem Wohnzimmerboden. Ich sammle die Holzscheiter zusammen und gehe in den Hof. Dort lege ich sie auf einen Haufen und zünde sie an. Eine angenehme Wärme fährt mir in die Knochen. Nach einer Weile kommen drei Kinder in den Hof. Sie sind in dicke Jacken gepackt und schauen mich traurig an. Ich frage sie, was los sei. Der Weihnachtsmann ist nicht gekommen, sagt das Älteste von ihnen. Ja, ja, manchmal kann er nicht, murmle ich und lege meine Arme um die Kinder. Gemeinsam schauen wir ins Feuer. Ich beginne leise zu summen. Die Kinder steigen darauf ein. Wir singen zusammen Stille Nacht, Heilige Nacht. Die Augen der Kinder leuchten. Webcode: @ajadz

Matto Kämpf (*1970) lebt als Autor, Film- und Theatermacher in Bern. Seine «Tiergeschichten» und sein Krimi, ein sprachliches Kleinod namens «Krimi», sind im Luzerner Verlag «Der gesunde Menschenversand» erschienen. Anja Kofmel (*1982) ist als Animationsfilmerin und Illustratorin tätig und arbeitet aktuell an einem von Dschoint Ventschr produzierten Langfilm. Ihr Kurzfilm «Chrigi» wurde mehrfach ausgezeichnet.

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AG E N DA Was läuft wo? Täglich aufdatierte Kulturagenda mit Veranstaltungen aus der ganzen Schweiz – auf tageswoche.ch

FREITAG 23.12.2011 AUSSTELLUNGEN Anatomisches Museum der Universität Basel Die verschiedenen Gesichter des Gesichts Pestalozzistr. 20, Basel Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig Sex, Drugs und Leierspiel St. Alban-Graben 5, Basel Ausstellungsraum auf der Lyss – Schule für Gestaltung Too Late Spalenvorstadt 2, Basel Cargo Kultur Bar Regionale 12 – Modern Jesus & Co – Project 3. St. Johanns-Rheinweg 46, Basel Cartoonmuseum Basel How to Love St. Alban-Vorstadt 28, Basel Galerie Carzaniga Rolf Iseli / Albert Steiner Gemsberg 8, Basel Galerie Eulenspiegel 10 Jahre Galerie Eulenspiegel Gerbergässlein 6, Basel Galerie HILT Weihnachtsausstellung 2011 Hänggi Freie Str. 88, Basel

Wochenstopp Dexter Doom & The LBO Kapitän Dexter Doom und seine Tanzkapelle «The Loveboat Orchestra» legen in der Kuppel zur Taufe an. Von Tara Hill In einer stürmischen Nacht, während eines mindestens ebenso tosenden Konzerts, soll das Unglück passiert sein: Unter ungeklärten Umständen sei Bandleader und Vorzeige-Crooner Dexter Doom über Bord des Kreuzfahrtschiffs gegangen, wo er und sein «Loveboat Orchestra» eben noch für Furore gesorgt hatten. Traumatisiert vom Verlust des verschwundenen Gründers und Mentors meidet seine experimentelle Kapelle seither die Weltmeere und buhlt nun ausschliesslich auf dem festen Boden der sieben Kontinente um «Rum und Ehre». So zumindest lautet die launige Legende, die sich «Dexter Doom & The Loveboat Orchestra» selber angedichtet haben – und welche die leicht schwankenden Leitplanken für ihre «skandalöse Liftmusik» bildet. Tatsächlich wird die neunköpfige Schweizer Combo von Sänger und MC Sebastian Bolli angeführt, der einst aus Mostindien gen Basel zog und sich in der Wahlheimat neben seiner Rolle als Bandleader auch einen Namen als stilsicherer Konzertveranstalter – ob Gipsy oder Funk, Indie-Rock oder Electro-Pop – gemacht hat. Auch wenn Bolli standhaft behauptet, «auf keinen Fall Dexter Doom zu sein», hat der hochgewachsene Hutträger eine illustre Schar schräger Vögel in Massanzügen um sich versammelt, die bei ihren gemeinsamen Auftritten ein feuchtfröhliches Feier-Feuerwerk zünden. Aber Obacht! Bei seinem «Loveboat Orchestra» handelt es sich nicht einfach um Amateure: Ob an Orgel, Trompete oder Posaune, hinter den Orchestermitgliedern stecken allesamt waschechte Jazz-Virtuosen,

die in schwindelerregendem Tempo von satter Balkan-Folklore zu beschwingt swingendem Easy-Listening, von schmelzendem Soul hin zum rasanten Ska-Stakkato wechseln, ohne auch nur eine Sekunde die eigene Coolness aufs Spiel zu setzen. All dies beweisen die acht Mannen und Bläserdame Rita Ekes auch auf dem Album «Kingston We Have A Problem», einer kolossalen (Inter-)Kontinentalplatte, wo Mani Matter auf britisches Kinderlied, Russendisco auf Indianerweise trifft. Klar, dass ein solches Werk gebührend getauft werden will. Dank Titeln wie «The Liquor Zone (Where We All Belong)» oder «Vodka Stolichnaya» wird dem geneigten Publikum auch rasch klargemacht, wie diese musikalische Weltreise live aussehen soll: feuchtfröhlich und spritzig, bis der Schweiss in Bächen fliesst, ein Abend, bei dem kein Auge, aber dafür der Humor trocken bleibt. Da auch die Landratten hiesiger Gefilde dem gesponnenen Dada-Garn dieser Seemänner gerne lauschen oder sich berauschen lassen, muss man bei der Premiere höchstens zweierlei befürchten: dass der Rum in der Kuppel, wo sich die Kapelle die Ehre gibt, vorzeitig ausgeht. Und dass man nach dem Auftritt der frohen Bootschaft bereits zu Silvester mit einer katerstrophalen Attacke von Seekrankheit erwachen könnte. Webcode: @ajqry

Dexter Doom & The Loveboat Orchestra: Kuppel, Binningerstrasse 14, Basel, 30. Dezember, 21 Uhr. www.kuppel.ch.

Messe Basel Körperwelten – Eine Herzenssache Messeplatz 25, Basel Museum Tinguely Robert Breer / Tinguely und das Auto Paul Sacher-Anlage 2, Basel Museum der Kulturen Buon Natale! / Chinatown / EigenSinn – Inspirierende Aspekte der Ethnologie / On Stage – Die Kunst der Pekingoper Münsterplatz 20, Basel Museum für Gegenwartskunst Hopelessness Freezes Time St. Alban-Rheinweg 60, Basel Naturhistorisches Museum Basel Knochenarbeit Augustinergasse 2, Basel Nicolas Krupp Contemporary Art Diango Hernández Rosentalstr. 28, Basel Pep + No Name Galerie China Unterer Heuberg 2, Basel Puppenhausmuseum Brillen / Viktorianische Weihnachten Steinenvorstadt 1, Basel Raum für Kunst, Literatur und Künstlerbücher Give Me a Reason to Love You Totengässlein 5, Basel S AM – Schweizerisches Architekturmuseum The Object of Zionism Steinenberg 7, Basel Stampa Udo Koch – Josef Felix Müller Spalenberg 2, Basel

Von Bartha Garage Bernar Venet Kannenfeldplatz 6, Basel

Galerie Katharina Krohn Alle Jahre wieder Grenzacherstr. 5, Basel

balzerARTprojects Malerei ist das Anbringen von Farbe ... Riehentorstr. 14, Basel

Galerie Mäder Olivier Saudan Claragraben 45, Basel

dock Multiples Shop Klybeckstrasse 29, Basel

Gallery Daeppen Alien Interviews: We’ve Made Contact / Bane Begins Müllheimerstrasse 144, Basel

mitart Peekaboo Reichensteinerstr. 29, Basel

Graf & Schelble Galerie Heinrich Gohl Spalenvorstadt 14, Basel

pausenplatz Gedruckt Gotthelfstr. 23, Basel

Kunsthalle Basel 6 Künstler aus Basel x2 Steinenberg 7, Basel

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Maison 44 Terra Luminosa Steinenring 44, Basel

Tony Wuethrich Galerie Markus Gadient Vogesenstr. 29, Basel

Galerie Karin Sutter Blossom – Stephan Spicher Rebgasse 27, Basel

Kunstmuseum Basel Arbeiten auf Papier / Die Landschaften / Malerei auf Papier St. Alban-Graben 16, Basel

Laleh June Galerie Crystel Ceresa Picassoplatz 4, Basel

Goetheanum Goetheanum EinszuEins Rüttiweg 45, Dornach

Überbordende Energie: Die Basler Grossformation Dexter Doom & The Loveboat Orchestra.

Kunsthalle Palazzo Regionale 12: If Six Was Nine (J.H.) Poststr. 2, Liestal

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Agenda

Freitag 23.12.2011 Atelier Martin Raimann – Walzwerk isaart.com @ Martin Raimann Tramstr. 62, Mßnchenstein Haus fßr elektronische Kßnste Basel Regionale 2011 Oslostr. 10, Mßnchenstein

ONO Ich sehe was, was du nicht siehst Kramgasse 6, Bern

Haus Appenzell HĂźndlich, FrĂśhlich, Freunttlich St. Peterstrasse 16, ZĂźrich

Zentrum Paul Klee Eiapopeia. Das Kind im Klee / Paul Klee. ĂźbermĂźtig / Ăźber GlĂźck Monument im Fruchtland 3, Bern

Haus Konstruktiv Open Space / Visionäre Sammlung Vol. 17 – Harry Fränkel Selnaustr. 25, ZĂźrich

Gletschergarten Top of the Alps Denkmalstr. 4, Luzern

Fondation Beyeler Dalí, Magritte, Miró – Surrealismus in Paris / Louise Bourgeois Baselstr. 101, Riehen

Historisches Museum RĂźstungen Pfistergasse 24, Luzern

Galerie Henze & Ketterer & Triebold Bernhard Schultze Wettsteinstr. 4, Riehen

Kunstmuseum Luzern ESCH. Ernst Schurtenberger / In Search of‌ / Jahresausstellung Zentralschweizer Kunstschaffen 2011 Europaplatz 1, Luzern

Vitra Design Museum BioMorph / Die Alchemie des Alltags Charles-Eames-Str. 1, Weil am Rhein Aargauer Kunsthaus Auswahl 11 / Winterwelten Aargauerplatz, Aarau Historisches Museum Bern Mord und Totschlag Helvetiaplatz 5, Bern Kunstmuseum Bern Amiet / Anna Blume und ich / Mysterium Leib / Passion Bild / Rectangle and Square Hodlerstr. 12, Bern

Natur-Museum Raben – Schlaue Biester mit schlechtem Ruf Kasernenplatz 6, Luzern RomeroHaus Was ist fremd? Mein Luzern. Oder deines? Kreuzbuchstr. 44, Luzern ETH Zentrum Annette Gigon / Mike Guyer Rämistrasse 101, ZĂźrich Graphische Sammlung der ETH Monotypie Rämistr. 101, ZĂźrich

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Häusler Contemporary Licht – KĂśrper Stampfenbachstr. 59, ZĂźrich Kulturama – Museum des Menschen eau & toilette Englischviertelstr. 9, ZĂźrich Kunsthaus ZĂźrich Bilderwahl! Encoding Reality / Landschaft und Pastell / The Nahmad Collection Heimplatz 1, ZĂźrich Landesmuseum ZĂźrich Die Uhrmacherkunst erobert die Welt / SchĂśne Seiten Museumsstr. 2, ZĂźrich Museum Bellerive Perfume HĂśschgasse 3, ZĂźrich Museum Rietberg ZĂźrich Mystik: Die Sehnsucht nach dem Absoluten Gablerstr. 15, ZĂźrich Museum Strauhof Literaturausstellungen Die Geheimnisse des Charles Dickens (1812–1870) Augustinergasse 9, ZĂźrich

Museum fßr Gestaltung Zßrich Die Besten 2011 in Architektur, Landschaft und Design / Hochhaus / Schwarz Weiss Ausstellungsstr. 60, Zßrich Mßhlerama Geisterstunde Seefeldstr. 231, Zßrich Schulhaus Kern Verdingkinder reden Kernstr. 45, Zßrich Schweizerische Nationalbank Schwarz und Weiss BÜrsenstrasse 15, Zßrich Shedhalle Unter Strom. Kunst und Elektrizität Seestr. 395, Zßrich Zßrcher Spielzeugmuseum Franz Carl Weber-Kataloge Fortunagasse 15, Zßrich

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Altwyyber-Friehlig nach einem der bezauberndsten und erfolgreichsten Schweizer Spielfilme: Die Herbstzeitlosen. FÜrnbacher Theater, Schwarzwaldallee 200, Basel. 20 Uhr Das siebente Siegel nach dem Film von Ingmar Bergman. Deutschprachige Erstauffßhrung Schauspielhaus, Steinentorstr. 7, Basel. 20 Uhr Die Ballade von der Typhoid Mary ex, ex theater. Wiederaufnahme E-Halle-Lounge, Erlenmattstrasse 5-11, Basel. 20 Uhr Die Unterrichtsstunde Stßck von Eugène Ionesco mit einem Prolog von Jean Tardieu Theater Basel, Theaterstr. 7, Basel. 20.15 Uhr Grease Musical Theater, Feldbergstr. 151, Basel.

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D’Wienachtsgschicht Puppenbßhne Demenga, Wirth Berner Puppen Theater, Gerechtigkeitsgasse 31, Bern. 14.30 Uhr Tapetenwechsel – Willkommen in Absurdistan Ein Stßck Theater von Compagnie 3. August ßber die Begegnung mit einem seltsamen KÜnig mit Down Syndrom Tojo Theater Reitschule, Neubrßckstr. 8, Bern. 20.30 Uhr

Der ideale Mann Schauspielhaus ZĂźrich. Schweizerische ErstauffĂźhrung Schauspielhaus Pfauen, Rämistrasse 34, ZĂźrich. 20 Uhr Industrielandschaft mit Einzelhändlern Theater an der Winkelwiese, Winkelwiese 4, ZĂźrich. 20.30 Uhr Mamma Mia! International Tour Theater 11, Thurgauerstr. 7, ZĂźrich. 19.30 Uhr Marasa Part two of the Cirque de Loin Trilogy about Consiousness and Art Theater Neumarkt, Neumarkt 5, ZĂźrich. 20 Uhr Musikalisch-theatralischer Adventskalender Mit Ăœberraschungsgästen Theater Stadelhofen, Stadelhoferstr. 12, ZĂźrich.

18 Uhr

19.30 Uhr

Märli fßr Erwachsene Theater Fauteuil-Tabourettli, Spalenberg 12, Basel.

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Bankgeschichten Ein Theaterreigen mit Musik La Cappella, Allmendstrasse 24, Bern. 20 Uhr

BettmĂźmpfeli mit Jurczok 1001 Theater Neumarkt, Neumarkt 5, ZĂźrich. 23 Uhr

THEATER

Anzeigen

Balkanmusik Weltalm. Autorentheater Schlachthaus Theater Bern, Rathausgasse 20/22, Bern. 20.30 Uhr

20 Uhr

Poetry Slam BurghofSlam: Frohe Reimnachten Burghof, Herrenstr. 5, LĂśrrach. 20 Uhr 37 Ansichtskarten Schweizer ErstauffĂźhrung Das Theater an der Effingerstrasse, Effingerstrasse 14, Bern. 20 Uhr

Schneewittchen und die 7 Zwerge ZĂźrcher MärchenbĂźhne Theater am Hechtplatz, Hechtplatz 7, ZĂźrich. 13.30 Uhr Weihnachtssalon in der Matchbox mit Ăœberraschungsgästen. BĂźhne Barbara Pfyffer Schauspielhaus Schiffbau, Schiffbaustrasse 4, ZĂźrich. 18 Uhr Zwerg Nase nach dem Märchen von Wilhelm Hauff Schauspielhaus Pfauen, Rämistrasse 34, ZĂźrich. 10 Uhr

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Agenda

POP/ROCK BFA – Live and Loud The Dons, Räpetoire, Blue Red Yellow, Daylight Robbery, Wyse, Mana Sommercasino, Münchensteinstrasse 1, Basel. 18 Uhr Krugerrand Bar Alpenblick, Klybeckstr. 29, Basel. 20 Uhr

Lichtspiele Stresslos schenken

Who’s Panda Pop DJs: Pat & Shy Lajoie Stall 6, Gessnerallee 8, Zürich.

Abschalten im Kinosessel? Das geht am besten bei einer Opern-Liveübertragung. Von Hansjörg Betschart

5 Rhythms Wave Latin Tanzpalast, Güterstr. 82, Basel.

Tequila Boys & Bandura Night Urban SUD, Burgweg 7, Basel. 21 Uhr

Eldorado FM / Lo & Leduc – Plattentaufe anschl. S!CK mit DJ Sir Jay (DE, Kool Savas) Bierhübeli, Neubrückstrasse 43, Bern. 22.30 Uhr

Chris Liebing Techno DJs Chris Liebing, Michel Sacher, Gene Le Fosse, Animal Trainer Nordstern, Voltastr. 30, Basel. 23 Uhr

Klangkartoffel Speis und Ton im Progrhof Loose Connection PROGR, Waisenhausplatz 30, Bern. 20.30 Uhr

Rockolymp Rock Who’s Electra, Kapnorth, Guns Love Stories, Hairdryer, All-Star-WTFOMG-Band Schüür, Tribschenstr. 1, Luzern. 20 Uhr Duo Dufaux & Marchetti Salon Theater Herzbaracke (Zürich), Zürich. 20.30 Uhr Funk’o’Meter Maiers Theater, Albisriederstrasse 16, Zürich. Knuts Koffer Langstars, Langstr. 120, Zürich.

20.30 Uhr

20 Uhr

Krüsimusig Theater Neumarkt, Neumarkt 5, Zürich. 22 Uhr Lilly Thornton & her Trio Trattoria & Soul, Seefeldstrasse 5, Zürich.

21 Uhr

Lokalbühne Jingle Jam, Oliveras’3 Mehrspur, Waldmannstr. 12, Zürich.

21 Uhr

Tomazobi Mundart, Pop, Singer, Songwriter Weihnachtskonzert Moods, Schiffbaustr. 6, Zürich. 20.30 Uhr

TagesWoche 51

19.30 Uhr

Before House, R&B The Venue, Steinenvorstadt 58, Basel. 22 Uhr

King Pepe Pop Café Kairo, Dammweg 43, Bern. 21 Uhr

YRU Alternative, Indie, Psychedelic ONO, Kramgasse 6, Bern. 20 Uhr

PARTY

Are you excellent?? Disco, Garage, Techno DJs Bedran Marquez, Nyle, Armando Gomez & Matthew Mendez, Mario Ferrini Excellent Clubbing Lounge, Binningerstr. 7, Basel. 22 Uhr

Christian S. Session Jazz, Pop, Soul Piazza Bar, Hirschengraben 11, Bern. 21 Uhr

Santa Claus Allstars Easy Listening feat. Chris (Favez), Renaud (Kruger), David & Greg (Chewy) inkl. Aftershowparty ISC, Neubrückstr. 10, Bern. 22 Uhr

22 Uhr

Disco vs Salsa Disco, Salsa DJ Carlos Rivera Bar Rouge, Messeplatz 10, Basel.

Grosse Gefühle: Im Kinosessel schwelgen wie in der Metropolitan Opera in New York. Foto: Getty Images

In der Oper könne sie, sagt meine Nachbarin, besser abschalten – als im Kino. Ich frage sofort: Was? Abschalten einer Niere führt zu Wasser in den Beinen. Hirn abschalten? Dafür sind Opern meist zu lang. Ausserdem wirkt meine Nachbarin mit ihren 70 sehr lebendig. Also die Lunge? «Carmen» kann mir schon mal kurzfristig den Atem rauben. Aber selbst bei Marthaler schalten meine Lungen nicht 90 Minuten lang ab. Trotzdem möchte man Menschen, deren To-do-Liste überfüllt ist, ganz herzlich den Besuch einer Oper empfehlen. Was man während einer Opern-Arie nicht alles gedanklich klären kann! Einkaufszettel rekapitulieren. Die Sitzordnung fürs Weihnachtsessen umstellen. Die Tipps der Anlageberaterin verwerfen. Entschlüsse über Kündigungspapiere festigen. Als Kinogänger kenne ich nur selten das böse Erwachen. Eher das irritierte Gewecktwerden, wenn ich nach einem «Melancholia»-Weltuntergang an der dänischen Küste wieder in der Stadthausgasse stehe und mich über das reibungslose Kurvenfahren der Drämmli wundere. Aber war das Abschalten? Besser beschreibt das Phänomen wohl Franz Werfel in «Eine blassblaue Frauenhandschrift»: Sie endet damit, dass der Protagonist Leonidas in der Oper «unter der drückenden Kuppel dieser stets erregten Musik» wegdämmert. «Immer schwerer stülpt sich die Musik über Leonidas. Mit langen Noten fahren die Frauenstimmen ge-

geneinander. Monotonie der Übertriebenheit! Er schläft ein.» Was viele nicht wissen: Es gibt die Oper auch live im Kino! Das ist dann das ultimative Abschalten. Hier gilt: Halten Sie während der Arien stets einen Gedanken bereit. Es lässt sich nirgends so ungestört über eine Scheidung nachdenken! Wenn Sie da einnicken, tun Sie nicht einmal den Musikern oder Sängerinnen weh. Die Macher sind weit weg (in der Metropolitan Opera New York) und werden es nicht als Beleidigung auffassen, wenn Sie an der Steinenvorstadt mitten in eine Arie hineinapplaudieren. Sollte Ihr Nachbar neben Ihnen ein- oder zweinicken: Wecken Sie ihn nicht. Wahrscheinlich macht er in Gedanken gerade die Gästeliste für die Hochzeit der Enkelin fertig. Selbst den folgenden Geschenktipp habe ich mir bei einer Arie durch den Kopf gehen lassen: Ich verschenke einen Eintritt für die Opern-Liveübertragung im Pathé-Kino (Händel: «The Enchanted Island», am 21.1.2012, 18.55 Uhr). Wer im nächsten Jahr viel nachzudenken hat, dem sei ein Opernabo (der Oper des Jahres 2010) des Basler Theaters als Geschenk empfohlen. Für Aufgeweckte bleibt: das Kino-Generalabonnement der kult.kinos. Das hält wach. Bitte beachten Sie, dass Sie dann vor Antritt der Reise immer ein Ticket haben! Webcode@abknz

22 Uhr

Disko Babushka Massaker DJ Fuxxoff Cafe Bar Agora, Feldbergstr. 51, Basel. 22 Uhr Friday Is Fame Day 80s, Charts, Latin, Partytunes DJ Branco Fame, Clarastr. 2, Basel. 22 Uhr Gameboys Christmas Special Dub, House, Jazz, Minimal DJs Wareika, Frqncy, Suddenly Neighbours Kuppel, Binningerstr. 14, Basel. 22 Uhr Groovesexy Bücheli Café Bar Lounge, Steinenvorstadt 50, Basel.

21 Uhr

Anzeigen

Die «Lichtspiele» von Hansjörg Betschart gibt es auch als Blog auf blogs.tageswoche.ch

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Agenda

Kreuzworträtsel

Freitag 23.12.2011 Latino Night DJ Flow Hip-Hop, Latin, Merengue Dancing Plaza Club, Riehenring 45, Basel.

22 Uhr

Oriental, House, Hip-Hop, R&B, Reggaeton Hip-Hop, House, Oriental DJ Dlo Harrem, Steinentorstr. 26, Basel.

20 Uhr

Party Hart! Partytunes DJs Dominique Heller, Robin Rehmann Atlantis, Klosterberg 13, Basel. 23 Uhr Schwerelos (Maturparty Gymnasium Liestal) Charts, Electro, House, Partytunes Live: Banker DJs She Ellen V., Joxx, Dänzkr Das Schiff, Westquaistr. 19, Basel. 22 Uhr Selekta Pull Up Dancehall, Reggae Cargo Kultur Bar, St. Johanns-Rheinweg 46, Basel. 21.30 Uhr Silvester! Jetztschon! Café Hammer, Hammerstr 133, Basel. 20 Uhr Sunset Vibes Café Del Mar, Steinentorstr. 30, Basel. 22 Uhr Thaiparty Hotel Alexander, Riehenring 83, Basel. 23 Uhr

Auflösung des Kreuzworträtsels in der nächsten Ausgabe.

The Perfect Friday Charts, Electro, House DJ Carlos Rivera CU Club, Steinentorstr. 35, Basel.

SUDOKU

BIMARU

So lösen Sie das Sudoku: Füllen Sie die leeren Felder mit den Zahlen von 1 bis 9. Dabei darf jede Zahl in jeder Zeile, jeder Spalte und in jedem der neun 3 x 3-Blöcke nur ein Mal vorkommen. Viel Spass beim Tüfteln!

So lösen Sie Bimaru: Die Zahl bei jeder Spalte oder Zeile bestimmt, wie viele Felder durch Schiffe besetzt sind. Diese dürfen sich nicht berühren, auch nicht diagonal, und müssen vollständig von Wasser umgeben sein, sofern sie nicht an Land liegen.

Auflösungen von SUDOKU und BIMARU in TagesWoche 50

Conceptis Puzzles

4 5 6 1

2

2 9

9 2

6 1

9 4 8

2 5

6

2

1

1 4

3 1 2

2 Conceptis Puzzles

2

4 5

3 6

TagesWoche 51

3 7 8 2 6 4 5 1 9

2 9 1 5 7 3 4 6 8

7 5 3 4 2 8 6 9 1

1 6 2 3 9 7 8 4 5

4 8 9 1 5 6 7 3 2

8 1 6 9 4 2 3 5 7

Thom Nagy (Gelbes Billet) DJ Thom Nagy Acqua-Lounge, Binningerstr. 14, Basel. 22 Uhr

5 3 7 6 8 1 9 2 4

9 2 4 7 3 5 1 8 6 06010031068

0

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08010000207

7 3

6 4 5 8 1 9 2 7 3

06010031069

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1

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23 Uhr

08010000206

Tresor Club Nite & Tresor Club Hip-Hop, Reggae DJs Bazn, S-gee Sommercasino, Münchensteinstrasse 1, Basel. 22 Uhr Tropical Vibes vs Hip-Hop Urban Assessina Club, Steinenvorstadt 24, Basel.

23 Uhr

Vorweihnachts-Party 70s, Disco, Swing DJ Pietro Allegra, Aeschengraben 31, Basel.

21 Uhr

We Are Family! Electro, House, Minimal DJs Capo, Sandro S., Marco Gee, Vully Borderline, Hagenaustr. 29, Basel. 22 Uhr danzeria@sichtbar Partytunes DJ Sunflower Blindekuh, Dornacherstr. 192, Basel. 22 Uhr

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23. Dezember 2011

Agenda

JAZZ/KLASSIK Es ist ein Ros’ entsprungen Sinfonierchester Basel, Chor des Theater Basel, Chor des Theater Basel Gabriel Feltz (Leitung). Romantische Musik zu Weihnachten Theater Basel, Theaterstr. 7, Basel. 20 Uhr Merry Jazzmas Leonid Maximov Mit Leonid Maximov & Friends Theater Basel, Theaterstr. 7, Basel. 21.30 Uhr Offenes Singen unter der Leitung von Georg Hausammann. Alle Menschen sind eingeladen, die Lust und Freude haben, Weihnachtslieder zu singen oder zu hören. Peterskirche, Peterskirchplatz 7, Basel. 20 Uhr Orgelspiel zum Feierabend Susanne Doll, Basel. Werke von J. S. Bach Leonhardskirche, Leonhardskirchplatz, Basel. 18.15 Uhr

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Leibspeise Angefixt Zur Festtagszeit geht es bei den Montagsplausch-Bloggern Tenger und Leuzinger um die Haute Cuisine Française. Unsere ersten Begegnungen mit der Haute Cuisine Française haben wir dem Lebenswerk von Louis de Funès zu verdanken. «Le grand restaurant» von 1966 oder aber ein anderes seiner Meisterwerke, «L’aile ou la cuisse» (Brust oder Keule) aus dem Jahr 1976 gewährten uns in der Kindheit die ersten Einblicke in das Innere eines solchen Restaurants. In der Folge blieb uns diese vornehme Art von Speis und Trank für eine Weile verwehrt. Durch unser Hobby Montagsplausch beschäftigten wir uns in den letzten zehn Jahren neben dem Selberkochen auch intensiv mit der Gastronomie. Von der einfachsten Quartierbeiz bis zum Drei-Sterne-Tempel wollten wir alles kennenlernen. Eines Tages sind wir auf die Aktion «Formules Jeunes» der Vereinigung «Etoiles d’Alsace» gestossen. «Etoiles d’Alsace» ist ein Zusammenschluss von elsässischen Gastronomen von Sternerestaurants über exklusive Winstubs bis hin zu den besten Bäckern und Metzgern der Region. Seit einigen Jahren locken nun diese Wirte durch den Winter mit dem sensationellen Angebot «Formules Jeunes», welches junge Leute bis

35 mit vergünstigten All-inclusive-Menüs anfixt. So kamen wir in den Genuss, trotz schmalem Budget Restaurants wie das legendäre «L’Auberge de l’Ill» oder die Strassburger Top-Adressen «Au Crocodile» und «Le Buerehiesel» zu besuchen. So einmalig ein solcher Besuch jeweils ist, wollen wir doch festhalten, dass uns die einfache italienische Küche unter dem Strich sympathischer ist. Die vielen attraktiven Winstubs, die es im Elsass zu entdecken gibt, erlaubten es uns dann schliesslich aber doch noch, die anfänglich etwas steife Atmosphäre zu umgehen. Tipp: Für unsere älteren Leser gibt es übrigens nun auch die «Formules Senior». Haben Sie verstanden, Herr Mueller!? Appetit bekommen? Den Link zu «Etoiles Dessert gibt es unseren Lieblingsausschnitt von Louis de Funès. Webcode: @ajcqy

Gabriel Tengers und Benjamin Leuzingers «Montagsplausch» finden Sie unter blogs.tageswoche.ch

OPER Lucia di Lammermoor Luzerner Theater, Theaterstrasse 2, Luzern.

19.30 Uhr

COMEDY Pit-Arne Pietz «Swiss Caveman – Die Dialektfassung» Das Zelt (Bern), Allmend, Bern.

20.30 Uhr

Dimitri Clown «Porteur» Theater am Hechtplatz, Hechtplatz 7, Zürich.

20 Uhr

DIVERSES Finissage der Ausstellung «gedruckt» mit Siebdrucken und Linolschnitten der Kunstschaffenden Frank Busk, Kopenhagen, Pina (Bettina Wuchner), Basel, Vera Dzubiella, Basel pausenplatz, Gotthelfstr. 23, Basel. 18 Uhr

9.30 Uhr

Ferrari Pantheon Basel, Hofackerstr. 72, Muttenz. 10 Uhr

SAMSTAG 24.12.2011

Joan Faulkner Quartet Marians Jazzroom, Engestrasse 54, Bern. 19.30 & 22.00 Uhr Lake City Stompers Stadtkeller Musik-Restaurant, Sternenplatz 3, Luzern. 20.30 Uhr

AUSSTELLUNGEN Cargo Kultur Bar Regionale 12 – Modern Jesus & Co – Project 3. St. Johanns-Rheinweg 46, Basel

The King’s Consort & Choir Robert King (Leitung), Julia Doyle (Sopran), Hilary Summers (Alt), Joshua Ellicott (Tenor), David WilsonJohnson (Bass). «Messiah» KKL, Europaplatz 1, Luzern. 18.30 Uhr

Galerie Carzaniga Rolf Iseli / Albert Steiner Gemsberg 8, Basel Galerie Eulenspiegel 10 Jahre Galerie Eulenspiegel Gerbergässlein 6, Basel

Die Schöpfung Adam Fischer (Dirigent), Orchester der Oper Zürich, Dresdner Kammerchor, Malin Hartelius (Sopran); Bernard Richter (Tenor), Thomas E. Bauer (Bass). Joseph Haydn (1732–1809): Die Schöpfung Tonhalle, Claridenstr. 7, Zürich. 19.30 Uhr

TagesWoche 51

Der Nussknacker Opernhaus Zürich. Wiederaufnahme Opernhaus, Theaterplatz 1, Zürich. 19.30 Uhr

Helmut Benthaus FC Basel 1893 Museum, St. Jakobs-Str. 397, Basel.

Berner Bach-Chor und Sinfonietta Bern Theo Loosli (Leitung), Andrea Sutter (Sopran), Silke Gäng (Alt), Christophe Einhorn (Tenor), Manuel Walser (Bass). Weihnachtsoratorium Kultur-Casino, Herrengasse 25, Bern. 19.30 Uhr

Nat Su Quartett Volkshaus, Stauffacherstr. 60, Zürich. 22 Uhr

TANZ Tanz 8: Mozarts Kammertanz Tanzstück von Georg Reischl UG Luzerner Theater, Winkelriedstr. 10, Luzern. 20 Uhr

Galerie HILT Weihnachtsausstellung 2011 Hänggi Freie Str. 88, Basel Galerie Karin Sutter Blossom Rebgasse 27, Basel

Feine Adresse: «L’Auberge de l’Ill» im Winter 2007. Foto: Gabriel Tenger

Galerie Katharina Krohn Alle Jahre wieder Grenzacherstr. 5, Basel

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23. Dezember 2011

Agenda

Anzeigen

Kunstmuseum Luzern ESCH. Ernst Schurtenberger / In Search of‌ / Jahresausstellung Zentralschweizer Kunstschaffen 2011 Europaplatz 1 (KKL Level K), Luzern

Pinocchio Stadttheater Bern. Weihnachtsmärchen nach den Erzählungen von Carlo Collodi Stadttheater Bern, Kornhausplatz 20, Bern. 14 Uhr

Oriental, House, Hip-Hop, R&B, Reggaeton Hip-Hop, House, Oriental DJ Dlo Harrem, Steinentorstr. 26, Basel.

20 Uhr

Natur-Museum Raben – Schlaue Biester mit schlechtem Ruf Kasernenplatz 6, Luzern

Tapetenwechsel – Willkommen in Absurdistan Ein Stßck Theater von Compagnie 3. August ßber die Begegnung mit einem seltsamen KÜnig mit Down Syndrom Tojo Theater Reitschule, Neubrßckstr. 8, Bern. 14 Uhr

Saturday Feelings Charts, House, Pop, R&B Dancing Plaza Club, Riehenring 45, Basel.

22 Uhr

Die Geschichte vom blauen Planeten Schweizer ErstauffĂźhrung Luzerner Theater, Theaterstrasse 2, Luzern.

Thaiparty Hotel Alexander, Riehenring 83, Basel. 23 Uhr

ETH Zentrum Annette Gigon / Mike Guyer Rämistrasse 101, Zßrich

SamStag 24.12.2011 Gallery Daeppen Alien Interviews: We’ve Made Contact / Bane Begins Mßllheimerstrasse 144, Basel Graf & Schelble Galerie Heinrich Gohl Spalenvorstadt 14, Basel Hebel_121 Danger + Track Hebelstrasse 121, Basel Kunsthalle Basel 6 Kßnstler aus Basel x2 Steinenberg 7, Basel Laleh June Galerie Crystel Ceresa Picassoplatz 4, Basel Maison 44 Terra Luminosa Steinenring 44, Basel Messe Basel KÜrperwelten – Eine Herzenssache Messeplatz 25, Basel Museum Tinguely Robert Breer / Tinguely und das Auto Paul Sacher-Anlage 2, Basel Museum der Kulturen Buon Natale! / Chinatown / EigenSinn – Inspirierende Aspekte der Ethnologie / On Stage – Die Kunst der Pekingoper Mßnsterplatz 20, Basel

balzerARTprojects Malerei ist das Anbringen von Farbe ... Riehentorstr. 14, Basel mitart Peekaboo Reichensteinerstr. 29, Basel Goetheanum Goetheanum EinszuEins Rßttiweg 45, Dornach Kunsthalle Palazzo Regionale 12: If Six Was Nine (J.H.) Poststr. 2, Liestal Haus fßr elektronische Kßnste Basel Regionale 2011 Oslostr. 10, Mßnchenstein Fondation Beyeler Dalí, Magritte, Miró – Surrealismus in Paris / Louise Bourgeois Baselstr. 101, Riehen Galerie Henze & Ketterer & Triebold Bernhard Schultze Wettsteinstr. 4, Riehen Vitra Design Museum BioMorph / Die Alchemie des Alltags Charles-Eames-Str. 1, Weil am Rhein Historisches Museum Bern Mord und Totschlag Helvetiaplatz 5, Bern Kunstmuseum Bern Amiet / Anna Blume und ich / Mysterium Leib / Passion Bild / Rectangle and Square Hodlerstr. 12, Bern

Nicolas Krupp Contemporary Art Diango HernĂĄndez Rosentalstr. 28, Basel

ONO Ich sehe was, was du nicht siehst Kramgasse 6, Bern

Pep + No Name Galerie China Unterer Heuberg 2, Basel

Gletschergarten Top of the Alps Denkmalstr. 4, Luzern

Puppenhausmuseum Brillen / Viktorianische Weihnachten Steinenvorstadt 1, Basel

Historisches Museum RĂźstungen Pfistergasse 24, Luzern

S AM – Schweizerisches Architekturmuseum The Object of Zionism Steinenberg 7, Basel

Haus Konstruktiv Open Space / Visionäre Sammlung Vol. 17 – Harry Fränkel Selnaustr. 25, ZĂźrich Häusler Contemporary Licht – KĂśrper Stampfenbachstr. 59, ZĂźrich Kunsthaus ZĂźrich Bilderwahl! Encoding Reality / Landschaft und Pastell Heimplatz 1, ZĂźrich Landesmuseum ZĂźrich Die Uhrmacherkunst erobert die Welt / SchĂśne Seiten Museumsstr. 2, ZĂźrich Museum Strauhof Literaturausstellungen Die Geheimnisse des Charles Dickens (1812–1870) Augustinergasse 9, ZĂźrich Museum fĂźr Gestaltung ZĂźrich Die Besten 2011 in Architektur, Landschaft und Design / Hochhaus / Schwarz Weiss Ausstellungsstr. 60, ZĂźrich MĂźhlerama Geisterstunde Seefeldstr. 231, ZĂźrich Schulhaus Kern Verdingkinder reden Kernstr. 45, ZĂźrich Schweizerische Nationalbank Schwarz und Weiss BĂśrsenstrasse 15, ZĂźrich Shedhalle Unter Strom. Kunst und Elektrizität Seestr. 395, ZĂźrich

THEATER D’Wienachtsgschicht Puppenbßhne Demenga, Wirth Berner Puppen Theater, Gerechtigkeitsgasse 31, Bern. 14.30 Uhr

Von Bartha Garage Bernar Venet Kannenfeldplatz 6, Basel

TagesWoche 51

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Schellenursli Nach dem Bilderbuch von Celina ChĂśnz und Alois Carigiet. TĂśsstaler Marionetten Figurentheater, Industriestr. 9, Luzern. 15 Uhr Musikalisch-theatralischer Adventskalender Mit Ăœberraschungsgästen Theater Stadelhofen, Stadelhoferstr. 12, ZĂźrich.

The X-Mas Party Charts, Electro, House DJ Marc CU Club, Steinentorstr. 35, Basel.

23 Uhr

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11 Uhr

Weihnachtssalon in der Matchbox mit Ăœberraschungsgästen. BĂźhne Barbara Pfyffer Schauspielhaus Schiffbau, Schiffbaustrasse 4, ZĂźrich. 11 Uhr

POP/ROCK Johnny Trouble Les Amis, Rathausgasse 63, Bern.

22 Uhr

Tinu Heiniger ÂŤHeiniger AbendÂť. Liederabend La Cappella, Allmendstrasse 24, Bern. 19.30 Uhr The Jackson Singers Gospel Merry Gospel Christmas SchĂźtzenhaus AlbisgĂźtli, Uetlibergstrasse 341, ZĂźrich.

UK Saturday Night Tunes House, R&B The Venue, Steinenvorstadt 58, Basel. 22 Uhr 20 Uhr

PARTY A Night of Fame 80s, Charts, House, Partytunes Fame, Clarastr. 2, Basel. 22 Uhr Christmas Eve Urban DJ G-style Assessina Club, Steinenvorstadt 24, Basel.

23 Uhr

Christmas Special Techno DJs Patrick Chardronnet, Danielson, Gin Tonic Soundsystems, Eleminal, Daniro, Azzuro, Unikat-Team, Chicco Lts Borderline, Hagenaustr. 29, Basel. 22 Uhr

Anzeigen

Stampa Udo Koch – Josef Felix Mßller Spalenberg 2, Basel Tony Wuethrich Galerie Markus Gadient Vogesenstr. 29, Basel

13.30 Uhr

Soulsation CafĂŠ Del Mar, Steinentorstr. 30, Basel. 22 Uhr

Das Weihnachtspaket Balkan Beats, Disco, Electro DJs Gypsy Sound System, Ango Kuppel, Binningerstr. 14, Basel. 23 Uhr

Weihnachts LÜve is ‌ Special 80s, 90s, Disco, Funk, Old School DJs D.Haze The Blaze, Fab5franc, Isaac P. Aradise Hinterhof, Mßnchensteinerstr. 81, Basel. 22 Uhr Weihnachts-Party mit Verlosung Bossa Nova, Cha Cha Cha DJ Pepe Allegra, Aeschengraben 31, Basel. 22 Uhr X-Mas Jam Partytunes Atlantis, Klosterberg 13, Basel. 23 Uhr X-Mas Party (part one) House DJs Jam Janiro, -Andras Excellent Clubbing Lounge, Binningerstr. 7, Basel.

22 Uhr

X-Mas Session House, Techno DJs Kabale Und Liebe, Andrea Oliva, Gianni Callipari Nordstern, Voltastr. 30, Basel. 23 Uhr

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23. Dezember 2011

Agenda

Xmas Heat Disco, Dub, Dubstep, Electro DJs The Famous Goldfinger Brothers, On Fire Sound, Chat Noir Chat Blanc Kaserne, Klybeckstrasse 1b, Basel. 23 Uhr

JAZZ/KLASSIK Guarneri Trio Prague Cenek Pavlík (Violine), Marek Jerie (Violoncello), Ivan Klánský (Klavier). Weihnachtskonzert Goetheanum, Rüttiweg 45, Dornach. 20 Uhr

Kultwerk #9 Life of Brian Schöne Bescherung: Monty Python und ihre brillante Verwechslungskomödie. Von Marc Krebs

Helmut Benthaus FC Basel 1893 Museum, St. Jakobs-Str. 397, Basel.

9. Uhr

Ferrari Pantheon Basel, Hofackerstr. 72, Muttenz. 10 Uhr Öffentliche Führungen durch die Ausstellung «Rudolf Steiner – Die Alchemie des Alltags» Vitra Design Museum, CharlesEames-Str. 1, Weil am Rhein. 11 Uhr

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SoNNTAG 25.12.2011 AUSSTELLUNGEN Anatomisches Museum der Universität Basel Die verschiedenen Gesichter des Gesichts Pestalozzistr. 20, Basel

TagesWoche 51

Kunsthalle Basel 6 Künstler aus Basel x2 Steinenberg 7, Basel

Messe Basel Körperwelten – Eine Herzenssache Messeplatz 25, Basel Museum der Kulturen Buon Natale! / On Stage – Die Kunst der Pekingoper Münsterplatz 20, Basel

TANZ

DIVERSES

Jüdisches Museum Schweiz Am Übergang – Bar und Bat Mizwa / HERZLichen Glückwunsch! / und Hanna und Sara Kornhausgasse 8, Basel

Kunstmuseum Basel Arbeiten auf Papier / Die Landschaften / Malerei auf Papier St. Alban-Graben 16, Basel

Die Freitagsakademie Anne Schmid (Alt), Katharina Suske (Oboe), Plamena Nikitassova und Sabine Stoffer (Violinen), Lorenz Hasler (Viola), Bernhard Maurer (Cello), Markus Bernhard (Violone), Jürg Brunner (Cembalo, Orgel). Festliches Weihnachtskonzert Heiliggeistkirche, Bern. 16.30 Uhr

Damit es eilig Abend wird – Ganz und gar wandelbar Ein Projekt von Teresa Rotemberg, Company MAFALDA Rote Fabrik, Seestr. 395, Zürich. 11 Uhr

Cargo Kultur Bar Regionale 12 – Modern Jesus & Co – Project 3. St. Johanns-Rheinweg 46, Basel

Museum für Gegenwartskunst Hopelessness Freezes Time St. Alban-Rheinweg 60, Basel

Fesselnd: «Always Look on the Bright Side of Life».

Fotos: Cinetext

Weils grad so feierlich ist: Haben Sie sich schon Gedanken über die letzte grosse Sause gemacht, also nicht jene des Jahres, sondern des Lebens? Die Briten tun das regelmässig. Weshalb in England sogar Hitparaden der beliebtesten Abdankungslieder erstellt werden. Immer wieder weit vorne taucht darin «Always Look on the Bright Side of Life» auf. Ein pfiffiges Lied, das wir einem Zufall verdanken: 1978 drehte die Komikertruppe Monty Python einen Spielfilm in der Hitze Tunesiens – seit Wochen schon. Was fehlte, war eine Schlusspointe. Ein Abgesang vor dem Abspann. Also schrieb und sang Eric Idle in seinem Hotelzimmer einen sarkastischen Text für die Kreuzigungsszene: «Life’s a piece of shit, when you look at it!» Damit setzte er einem kolossalen Film die Krönung auf: «Life of Brian». Die gesamte Idee ist Idle zuzuschreiben. Monty Python hatten gerade ihren ersten Spielfilm «Holy Grail» ins Kino gebracht (deutscher Titel: «Ritter der Kokosnuss»), als sie von Reportern gefragt wurden, wie ihr nächster heissen würde. Idle scherzte: «Jesus Christus – die Lust auf Ruhm». Auf die Provokation folgte die Produktion: Das Sextett erinnerte sich an das Neue Testament, schüttelte eine Parodie aus den Sandalen und schuf so die brillanteste Verwechslungskomödie der Filmgeschichte. Im Zentrum: Brian von Nazareth, uneheliches Kind einer Jüdin und eines Römers, der in einem Stall zur Welt kommt und für den Messias gehalten wird. Ein fataler Irrtum, der ihn sein Leben lang verfolgt. Dabei möchte er doch nicht der Erlöser sein, sondern der Befreier! Er schliesst sich der Volksfront von Judäa an (und nicht etwa der judäischen Volksfront!), die die Imperialisten aus dem gelobten Land verjagen will. Dumm nur, dass Brian mit Jesus verwechselt wird und so nicht nur die erbosten Römer, sondern auch fanatische Jünger abschütteln muss.

Als der Film 1979 ins Kino kam, sorgte er für kontroverse Diskussionen und in den USA gar für Protestmärsche. War das Gotteslästerung? Das hatte sich zuvor schon die Filmabteilung von EMI gefragt und das Komikerkollektiv kurz vor Drehbeginn hängen lassen. George Harrison sprang ein und garantierte zwei Millionen Pfund. Sein Glaube an diese Beatles der Comedy zahlte sich aus: Der Film wurde ein Welterfolg. Vollendet die Handlung, grossartig die Dialoge und Rollenspiele. Ein Meisterwerk des britischen Humors, das in Irland und Norwegen verboten wurde. Dabei betonten Monty Python stets plausibel, dass sie sich nicht über Jesus oder die Religionen an sich lustig machten, sondern über die Auslegung der Menschen, über die Fanatiker. Wie ruft doch eine Schar Jünger dem verzweifelten Brian entgegen: «Wir sind alles Individuen!». Und einer schiebt nach: «Ich nicht!» Köstlich. Nur die Tea Party findet das wohl heute noch nicht komisch. Webcode: @ajjwq

In dieser Rubrik stellen wir jeweils ein Kultwerk vor, das in keiner Sammlung fehlen sollte.

Graham Chapman Monty Python feierten ab 1969 mit einer TV-Serie und mit Spielfilmen Erfolge. Sowohl in «Holy Grail» als auch in «Life of Brian» spielte der stillste der sechs die Hauptrolle: Graham Chapman, ausgebildeter Arzt und ausgezeichneter Komiker. 1989 erlag er einem Krebsleiden. An seiner Abdankungsfeier sangen ihm seine Kollegen ein Ständchen: «Always Look on the Bright Side of Life». Sein Tod besiegelte auch das inoffizielle Ende von Monty Python.

Naturhistorisches Museum Basel Knochenarbeit Augustinergasse 2, Basel S AM – Schweizerisches Architekturmuseum The Object of Zionism Steinenberg 7, Basel Von Bartha Garage Bernar Venet Kannenfeldplatz 6, Basel Goetheanum Goetheanum EinszuEins Rüttiweg 45, Dornach Kunsthalle Palazzo Regionale 12: If Six Was Nine (J.H.) Poststr. 2, Liestal Haus für elektronische Künste Basel Regionale 2011 Oslostr. 10, Münchenstein Fondation Beyeler Dalí, Magritte, Miró – Surrealismus in Paris / Louise Bourgeois Baselstr. 101, Riehen ONO Ich sehe was, was du nicht siehst Kramgasse 6, Bern Gletschergarten Top of the Alps Denkmalstr. 4, Luzern Kunstmuseum Luzern ESCH. Ernst Schurtenberger / In Search of… / Jahresausstellung Zentralschweizer Kunstschaffen 2011 Europaplatz 1 (KKL Level K), Luzern Natur-Museum Raben – Schlaue Biester mit schlechtem Ruf Kasernenplatz 6, Luzern Haus Konstruktiv Open Space / Visionäre Sammlung Vol. 17 – Harry Fränkel Selnaustr. 25, Zürich

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23. Dezember 2011

Agenda

SONNTAG 25.12.2011 Landesmuseum Zürich Die Uhrmacherkunst erobert die Welt / Schöne Seiten Museumsstr. 2, Zürich Museum Rietberg Zürich Mystik: Die Sehnsucht nach dem Absoluten Gablerstr. 15, Zürich

Wochenendlich in Paris Im Geiste Gainsbourgs: Zwei Tage und eine Nacht im Zeichen der «Décadanse». Von Marc Krebs

Mühlerama Geisterstunde Seefeldstr. 231, Zürich

Schweizerische Nationalbank Schwarz und Weiss Börsenstrasse 15, Zürich

Noblesse oblige: Die Zimmer im Hotel Raphaël, die Nischen im Club Le Baron. Fotos: Marc Krebs

THEATER Grease Das populärste Musical der Welt! Musical Theater, Feldbergstr. 151, Basel. 14.30 & 18.00 Uhr Cüpliweg 10 – Ein Immobilientrauma in drei Folgen Folge 3: Kickback Disaster Plaza, Badenerstr. 109, Zürich. 20.30 Uhr

POP/ROCK Schwellheim & Friends Dancehall, Ragga, Reggae Treasure Xmas Jam Live. Afterparty by Redda Vybez & Guests Kuppel, Binningerstr. 14, Basel. 22 Uhr Asita Hamidi’s Bazaar Jazz, Pop, World Christmas Special – Late Night Concert PROGR, Waisenhausplatz 30, Bern. 20.30 Uhr Tinu Heiniger «Heiniger Abend». Liederabend La Cappella, Allmendstrasse 24, Bern. 19.30 Uhr

PARTY Beat It 80s, 90s DJ Jean Luc Piccard Atlantis, Klosterberg 13, Basel. 23 Uhr

TagesWoche 51

Lokalisten – Christmas Edition House, Minimal, Techno Das Schiff, Westquaistr. 19, Basel. 23 Uhr Tango Schnupperkurs «Tango 1900» Latin DJ Mathis Tanzpalast, Güterstr. 82, Basel.

19 Uhr

Traffic House, Techno DJs Martin Buttrich, Dani Casarano, Andrea Oliva, Oliver K. Nordstern, Voltastr. 30, Basel. 23 Uhr

Shedhalle Unter Strom. Kunst und Elektrizität Seestr. 395, Zürich

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22 Uhr

Tango Sonntagsmilonga Latin DJ Michael Tanzpalast, Güterstr. 82, Basel. 20.30 Uhr

Schulhaus Kern Verdingkinder reden Kernstr. 45, Zürich

Fehlt Ihre Veranstaltung in der OnlineAgenda?

Latino Night DJ Flow Hip-Hop, Latin, Merengue Dancing Plaza Club, Riehenring 45, Basel.

Der Train à Grande Vitesse macht seinem Namen alle Ehre: Nur noch drei Stunden dauert die Reise von Basel bis zum Gare de l’Est. Ein Katzensprung für ein Wochenende, an dem es Grosses zu feiern gibt. Unser Ziel: 48 Stunden wie Gott in Frankreich – oder treffender: wie Gainsbourg in Feierlaune. Der Geist des genialen Chansonniers lebt in den Wänden des Hotel Raphaël weiter. Nur zwei Minuten vom Arc de Triomphe entfernt steht dieses prunkvolle Grand Hotel, das Gainsbourg als Zweitdomizil diente. Allein im prächtigen Foyer soll er jeweils Stunden verbracht haben, erzählt uns der Concierge. Was hat er gemacht? «Ein Bild betrachtet», sagt der Mann höflich. Ein Bild? Ein Gemälde. Ein Meisterwerk. Ein echter William Turner. Nicht nur das Foyer begeistert, auch das Zimmer mit seinen Antiquitäten. Wir setzen uns kurz auf einen Louis XVI. Wie erhofft majestätisch – die Zimmerpreise leider auch. Egal. Man lebt nur einmal. Gainsbourg war Kind einer jüdischen Migrantenfamilie. Also ab ins Marais, wo man koscher naschen und très cher shoppen kann. Es sei denn, es ist Ausverkauf wie jetzt: Dann schlägt man den Haute Couturiers ein Schnippchen: bonjour Schnäppchen! Ein Grund anzustossen: mit einem Pastis 51 in der schmucken Bar Les Etages (Gainsbourg, den es nicht nur nach Provokationen dürstete, bestellte jeweils einen Doppelten und erfand dafür den Ausdruck «102»). Zum Diner passieren wir die Seine und flanieren durch die Rue de Verneuil. An der Wand von Nummer 5 zeugen Tausende Kritzeleien davon, wie sehr Serge noch immer verehrt wird. Tochter Charlotte, die das Haus geerbt hat, soll manchmal in der gleichen Strasse speisen, im «Le Cinq Mars». Eine gute Wahl: Das Restaurant ist diskret, klein und romantisch, wie der Stadtteil an der Rive Gauche – und die Küche so frisch wie der Wind, der durch die Gasse zieht. Auf dem Heimweg ist uns noch nach einem krönenden Abschluss zumute: Gainsbourg und Jane Birkin beschworen einst

«La Décadanse». Dekadenz und Tanz, das vereint eine Disco, die früher als «Etablissement» deklariert war: «Le Baron». Noblesse oblige. Vier aufgeregte Britinnen, die ihren Polterabend feiern, zappeln vor Vorfreude. Das hätten sie besser sein lassen. Der Türsteher – er hat den Ausdruck Coolness verinnerlicht – weist sie ab. Jetzt zappeln sie vor Kälte. Wir setzen gelangweilte Blicke auf und kehren unseren inneren Dandy nach aussen. Ça marche. Und drin sind wir. Gedämpft die Lichter, rot der Samt, lecker der Absacker: «Le Baron» steht auch für einen Haus-Cocktail, mit dem die DJane entlöhnt wird. 15 Euro. Paris hat seinen Preis. Und was empfiehlt sich am Sonntag? Ein Spaziergang auf den Spuren weiterer Dandys: Oscar Wilde liegt auf dem Friedhof Père Lachaise begraben, ebenso Jim Morrison (The Doors). Am Eingang verkauft ein Mann Karten, worauf die Grabstätten eingezeichnet sind. Als er erfährt, dass wir aus der Schweiz kommen, entschuldigt er sich in unserer Mundart: «Nehmen Sie den Plan nicht allzu genau. Den haben die Franzosen gemacht.» Kein Problem. Man kann den Hügel auch planlos abschreiten. Der Spaziergang von Morrison (schmal) zu Chopin (charmant) bis Piaf (schlicht) führt an verwunschenen Gräbern und schmucken Altären vorbei. Ganz schön. Und ganz schön schaurig. Webcode: @ajqrz

Anzapfen: Les Etages, Rue Vieille du Temple 35. Auslöffeln: Le Cinq Mars, Rue de Verneuil 51. Anschauen: Cimetière du Père Lachaise. www.pere-lachaise.com Ausspannen: Hotel Raphaël, Avenue Kléber 17. www.raphael-hotel.com Ausgehen: Le Baron, Avenue Marceau 6. www.clublebaron.com Weitere Fotos und Adressen sowie eine übersichtliche Karte finden Sie online auf tageswoche.ch, indem Sie den grünen Webcode im Suchfeld eingeben.

Weihnachtsgeschenk! Techno DJs Luis Rodrigues, Matthias Tanzmann, Marcos Del Sol, Mike Fatal, Oliver Aden, Nika Nikita, Luis Cruz, Die Goldbrenner, Sandro S., Traibsand, TiefenRausch, Andrew The Grand, Max + Moritz, Sven Väth Borderline, Hagenaustr. 29, Basel. 22 Uhr White Angel Charts, Hip-Hop, House, Latin DJs Cube, Sign, Sastro CU Club, Steinentorstr. 35, Basel. 21 Uhr X-Mas Party (part two) Charts, House DJs Stefano Prada, Seven, Nyle Excellent Clubbing Lounge, Binningerstr. 7, Basel. 22 Uhr X-Mas Special Urban DJs Flash, Hotfingerz, G-style, Philly Assessina Club, Steinenvorstadt 24, Basel. 23 Uhr

JAZZ/KLASSIK Staunen Musikalische Vesper mit Cosimo Lampis (Percussion), Susanne Doll (Orgel) und Dorothee Dieterich (Liturgie) Leonhardskirche, Leonhardskirchplatz, Basel. 18.15 Uhr

OPER Zauberflöte für jung und alt Stadtcasino, Steinenberg 14, Basel.

17 Uhr

DIVERSES Führungen in der Sonderausstellung «Knochenarbeit. Wenn Skelette erzählen» Naturhistorisches Museum Basel, Augustinergasse 2, Basel. 14 Uhr

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23. Dezember 2011

Agenda

Pablo Picasso bei der Auswahl seiner Werke, die er der Basler Bevölkerung aus Freude und Respekt zum Geschenk machte.

Aus dem Fotoarchiv von Kurt Wyss

L’art pour l’art – Kunst-Stück in drei Akten Basel tickt anders: Selten hat der launige Werbeslogan besser zu dieser Stadt gepasst als 1967. Von Walter Schäfer TagesWoche 51

D

ie Geschichte ging um die Welt. Vor mittlerweile über 40 Jahren. Sie umfasste alle emotionalen Elemente, die uns tagtäglich bewegen – bis hin zum bewegenden Happy End. Ein wahres Kunst-Stück in drei Akten: «L’art pour l’art». 1. Akt: Am 20. April 1967 zerschellt ein mit 126 Menschen besetztes Flugzeug der Basler Chartergesellschaft «Globe Air» im Landeanflug auf Nikosia. Um sein Flugunternehmen vor dem totalen Absturz zu bewahren, steckt Hauptaktionär Peter G. Staechelin Millionen seines Privatvermögens in den Betrieb. Auch die familieneigene Kunstsammlung, deren wertvollste Stücke als Leihgabe im Basler Kunstmuseum hängen, sind vom «Ausverkauf» bedroht. Für 8,4 Millionen sollen neben anderen bereits verkauften Spitzenwerken auch die beiden Gemälde «Arlequin assis» und «Les deux frères» von Pablo Picasso veräussert werden. Den «Globe Air»-Konkurs verhindern sie nicht. 2. Akt: Zumindest die beiden Picasso-Gemälde sowie die restlichen Leihgaben sollen Basel erhalten bleiben. Sechs Millionen will die Stadt dafür aufwenden; die restlichen 2,4 Millionen sollen durch private Spenden zusammenkommen. Der angestrebte Betrag wird dank unzähligen kleinen «Bettlerfesten» und der Unterstützung namhafter Vereine und Institutionen innert kürzester Zeit erreicht und sogar übertroffen. Nur politisch wird das Vorhaben torpediert. Der Basler Garagist Alfred Lauper sammelt 2035 Unterschriften und erzwingt das Referendum gegen den vom Basler «Geldverschleuderungsverein» – gemeint ist damit der

Grosse Rat – beschlossenen Kredit. Das Volk an der Urne jedoch sagt mit 32 118 gegen 27 190 Stimmen Ja. Staunend nimmt die überraschte Restwelt vom einmaligen Resultat Kenntnis. 3. Akt: Gerührt nimmt der grosse Pablo Picasso vom märchenhaften Ausgang der Abstimmung Kenntnis und lädt den damaligen Museumsdirektor Franz Meyer zu sich auf seinen Landsitz in der Nähe von Cannes ein. Dort darf sich Meyer vier Werke des begnadeten Künstlers aussuchen – nicht als Leihgabe, sondern als Geschenk. Fotograf Kurt Wyss ist exklusiv dabei, als Picasso Meyers Auswahl zum

Keine andere Stadt kann sich rühmen, von Pablo Picasso beschenkt worden zu sein. Transport nach Basel zusammenstellt. Schöne Bescherung! Applaus! Vorhang. Was könnten wir aus obigem Kunst-Stück lernen? Sternstunden sind zwar selten, doch jederzeit möglich. Immer vorausgesetzt natürlich, dass sich die Politik zusammenrauft, die Kultur sich nicht vorwiegend im Elfenbeinturm einschliesst, die Wirtschaft weiter als nur an Selbst- und/oder allenfalls an Aktionärsbefriedigung denkt, das Volk sich für seinen Lebensraum über Arbeitsplatz und Haustür hinaus engagiert, die Medien sich nicht fast vorzugsweise und am allerliebsten mit sich selbst beschäftigen, und, und, und … Webcode: @ajqsa

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23. Dezember 2011

Agenda

Basel

CAPITOL

Steinenvorstadt 36, kitag.com Mission: Impossible – Phantom Protocol [14/11 J] 14.00 Fr/So-Mi 17.00 D Fr/So-Mi 20.00 E/d/f Sherlock Holmes: A Game of Shadows [14/11 J] 14.00 Fr/So-Mi 17.00/20.00 E/d/f

KULT.KINO ATELIER

Theaterstrasse 7, kultkino.ch Regilaul – Lieder aus der Luft 12.20 Ov/d Pina – 3D 12.30 D Tom Sawyer [10 J] 14.15 D Die Kinder vom Napf 14.30 Fr/So-Mi 18.30 Dialekt Mi 19.15 Gespräch mit der Regisseurin Alice Schmid + CĂŠcile Speitel, Journalistin Der Verdingbub [12 J] 14.45 Fr/Mo-Mi 19.00 Dialekt Fenster zum Sommer [14 J] 16.30 Fr/So-Mi 20.45 D Happy Happy [14 J] 16.45 Fr/So-Mi 21.00 Ov/d/f The Future [14 J] Fr/Mo-Mi 17.00/21.15 So 12.15/20.00 E/d/f Le Havre [12 J] Fr/So-Mi 18.45 F/d Poulet aux prunes [12 J] Fr/Sa/Mo-Mi 20.15 F/d

KULT.KINO CAMERA

Rebgasse 1, kultkino.ch Once Upon a Time in Anatolia Fr/So-Mi 14.00 TĂźrk/d/f Eine ruhige Jacke Fr/So-Mi 14.15/18.15 Dialekt Melancholia [14 J] Fr/So-Mi 16.00/20.30 Ov/d A Dangerous Method [14 J] Fr/So-Mi 17.00 Ov/d/f Gerhard Richter Painting Fr/So-Mi 19.00 Mo 12.00 D Medianeras [14 J] Fr/So-Mi 21.15 Sp/d/f The Substance [14 J] Mo 12.15 D

KULT.KINO CLUB Marktplatz 34, kultkino.ch Habemus Papam [14 J] Fr/So-Mi 15.30/18.00/20.30 I/d

NEUES KINO

Klybeckstr. 247, neueskinobasel.ch Generazione mille euro Fr 21.00 Ov/d Schwarze Schafe Sa 23.00 D Ab 18.30 Uhr Festliches Weihnachtsmenu im Restaurant Platanenhof. Menu und Eintritt ins Kino in Kombination vergĂźnstigt

PATHÉ ELDORADO

Steinenvorstadt 67, pathe.ch Carnage [14/11 J] 12.40 D 12.50 Fr/So-Mi 19.50/21.45 E/d/f Tage des Verrats – The Ides of March [12/9 J] 14.30 Fr/So-Mi 16.45/19.00/21.15 E/d/f The Help [12/9 J] 14.45 E/d/f A Dangerous Method [14/11 J] Fr/So-Mi 17.45 E/d/f

PATHÉ KĂœCHLIN

Steinenvorstadt 55, pathe.ch Sherlock Holmes: Spiel im Schatten 12.20/15.00 Fr/So-Mi 17.45/20.30 Fr/So 23.30 D 12.30/15.20 Fr/So-Mi 18.10/21.00 Fr/So 00.01 E/d/f Mission: Impossible – Phantom Protocol [14/11 J] Fr/Di 12.20/15.00/20.30 So/Mo/Mi 17.45 So 23.30 E/d/f Fr/Di 17.45 Fr 23.30 Sa-Mo/Mi 12.20/15.00 So/Mo/Mi 20.30 D Rubbeldiekatz [12/9 J] 12.30/14.50 Fr/So-Mi 17.15/19.40/22.10 Fr/So 00.40 D Happy Feet 2 – 3D [6/3 J] 12.45 D Mo 10.30 E/d/f The Twilight Saga: Biss zum Ende der Nacht – Teil 1 [13/10 J] 13.00 Fr/So-Mi 20.30 D Fr/So-Mi 17.45 Fr/So 23.15 E/d/f

Dolphin Tale – Mein Freund der Delfin – 3D [6/3 J] 13.00 D Mo 10.15 E Alvin und die Chipmunks 3 – Chipbruch [6/3 J] 13.30/15.45 Fr/So-Mi 17.30 D Mo 11.15 E Deine Zeit läuft ab – In Time [14/11 J] 15.00 Fr/So/Mi 19.45 So 00.30 Mo/Di 22.10 D Fr 00.30 Di 19.45 Mi 22.10 E/d/f New Year’s Eve [10/7 J] Fr/Di 15.20/20.30 So/Mo/Mi 17.50 E/d/f Fr/Di 17.50 Sa-Mo/Mi 15.20 So/Mo/Mi 20.30 D Tage des Verrats – The Ides of March [12/9 J] 15.30 Fr/So-Mi 20.15 So 23.00 D Vacanze di Natale a Cortina Fr/So-Mi 17.45 I Drive Fr/So 22.10 E/d/f Mo 19.45 D Aushilfsgangster – Tower Heist [12/9 J] Fr/So 23.15 D Arthur Weihnachtsmann – 3D [6/3 J] Mo 10.00 D Die Abenteuer von Tim & Struppi – 3D [9/6 J] Mo 10.00 D Tom Sawyer [10/7 J] Mo 10.10 D Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel Mo 10.30 D Prinzessin Lillifee 2 [6/3 J] Mo 10.45 D

Idioterne Fr 15.15 Ov/d Libeled Lady Fr 18.30 Mi 21.00 E/d Dancer in the Dark Fr 20.00 E/d/f The Boss of it All Sa 15.15 Ov/d/f My Man Godfrey Sa 17.30 E/e His Girl Friday Sa 20.00 E/d Mes petites amoureuses So 15.00 F/e The Lady Eve So 17.30 E/d Trouble in Paradise So 20.00 E/d/f Lollipop Monster Mo 15.15 Ov/d Bluebeard’s Eighth Wife Mo 17.30 E/d/f Breaking the Waves Mo 20.30 E/d/f Europa Mi 18.30 Ov/d

Steinentorstrasse 8, pathe.ch

Carnage [14/11 J] 15.00 Fr/So-Mi 20.00 E/d/f Happy New Year [10/7 J] Fr/So-Mi 17.15 E/d/f

PATHÉ PLAZA

Der gestiefelte Kater – 3D [8/5 J] 14.15 Fr 20.45 Sa/So/Mi 16.30 D Fr/Mo/Di 16.30 Fr/So-Mi 18.40 Fr 23.00 Mi 20.45 E/d/f Vacanze di Natale a Cortina So-Di 20.45 I

REX

Steinen 29, kitag.com Rubbeldiekatz [12/9 J] 14.30 Fr/So/Mo/Mi 20.30 Di 17.30 D Der gestiefelte Kater – 3D [8/5 J] 15.00 D Twilight: Breaking Dawn – Part 1 [13/10 J] Fr/So/Mo/Mi 17.30 E/d/f The Ides of March [12/9 J] Fr/So-Mi 18.00/21.00 E/d/f Swisscom Männerabend: Drive Di 20.30 E/d/f

STADTKINO Klostergasse 5, stadtkinobasel.ch

STUDIO CENTRAL

Gerbergasse 16, kitag.com

Frick

MONTI

Kaistenbergstr. 5, fricks-monti.ch Der gestiefelte Kater [6/4 J] Fr 16.00 Mo 17.30 D Der Verdingbub [14/12 J] Fr/Di/Mi 17.30 Dialekt Sherlock Holmes: Spiel im Schatten [14/12 J] Fr/Mo-Mi 20.15 D Happy Feet 2 [6/4 J] Mo-Mi 13.30 D Alvin und die Chipmunks 3 – Chipbruch [6/4 J] Mo-Mi 15.30 D

Liestal ORIS Kanonengasse 15, oris-liestal.ch Happy New Year [12/9 J] Fr/So-Mi 18.00 D Sherlock Holmes: Spiel im Schatten [14/11 J] Fr/So-Mi 20.30 D Der gestiefelte Kater – 3D [8/5 J] Sa-Mi 13.45 D Alvin und die Chipmunks 3 – Chipbruch [6/3 J] Sa-Mi 16.00 D

SPUTNIK Poststr. 2, palazzo.ch Eine ruhige Jacke [10 J] Fr 16.00 Mo 14.15 Dialekt Habemus Papam [12 J] Fr/Di/Mi 17.50 I/d/f Carnage [14 J] Fr/Mo-Mi 20.15 E/d/f Die Kinder vom Napf [7 J] Mo-Mi 16.00 Dialekt Pina [16/13 J] Mo 18.00 D

Sissach PALACE Felsenstrasse 3a, palacesissach.ch Alvin und die Chipmunks 3 – Chipbruch [6/3 J] 13.00 Fr 18.00 D Tom Sawyer [10/7 J] 14.30 D Der Verdingbub [12/9 J] 16.30 Dialekt Sherlock Holmes: A Game of Shadows [12/9 J] Fr/So-Mi 20.30 E/d/f Die Kinder vom Napf [10/7 J] So 10.30 Dialekt A Dangerous Method [14/11 J] So-Mi 18.30 E/d/f Silvesterchlausen [6/3 J] Mo 10.30 Dialekt

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