Kultbike Yamaha SRX 600
Die Geschichte einer Fehleinschätzung

Die Yamaha SRX 600 - die vielleicht schönste serienmäßige Straßen-Einzylindermaschine der Neuzeit - wurde freudig erwartet, begeistert aufgenommen – und dann nicht gekauft. Die Geschichte einer Fehleinschätzung.

Die Geschichte einer Fehleinschätzung
Foto: Archiv

Mitte der 80er-Jahre hatten viele Motorradfahrer die Nase voll vom Wettrüsten. Die Sechszylinder-Wuchtbrummen waren praktisch Geschichte, Harleys plötzlich zuverlässig und begehrt, und sportliche Straßen-Singles feierten eine Renaissance. Die Puristen unter den Zweiradfans erinnerten sich an Klassiker wie BSA Gold Star, Ducati 450 Desmo oder Velocette Thruxton und reagierten euphorisch, als die ersten Meldungen über die seit 1985 in Japan verkaufte SRX6 (Typ 1JK) die Runde machten. Für den seit jeher klassikerbegeisterten heimischen Markt hatten die Yamaha-Konstrukteure kräftig im hauseigenen Baukasten gekramt und dort viele nützliche Teile entdeckt: unter anderem den Motor der Enduro XT 600, die 18-Zoll-Räder und Bremsen der RD 350 sowie die Federbeine der XJ 900. So richtig neu an der SRX6 waren eigentlich nur Tank und Rahmen, der Auspuff und ein paar Anbauteile. Doch gerade die clevere Kombination der wenigen Neuteile war es wohl, die den Motorrad-Gourmets den Kopf verdrehte und einen Haben-wollen-Reflex auslöste.

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Kultbike Yamaha SRX 600
Die Geschichte einer Fehleinschätzung
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Das dezent lackierte Vierkantrohr-Chassis war durchweg mit Accessoires aus feinsten Materialien bestückt: Aluminium, gegossen, geschmiedet, gebürstet und poliert, dazu Stahl, hochglanzpoliert und verchromt. Plastik? Nahezu Fehlanzeige. Die unglaublich schlanke und elegante Maschine wirkte ungemein edel. Das hatte seinen Preis, in Japan umgerechnet rund 7500 Mark. Zum Vergleich: Die seit 1978 bis dahin in Deutschland mehr als 26000 Mal verkaufte und immer noch im Yamaha-Programm vertretene SR 500 kostete 1985 nur 4998 Mark. Die Yamaha-Verantwortlichen ahnten wohl, dass sich trotz aller Begeisterung der volle Japan-Tarif für die SRX6 in Deutschland nicht durchsetzen lassen würde – fürs gleiche Geld bekam man damals ausge­wachse­ne Vierzylinder –, und so wurde der hierzulande als SRX 600 (Typ 1XL bzw. 1XM) mit 27 oder 45 PS angebotenen Maschine ein Sparprogramm verordnet. Dabei blieben der Ölkühler und die Federbeine mit Ausgleichsbehälter auf der Strecke, und statt gefrästem Aluminium kam zum Beispiel beim Bremsanker lackiertes Stahlrohr zum Einsatz.

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Macht auch von oben eine gute Figur - die Yamaha SXR 600.

Immerhin bekamen die zuvor direkt an der Schwinge montierten Soziusrasten rahmenfeste Halter spendiert, doch die fielen ziemlich grobschlächtig und so gar nicht zum Rest passend aus. Mit 7120 Mark war bei der Deutschland-Premiere 1986 der Preis tatsächlich etwas niedriger als in Japan, doch auch so musste der Importeur Mitsui schmerzhaft erfahren, dass zwischen „schön finden“ und „schön kaufen“ ein großer Unterschied liegen kann.

Im ersten Jahr fanden nur 920 Exemplare Käufer, die sich für die tolle Handlichkeit, den durchzugsstarken Motor und die hervorragenden Bremsen begeistern konnten. 1988 sank die Zahl auf 374 Neumaschinen-Kunden. Zum Vergleich: Die SR 500 verkaufte sich pro Jahr rund 1500-Mal. Yamaha zog die Notbremse, die letzten SRX 600-Exemplare wurden 1990 für deutlich unter 6000 Mark verramscht, und das ab dem gleichen Jahr endlich mit E-Starter und neuem Fahrwerk antretende Nachfolgemodell SRX 600 E (Typ 3SX) wurde erst gar nicht mehr offiziell importiert.

Daten und weiterführende Infos

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Hübsch gemacht: Der Motor stammt aus der Yamaha-Enduro XT 600, wurde von 595 auf 608 cm³ aufgebohrt und tritt in Silber statt Schwarz an.

Daten
Luftgekühlter Einzylinder-Viertaktmotor
Hubraum: 608 cm³
Leistung: 33 kW (45 PS) bei 6500/min, 51 Nm bei 5500/min
Fünfganggetriebe
Doppelschleifenrahmen aus Vierkant-Stahlrohr
Gewicht vollgetankt: 175 kg
Reifen vorn: 100/80-18 S
Reifen hinten: 120/80-18 S
Tankinhalt: 15 Liter
Höchstgeschwindigkeit: 170 km/h, von 0–100 km/h in 6,2 sek.

Literatur
Die ausführliche Gebrauchtkaufberatung erschien in MOTORRAD 24/1991. Im sehr empfehlenswerten Standardwerk „Yamaha" von Koe­nigsbeck/Schneider/Abelmann (Schneider Text Editions, 2004, um 40 Euro) ist die SRX-Geschichte gut beschrieben.

Spezialisten
Yamaha Klassiker Teile, Horst Meise, 25524 Itzehoe, Tel. 0 48 21/7 42 83, www.yamahaklassikerteile.de;
KEDO, 22305 Hamburg, Tel. 0 40/40 17 02 00, www.kedo.de.

Marktsituation
Das Angebot der Typen 1XL/1XM ist sehr übersichtlich, die Preise sind (noch) überraschend moderat. Um 1000 Euro gibt es mit etwas Glück fahrbereite Bastelbuden; ab knapp 2000 Euro werden ordentliche Gebrauchtmaschinen im weitgehenden Originalzustand gehandelt. Das (nie offiziell importierte) Nachfolgemodell SRX 600 E (3SX) ist deutlich seltener und nicht unter 3500 Euro zu bekommen.

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Erscheinungsdatum 26.04.2024