WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Literatur
  4. Buch-Stars: Wie Anselm Grün & Co die Theologie verniedlichen

Literatur Buch-Stars

Wie Anselm Grün & Co die Theologie verniedlichen

Freier Autor
Anselm Grün Anselm Grün
Seine Bücher sind Bestseller: Benediktinerpate Anselm Grün
Quelle: dpa/DPA
Schreibende Ordensleute wie Anselm Grün sind Medienstars. Doch deren banale Auslegungen wecken die Sehnsucht nach beinharten Theologen.

Wenn Trostlosigkeit einen Namen hat, dann heißt sie Hildesheim. Jedenfalls an einem regnerischen Mittwochabend im Mai. In der Fußgängerzone gibt es mehr Asia-Imbisse als Fußgänger, die Läden bieten Tattoos und Inkontinenzwindeln an. In der Michaeliskirche spricht Pater Anselm Grün zum Thema "Jeder Mensch hat einen Engel". Ohne Engel ist man hier gewiss verloren.

Die herrliche romanische Basilika ist bis auf den letzten Platz besetzt, und draußen stehen die Leute Schlange, um eine Karte für 9,80 Euro zu ergattern. Wären sie nicht so wohlerzogen, könnten sie rufen: "Wir sind das Kirchenvolk!" Es sind die Menschen, die sonst in den Kirchen fehlen, an denen vorbeigepredigt wird, bürgerliche Leute, die ihren Feierabend opfern, um in einer evangelischen Kirche einem katholischen Mönch zu lauschen.

"Glückspater" Anselm Grün gehört zu den erfolgreichsten Schriftstellern im deutschsprachigen Raum. Fast 300 Bücher hat der Cellerar des Benediktinerklosters Münsterschwarzach geschrieben, sie erreichten eine Gesamtauflage von über 15 Millionen.

Grün gibt seine eigene Monatsschrift heraus: "Einfach Leben. Ein Brief von Anselm Grün". Außerdem hält er über 200 Vorträge im Jahr - und nicht etwa immer den gleichen. Von Hildesheim geht es laut Tourneeplan nach Hechingen ins Bildungshaus St. Luzen, dort heißt das Thema: "Trau deiner Kraft. Mit Mut durch Krisen gehen". Dann nach Wigratzbad in die Katholische Kirchenstiftung: "Glückseligkeit. Der achtfache Pfad Jesu zum gelingenden Leben". Gräfelfing, Hospizverein Würmtal: "Leben aus dem Tod". Kurse für Manager, Gespräche mit Geistlichen, die in die Krise geraten sind: Grün ist immer auf Achse.

Was hat dieser Mann in der schwarzen Kutte, was andere nicht haben? Man ist auf eine charismatische Erscheinung gefasst, auf eine schöne Stimme, gewiefte Rhetorik, gewagte Gedanken. Nichts von alledem. Anselm Grün ist schmächtig, klammert sich an die Kanzel, nuschelt ein wenig, sucht die Gedanken beim Reden und bietet zum Thema Engel zunächst einen Gang durch die biblischen Engels-Geschichten nebst Auslegung.

Bei jeder Geschichte sagt er: "Das ist ein ganz wunderbares Bild." Immer wieder deutet er diese Bilder so, dass sie das sagen, was die Leute hören wollen. So ist es nicht etwa Gott, der Abraham befiehlt, seinen Sohn Isaak zu töten, wie es in der Bibel steht. Nein: "Es ist Abrahams Bild von Gott, das ihn dazu geführt hat."

Von diesem "strengen, kontrollierenden Gott" will Grün nichts wissen; er vertritt eine "optimistische Theologie", und für ihn ist darum auch das Jüngste Gericht "kein Gericht mit einem Urteil, sondern dieses Wort bedeutet, dass wir ausgerichtet werden auf Gott". Nirgends ruft diese Küchenetymologie auch nur ein skeptisches Lächeln hervor.

Aus den biblischen Geschichten macht Grün Alltägliches. Opfern wir nicht alle wie Abraham unsere Kinder auf dem Altar des Erfolgs? Bileams Esel sieht einen Engel und will nicht weiter - ist das nicht wie unser Körper, der uns warnt, wenn wir uns überfordern? Wenn Tobias einem männermordenden Dämon begegnet, erinnert das nicht an einen Mann, der nicht von seiner Mutter loskommt? Erinnern uns die Jünglinge im Feuerofen nicht an das Feuer unserer Leidenschaften? Daniel in der Löwengrube, da geht es um aggressives Mobbing, nicht wahr? Und der Engel der Auferstehung: Ist es nicht so, dass er den Stein wegrollt, damit wir auferstehen können aus dem Grab unserer Angst und unseres Selbstmitleids? Eigentlich nicht, aber es kommt an: Bibelkunde als Therapiestunde.

Die muntere Enthistorisierung, Verniedlichung, Banalisierung und Psychologisierung der Theologie erweckt beinahe Sehnsucht nach einem beinharten Theologen wie Joseph Ratzinger, der in seiner kompromisslosen Enge den Gläubigen wenigstens etwas zumutet.

Anzeige

Dieses seichte, aromatherapeutische "Ich bin okay, du bist okay"-Christentum kann es doch nicht sein - aber man blickt um sich und sieht, dass die Leute an den Lippen des Predigers hängen, dass sie seine Worte aufsaugen. Und als er sie am Ende auffordert, aufzustehen, die Arme über der Brust zu kreuzen und mit ihm zu beten, da erhebt sich die ganze Kirche und tut es ihm nach. Das Ökumenenische, hier wird's Ereignis. Und man erkennt: Anselm Grün bedient eine Sehnsucht nach Trost, die eben nicht nur in Hildesheim wach ist und wächst.

Anselm Grün ist nicht der einzige Mönch, der in den letzten Jahren zum Medienstar wurde. Da gibt es Grüns Lehrer, den 85-jährigen Pater und Zen-Meister Willigis Jäger, den der Vatikan mit Rede- und Schreibverbot belegt hat. Da gibt es den Altabt des Klosters Niederalteich, Emmanuel Jungclauss, der durch seinen Widerstand gegen den Donauausbau bekannt wurde und gerade seine Lebenserinnerungen - "Der Strom des Lebens. Vom Glück, sich selbst zu finden" - vorgelegt hat.

Da ist auch der frühere Cellerar des Bierklosters Andechs und heutige Management-Guru Anselm Bilgri. Und Notker Wolf, der ebenfalls Manager berät und Bücher schreibt und durch seinen Spruch "Gott ist ein Liberaler" ebenso berühmt-berüchtigt wurde wie durch seine Auftritte mit elektrischer Gitarre zusammen mit der Rockband Feedback. Sie alle sind Benediktinermönche - oder waren es: Jäger lebt "exklaustriert", und Bilgri ist im Streit aus dem Kloster geschieden. Was ist an diesem ältesten aller westlichen Mönchsorden so besonders?

Notker Wolf ist der Abtprimas der Benediktiner. Sein Kloster Sant'Anselmo liegt auf dem Aventinhügel in Rom, mit Blick über den Tiber nach Trastevere und weiter zum Petersdom. Tauben gurren, Touristen schnaufen, hinter hohen Mauern versprechen rauschende Pinien Schatten und Ruhe. In Italien wird der Nationalfeiertag begangen, also ist die Pforte nicht besetzt. Nach heftigem Läuten kommt der Abtprimas selbst zur Tür.

Wolf ist ein schmächtiger, quirliger, freundlicher Mann, dem man die fast siebzig Jahre nicht anmerkt. Gerade ist er von einer dreitägigen Reise in die USA zurückgekehrt, wo er an einer Benediktinerschule die Rede zum Semesterbeginn gehalten hat. In seinem Arbeits- und Wohnzimmer sind alle Sessel und Sofas mit Stapeln von Zeitungen, Büchern und Manuskripten belegt. Der Abtprimas räumt zwei Plätze frei, bittet um Geduld, erledigt ein paar Telefonate in seinem schwäbisch eingefärbten Italienisch, verschickt ein paar E-Mails, zündet sich eine überdimensionierte Pfeife an und macht es sich bequem.

Ist also die Wohlfühltheologie etwas spezifisch Benediktinisches oder eher die Privattheologie eines Anselm Grün? Wolf lächelt. "Das ist Anselm Grün. Aber die Weisheitstheologie des Anselm von Canterbury ist für uns sehr wichtig. Sie setzt am konkreten Leben an und an der Liturgie. Die Heilige Schrift kommt vor der traditionellen Dogmatik und den traditionellen Theologien. Es geht darum, mit den liebenden Augen Gottes auf die Menschen zu schauen. Dieser Blick bestimmt auch meine wöchentliche Kolumne in 'Bild der Frau'."

Warum Berufung auf Ordensgründer Benedikt?

Wie erklärt sich aber der Abtprimas, dass sich der gegenwärtige Papst mit seinem selbst gewählten Namen ausdrücklich auf den Ordensgründer Benedikt beruft? Schließlich ist Benedikt XVI. der Inbegriff eines Dogmatikers und Theologen. Wolf zieht an der Pfeife und wägt seine Worte. Benedikt XVI. sei zweifellos ein großer Theologe. Dem Papst gehe es wie dem Ordensgründer um ein großes Ziel: "Das Abendland wieder auf Gott auszurichten." Das werde aber sehr schwer sein, denn das Naturrecht, auf das sich Joseph Ratzinger berufe, werde von vielen abgelehnt, hinzu kämen der Individualismus und die Vorstellung, die Religion sei eine rein private Angelegenheit. "Der Meinung bin ich nicht. Übrigens: Die Anne Will versucht ständig, mich in ihre Sendung zu bekommen. Soll ich hingehen?"

Anzeige

Wie Anselm Grün, dessen Eltern ein Elektrofachgeschäft hatten, stammt Notker Wolf aus kleinen Verhältnissen. Während aber Grün die Menschen eher davor warnt, sich zu überfordern, verlangt Wolf, dass Menschen für sich selbst Verantwortung übernehmen. "Ich musste mich immer selbst durchsetzen. Mein Vater war Schneider. Ich war angeblich körperlich zu schwach für das Gymnasium, zu arm fürs Studium, aber ich habe es geschafft. Ich bin gegen Zentralisierung und Verstaatlichung, weil das die Menschen entmündigt, und die Menschen lassen sich das gefallen."

Wie kann aber der Abtprimas eines Ordens, dessen Gründer in Kapitel 33 seiner berühmten Ordensregel das Privateigentum als "Laster" bezeichnete, das "ausgerottet" werden müsse, derart das Hohelied der Marktwirtschaft und des Privateigentums singen? Stellt nicht vielmehr das Kloster das Urbild des Kommunismus dar? "Ja, und es ist eine Schande, dass sich die Kirche die Idee des Gemeineigentums von Karl Marx abluchsen ließ. Aber schauen Sie: Wir Benediktiner praktizieren das seit 1500 Jahren und auf freiwilliger Basis - und wir bringen es gerade so lala hin. Mit Zwang geht das schon gar nicht."

Anselm Bilgri hat dem Orden den Rücken gekehrt. Aber er glaubt, "dass die große Zeit der benediktinischen Regel noch kommt. Allerdings außerhalb des Ordens." In München-Pasing hält er vor BWL-Studenten einen Vortrag, in dem er zu begründen sucht, weshalb die von Benedikt geforderten Tugenden wie Gehorsam, Demut und "Discretio" keineswegs überholt seien. Gehorsam etwa komme von "horchen"; der Manager müsse auch auf seine Mitarbeiter hören. Demut bedeute der Wille zum Dienst; auch der Manager müsse dem Wohl der Mitarbeiter dienen. Und mit "Discretio" sei die Fähigkeit des Unterscheidens gemeint: "Nicht jedem das Gleiche, sondern jedem das Seine geben, die individuellen Stärken fördern." Im anschließenden Gespräch sagt er: "Journalisten klagen immer: Das müssten Sie mal unseren Chefs erzählen."

Bilgri schreibt Bücher mit Titeln wie "Das Hirtenprinzip. Sieben Erfolgsrezepte guter Menschenführung". Er trägt eine selbst entworfene Fantasieuniform, Hemd mit hochgeschlossenem Kragen, doppelreihige Weste, lange, gestreifte Jacke, irgendwas zwischen Priester und Landarzt, das ihm von der Kostümscheiderin am Theater Pforzheim auf den rundlichen Leib maßgeschneidert wird. Er ist noch Priester - geweiht ist geweiht - und hat seine Dienste der Kirche angeboten. "Aber die Kirche ist es nicht gewöhnt, Angebote anzunehmen, sie gewährt Gnade. Das ist der Umdenkungsprozess, der kommen muss." Die Kirche müsse lernen, humanistisch zu denken, um "Authentizität" - ein Kernbegriff bei Bilgri - wiederzugewinnen. "Der Papst tut mir leid. Er möchte nicht verkniffen sein. Aber er muss die Maske des Kirchenfürsten tragen, und hinter den Gewändern bleibt der Mensch verborgen. Das ist bei vielen Klerikern der Fall."

Ist das vielleicht das Geheimnis der Mönche? Gefühlte Authentizität? Sind deshalb die Anmeldungszahlen an den Klosterschulen - etwa am Benediktinerkloster Ettal - trotz der Missbrauchskrise ungebrochen hoch? Schon möglich.

Bilgri spricht auch von seinem "Gebrauchswert". Im Feuilleton mögen Salonkonservative wie Martin Mosebach oder Arnold Stadler als die Stimme des wahren Katholizismus gelten, doch für sie hat Bilgri wenig übrig: "Sie leben in einer säkularen Welt, sehr gut sogar, aber fordern von der Kirche, dass sie ihren Konservatismus bewahren soll." Jedenfalls sprechen die Auflagenzahlen Anselm Grüns für sich und gegen die Kulturkonservativen.

Man mag über seine pseudopsychologische Kuscheltheologie - oder kuschelpsychologische Pseudotheologie - den Kopf schütteln, aber er und die anderen benediktinischen Medienmönche erreichen die Menschen, wie es der Medienpapst Benedikt nie geschafft hat. Längst haben die Gläubigen mit den Füßen und dem Geldbeutel abgestimmt: Wenn sie sich eine Kirche wünschen könnten, Anselm Grün wäre ihr Papst.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema