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Politik Staatskrise

Königreich Belgien steht vor der Spaltung

Krise in Belgien: Flamen stimmen im Alleingang für Staatsreform Krise in Belgien: Flamen stimmen im Alleingang für Staatsreform
Die flämischen Politiker stimmen ab, den zweisprachigen Wahlbezirk um Brüssel zu teilen
Quelle: DPA
Das belgische Volk findet seit 151 Tagen keine Regierung. Im Parlament stimmten die Flamen gegen die wallonische Minderheit ab, den Wahlbezirk um Brüssel aufzuspalten. Die Wallonen sehen darin eine "Kriegserklärung". Wird Belgien ein geteiltes Land?

Am Sonntag in einer Woche wollen sie marschieren. Für ihr Land, ihren Staat, für eine neue Regierung, für Belgien. Die zerstrittenen Volksgruppen Flamen und Wallonen - gemeinsam. Ein Volk sucht verzweifelt eine neue Regierung. Wirklich ein Volk? Auch 151 Tage nach der Wahl am 10. Juni ist keine politische Führung in Sicht, im Gegenteil. Immer lauter macht das Wort Spaltung die Runde. Das Vorbild: die ehemalige Tschechoslowakei, deren zwei Landesteile 1992 im Streit auseinandergingen.

Noch will kaum jemand in Belgien an so etwas in der EU des 21. Jahrhunderts glauben. So ist also am 18. November der "Marsch für die Einheit" angesetzt, bei dem jene, die sich Belgier nennen und es bleiben wollen, den Behörden eine Petition mit 125 000 Unterschriften überreichen wollen. Marie-Claire Houart, eine Beamtin aus Lüttich, ist Initiatorin der Aktion. Damit sollen die Politiker aufgefordert werden, "unser Land zu respektieren".

Für den Außenstehenden bietet sich ein bizarres Schauspiel in Belgien, bei dem sich nicht recht erschließen will, warum sich die Flamen und Wallonen das eigentlich antun. Am Mittwoch erreichte die Krise ihren vorläufigen Höhepunkt. Die flämischen Parteien im belgischen Parlament beschlossen mit ihrer Mehrheit, den zweisprachigen Wahlbezirk Brüssel-Halle-Vilvoorde aufzuspalten - gegen den Willen der frankofonen Abgeordneten, die aus Protest den Saal verließen. Die Flamen, die 60 Prozent der Belgier stellen, wollen die Wallonen zwingen, bei den Regierungsgesprächen einzulenken.

Die Frankofonen sind empört, dass ihnen als Minderheit erstmals ein Beschluss per Mehrheitsvotum aufgezwungen wurde. Bislang können sie im flämisch geprägten Umland Brüssels für frankofone Parteien stimmen - die Flamen wollen dieses Ausnahmerecht kippen. Die Wallonen sehen darin eine "Kriegserklärung".

Nun geht es bei der Regierungssuche vordergründig um Differenzen bei Reformen des Renten- und Bildungssystems. Auch eine Staatsreform wird seit Langem händeringend gesucht; über den Umbau in ein föderales Land, immerhin, da sind sich Flamen und Wallonen einig, wenngleich nicht beim Wie.

Denn die ärmeren Wallonen befürchten, dass die reicheren Flamen den Ton angeben und es an Solidarität fehlen lassen. Die Flamen meinen, es besser zu können und verweisen auf ihre wirtschaftlichen Erfolge wie den florierenden Hafen von Antwerpen. Hintergründig jedoch lauert der Sprachenkonflikt zwischen Flämisch sprechenden Flamen und Französisch sprechenden Wallonen. Der Streit um Brüssel-Halle-Vilvoorde steht damit gleichsam für die Krise Belgiens. Eine Lösung dafür fordert Belgiens Oberstes Gericht seit 2003.

Brüssel eine geteilte Stadt wie Jerusalem?

Trotz des jüngsten Eklats wollen die flämischen Christdemokraten weiter mit ihrer frankofonen Schwesterpartei und den Liberalen aus beiden Landesteilen über eine Regierung verhandeln. Viele Belgier glauben indes an das nahende Ende ihres Königreichs. Bei einer Befragung von 752 frankofonen Bürgern haben laut öffentlich-rechtlichem Rundfunksender RTBF 43 Prozent geantwortet, das Votum zur Teilung des Wahlbezirks sei "der Anfang der Zerschlagung Belgiens". Doch eine Frage bleibt, und sie hält das Land noch zusammen - was würde aus der überwiegend frankofonen Hauptstadt Brüssel? Das EU-Zentrum als geteilte Stadt à la Jerusalem? Eine Mauer errichten? Blauhelme?

richmedia Eine Klammer, so wird in Belgien gerne gesagt, bilde König Albert II. Doch um dessen Beliebtheitswerte ist es vor allem bei den Flamen nicht mehr allzu gut bestellt. Der König muss nun entscheiden, ob der bislang mit der Regierungsbildung beauftragte flämische Christdemokrat Yves Leterme sein Mandat behält. Viele Belgier flaggen ihr Begehr inzwischen aus: In Brüssel hängen die Fahnen zu Tausenden aus den Fenstern. Man habe Hochkonjunktur, heißt es beim Antwerpener Flaggennäher Alferus, einem Flamen. Zehnmal mehr als sonst würden verkauft.

RTBF hat die Spaltung derweil schon einmal vorweggenommen. Vor einem Jahr unterbrach der Sender das Programm mit einer Sondersendung. Flandern habe seine Unabhängigkeit deklariert. Erst 30 Minuten später erklärte der Moderator: alles nur eine Fiktion. Die Politiker waren sich am nächsten Tag zumindest einig darin, außer sich zu sein. Doch 89 Prozent aller Zuschauer haben die Nachricht geglaubt.

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